Oberliga: Erste versemmelt gegen Hameln den Sieg

3-5 lautete das Ergebnis am Ende. Begreifen konnte es keiner, erklären erst recht nicht. Es regierten die Superlative: „Sowas habe ich noch nie gesehen!“, „Das ist einmalig“. Auch die Hamelner sollen verdutzt gewesen sein, nahmen aber dankbar die Punkte an. Die nackte Bilanz: 1½ P aus vier haushohen Gewinnstellungen. Und zieht man das Remis von Martin Hart ab, der klar auf Verlust stand, kommt man auf zwei versemmelte Punkte. Positiv: Dass eine personell gebeutelte Mannschaft überhaupt so weit kommen konnte, war aufsehenerregend. Im Abstiegskampf hilft das aber nicht.

Draußen kalt, drinnen hitzig

Hellern – Hameln: Sport ohne Zuschauer

Die Schachfreunde aus Hameln haben bislang eine erfrischende Saison gespielt. Nur gegen Werder Bremen III gab es eine Niederlage. Ansonsten wurde gepunktet – in der Summe kamen 5 Punkte und der dritte Tabellenplatz dabei heraus. Von so einer ausgeruhten Bilanz sind wir weit entfernt.
Angereist waren die Gäste ohne Brett 7. Da Adrian David bislang nicht spielte und dafür der an Brett 9 gemeldete Igor Belov nachrückte, war Hameln sozusagen mit voller Kapelle nach Westen gefahren.
Gespielt wurde übrigens die 7. Runde. Die Runden 5, 6, 8 und 9 werden folgen. Wir haben im Corona-Ticker über die Termine berichtet. Ansonsten kann man sich hier informieren.

Schach könnte so einfach sein…

Kurz nach 14.00 Uhr zogen Jörg Stock und Holger Lehmann die Joker und reklamierten ihren Sieg. Der Schiri sah die etwas zu groß geratenen Karten und lud sofort die Partien der beiden Helleraner auf sein Analysebrett. Dann senkte er den Kopf: „plus 2.5., jetzt plus 3.8, das schnellt nach oben!“ Jörg nickte zufrieden. „Konstant bei über plus 6 bei einer Rechentiefe von 30. Partie gewonnen!“, stellte der Schiri fest. Kaum anders war es bei Holger Lehmann. „Das hätten Sie schon ein wenig früher beantragen können. Gewonnen!“
Das neu vom Schachbund eingeführte Abschätzungsverfahren ist allerdings auf zwei Partien beschränkt. Und so ärgerte sich Dominik Suendorf, dass er nicht fix genug war und weiterspielen musste. Er verlor, aber 2 Punkte aus drei Gewinnstellungen reichten zum knappen Sieg. Nur ein Hamelner maulte: „Das Ding war längst nicht durch. Früher hätten wir das ausgekämpft.“

Diese Geschichte ist Science-Fiction.

Aber ein Abschätzungsverfahren hätte uns an diesem vermaledeiten Sonntag geholfen. Zum Beispiel in diesen Stellungen:

In Stellung 1 hätte 27…Te3 den f-Bauern nach e3 befördert: tödlich. Den Gewinnzug in Diagramm 2 möge der geneigte Leser selbst herausfinden. Insgesamt 3x stellte SF Renner die Partie ein, aber in Zeitnot herrschen andere Gesetze. Und so stellte Holger schlicht und ergreifend Material ein: 1-0. Aber wahr ist auch, dass Kai Renner eine vorzügliche Eröffnungsbehandlung nebst toller Neuerung präsentierte. Und die war so stark, dass er nach 15 Zügen bereits auf Gewinn stand. Und das in einer Variante, die alles andere als Neuland für Holger war!

Auch Jörg Stock, der ansonsten bei der Verwertung von technischen Gewinnstellungen eiskalt ist, hätte vom Abschätzungsverfahren profitiert.

In der linken Diagrammstellung hätte statt fxg5 der Vorstoß 37. f4-f5 einen weiteren Freibauern generiert. Das hätte die Phalanx der schwarzen Türme aufgebrochen und dies wiederum hätte einen weißen Turm entfesselt.
In der rechten Stellung spielte Jörg 63.b6!, wonach er auf +8 steht. Die Crux ist die Frage: Wohin mit dem König? Jörg wollte den b-Bauern unterstützen. Stattdessen hätte im Hagel etlicher Turmschachs zum Königsflügel marscheren müssen, um dem h-Bauern zur Promotion zu verhelfen. Sowas sieht er normalerweise im Schlaf. Aber was war schon normal an diesem Sonntag?

So blieb es nach Jörgs Remis an den Brettern 1-4 bei einem 2-2. Alexander Hoffmann hatte mit den schwarzen Steinen gegen FM Bode eine 20-zügige Theorievariante gespielt. Die Engine sah gelegentlich einen leichten weißen Vorteil, der in der Turnierpraxis bislang nicht umgesetzt wurde. Dort hat der überwiegend der Nachziehenden die Nase vorn: Remis!
Christian Boettcher zweigt erneut, dass er unverzichtbar ist. Gegen FM Tonndorf übte er einen gewaltigen Positionsdruck aus, auch weil er mit den Springern besser umgehen konnte. Im 28. Zug übersah der Hamelner eine Feinheit und das anschließende Qualleopfer von Christian räumte die Partie inerhalb weniger Züge ab.

…ist es aber nicht!

Zumindest auf dem Papier war für uns hinten wenig zu holen. Das Fehlen von Dr. Ingo Gronde und Reinhold Happe ließ alle Spieler zwei Bretter nach vorne rutschen. Die Hamelner waren besser besetzt. Nur Tammo Lewin agierte mit fast gleicher Rating auf Augenhöhe mit Yannik Koch. SF Koch spielte mit Weiß eine Variante, die auch einige Meister spielen. Das Problem: der Anziehende steht bereits nach 9 Zügen auf Verlust. Das war auch der Fall, nachdem Tammo eine saustarke Neuerung präsentierte. Dann verzettelte er sich leider und irgendwann war die Stellung ausgeglichen. Ein schlimmer Fehler im 24. Zug führte zu einem Hamelner Taktikfeuerwerk. Der Knock-out für Tammo.

Brett 7: Jacobi (r.) – Bade

Martin Hart stand bereits nach 10 Zügen bedenklich, erholte sich ein wenig, aber nach einem weiteren Fehler stand Dennis Schmidt bis zum Schluss permanent auf Gewinn. Dennoch gab es einen Friedensschluss. Hier hatten wir Glück.

Hajo Bade spielte gegen Felix Hagen Jacobi eine gediegene Partie, in der nur selten etwas die Hoffnung auf Vorteil aufkommen ließ. Das Remis war am Ende leistungsgerecht.

Suendorf-Belov nach 28…Sf8-g6. Was ist zu tun?

Das Drama wurde uns aber auch hinten nicht erspart. Dominik Suendorf fiel trotz erheblicher Rating-Nachteile wie ein wilder Stier über den Schachveteranen Igor Belov her. Der fabrizierte einige Fehler, Dominik dagegen einige feine Züge, sodass der Gewinn nur einer Frage der Zeit zu sein schien. Zwei Umstände verhinderten dies: zum einen erkannte Dominik nicht, dass man einen unvertreibbaren Vorposten nur dann erfolgreich installieren kann, wenn man zuvor die einzige Figur abtauscht, die das Vorpostenfeld deckt. Zum anderen entdeckte Dominik im 29. Zug einen äußerst subtilen Deckungszug nicht – und danach spielte der Hamelner wie von einem anderen Stern – und gewann. Damit war das 4-4 endgültig gestorben.

Nachspielink

Paarungen und Tabelle

Insgesamt kamen wir mit einem blauen Auge davon. Salzgitter verlor mit sieben Spielern nur knapp gegen Werder Bremen III, während Lehrte denkbar knapp gegen die SF Hannover verlor – auch weil die Hannoveraner alle Partien an den Brettern 1-4 gewinnen konnten! Ähnlich dominant spielte NOH-Blanke vorne und schlug Oldenburg mit 4½-3½. Der HSK Lister Turm gewann dagegen gegen Delmenhorst, weil der Tabellenführer hinten fast alles abräumte.
Hellern spielt am 20. März gegen Salzgitter und steht enorm unter Druck. Ein Sieg ist unerlässlich und könnte beinahe schon der Klassenerhalt sein.


Trivia

  • In der Landesliga Nord ist der Osnabrücker SV Tabellenführer. Der OSV hat einen Punkt Vorsprung vor Post Uelzen.
  • In der Verbandsliga West ist die SG Osnabrück ganz oben. Das war auch nicht schwer, da unsere Zweite am Sonntag nur mit sechs Aktiven antrat und nunmehr als Tabellenvorletzter mitten im Abstiegsschlamassel steckt.
  • In der 2. Bundesliga Nord gelang Kirchweye der erste Saisonsieg, während Lingen eine Klatsche bei der Reserve des Hamburger SK einstecken musste. Beide Teams sind nicht in der Abstiegszone, aber in Hinblick auf die Oberliga muss man diese Spielklasse im Auge behalten.

Fotos: © Thal 2022