Oberliga: In Oldenburg war der Tank fast leer

Urlaub in Dubai, Absage wegen Hygiene-Skepsis, Krankheit: die Reihen lichteten sich, zumal die sogenannten Reservisten alle zeitgleich in der Verbandsliga spielen. Und so kamen zwei Youngster zum Einsatz. Immerhin spielt einer der beiden wenigstens in der Bezirksliga. Und Jonas Gernhardt stand sogar auf Gewinn. So gesehen ist die 3-5-Niederlage gegen die favorisierten Oldenburger beinahe schon ein Erfolg.

 

 

An den Nachrückern lag es nicht

MF und Gastautor: Hajo Bade

Es war ein langer, sehr langer Spieltag. Als wir gegen 19.20 Uhr in Hellern eintrafen, blinkte die Tankanzeige schon seit fast 50 Kilometern. Nur noch ein Balken war zu sehen und es mussten die letzten Liter sein.
Dies war quasi sinnbildlich für das erzielte Ergebnis in Oldenburg. Mit zweifachem Ersatz angetreten, erzielten wir eine 3-5 Niederlage. Ein Unentschieden war durchaus in Reichweite, doch am Ende fehlte die notwendige Power. Der Tank war fast leer.
Um eines vorweg zunehmen: an unseren jugendlichen Nachrückern hat es definitiv nicht gelegen. Sie haben durchweg beachtlich gespielt, mussten aber dem Oberliganiveau Tribut zahlen. Hier werden durchaus auch kleinere Fehler in Summe bestraft. Außerdem ist es schon eine gewaltige Herausforderung, als 1600er gegen 2000er zu bestehen. Und dafür haben sich Jonas Gernhardt und Philipp Kleemann wacker geschlagen. Ihre Zeit wird kommen. Am Sonntag war es noch nicht so weit und sie mussten zudem viel Geduld mitbringen. Denn Holger wollte es wissen …

Einige Partien hatten Potential

Doch eins nach dem anderen. Während Alexander (Brett 1) seinen Stellungsvorteil gegen Sebastian Müer auch in ein materielles Plus ummünzte, stand Tammo (Brett 5) spätestens nach dem Verlust des f-Bauern im 34. Zug gegen Jan Wagner mit dem Rücken zur Wand.
Die Ergebnisse waren noch lange nicht eingetütet, da bekam ich ein Remisangebot. Als Interimsmannschaftsführer guckte ich mir zunächst die anderen Bretter an.

  • Ingo (Brett 2) war in einem Doppelturmendspiel (materiell ausgeglichen) gegen Berthold Wittje gelandet.
  • Bei Holger (Brett 3) hatte ich das Gefühl, dass er gegen Dirk Bredemeier richtig ‚fett‘ stand.
  • Auch Jörg (Brett 4) hatte sich von ein paar Problemen befreit und meines Erachtens die Stellung gegen Max Meessen voll unter Kontrolle.

In den zuletzt genannten Partien steckte Potential. Hier erhoffte ich mir ganze Punkte. Meine eigene Stellung war optisch voll okay, da ich einiges an Angriffsmaterial von Marc Schütte abtauschen konnte und zudem seine Bauernstruktur am Königsflügel demoliert hatte. Wenn ich jetzt noch den letzten verblieben Läufer abtauschen könnte, dann wäre ein risikoloses Weiterspielen angebracht gewesen. Aber es ist halt kein Wunschkonzert und mit mittlerweile nur noch neun Minuten für zwanzig Züge sowieso nicht. Außerdem wurde es Zeit, dass ich überhaupt etwas Zählbares zur Mannschaft beitrage. Also Remis und Hoffen.

Zunächst kam es wie erwartet und es verblieben die Partien von Holger, Jörg und Tammo. Dann kam das Remis von Jörg. Auch sein Akku war leer und er haderte mit der einen oder anderen Fehlentscheidung während der Partie. Leider kam es in der Folge bei Tammo wie erwartet. Er bewies zwar Zähigkeit, doch im Läufer- gegen Springer-Endspiel setzte Jan Wagner seine aktive Königsstellung, plus Mehrbauer, souverän um.

Somit spielte nur noch Holger. Nach der Zeitkontrolle stand er immer noch richtig gut. Ein voller Punkt hätte zwar an der Mannschaftsniederlage nichts mehr geändert; doch den wollte er haben – was ja auch vollkommen korrekt ist. Schließlich hatte er gegen Nordhorn einen halben Punkt verschenkt und das wurmt. Und jetzt dauerte es, bis sich das Schlachtfeld immer mehr lichtete. Interessanterweise verdichtete sich aber mit jedem Abtausch nicht der Vorteil, sondern brachte mehr an Balance ins Spiel. Es sollte schlussendlich nicht sein: statt einer Lucena-Stellung langte es nur zu einer Philidor-Stellung. Und die Erkenntnisse des großen französischen Meisters haben auch nach mehr als zweihundert Jahren ihre Gültigkeit: Remis nach sechseinhalb Stunden Spielzeit.

Auswärts läuft es bislang nicht so gut, aber die Heimweste ist weiß. Also: weiter so und …

Munter bleiben, Hajo

 

Partien: Flop oder top?

Es war so ziemlich alles im Rücksack, den das Team nach Hellern brachte. Dr. Ingo Gronde hatte sich bereits im 9. Zug in die Bredouille gebracht. Die Bauernstruktur war verdächtig und obwohl Berthold Wittje rasch eine Gewinnstellung hatte, genügte unserem aktuellen Topscorer (2 P v. 3) eine kleine Ungenauigkeit des Gegners, um wenigstens das Remis nach Hause zu holen.
Tammo Lewin spielte nach anspruchsvollem Theoriefight zum falschen Zeitpunkt g2-g4 und das reichte dem stark aufspielenden Jan Wagner, um aus der Droh- eine Druckkulisse zu machen.
Und Jörg Stock mühte sich gegen einen passiven Aufbau redlich ab, stellte zwischenzeitlich leider die Partie ein und konnte froh sein, dass Max Meessen danach nicht in den Taktikmodus wechselte. Das hätten auch drei Nullen werden können.

Drei Partien waren außergewöhnlich, nicht nur in Hinblick auf ihren Unterhaltungswert:

Am 1. Brett war alles hübsch symmetrisch. Gut, Züge wie Tf1-d1 muss Schwarz im Fokus behalten und nach 16…Sf6 wäre alles im Lot gewesen. Nach 16…b5? war die technische Behandlung von Alex allerdings eine meisterliche Augenweide. Alex hat nicht nur eine IM-reife ELO – er spielt auch so.
Holger Lehmann hatte in einigen Stellungen Ähnliches zu bieten. Genial war seine Idee, in der Diagrammstellung beide c-Bauern nach vorne zu werfen, um das tödliche Lc1-b2 folgen zu lassen. Der Oldenburger fightete und hatte dann auch einen psychologischen Trick auf Lager: er schickte in einem verlorenen Endspiel seinen d-Bauern auf die Reise: Passed pawns must be pushed. Holger fand die komplizierte Widerlegung nicht und spielte dann ein technisches Remisendspiel so lange, bis der Arzt kam. Und der sagte: Remis! Schade, kaum einer hatte den vollen Punkt mehr verdient als Holger.
Am 7. Brett zeigte Jonas Gernhardt, warum er als Talent gilt. Zumindest die Eröffnung war oberligareif. Gewinnstellung nach 10 Zügen! Hätte Jonas 10.Sf5 gespielt, dann hätten dem Oldenburger (2016 Nds. Landesmeister der u18) auch die +420-Ratingpunkte nicht geholfen. Selbst nachdem Jonas eine Figur eingestellt hatte, stand er besser. Für ihn war der Sonntag eine Lektion in Sachen Wettkampfhärte – und das ist positiv gemeint. Eine vielversprechende Leistung!

Fazit: die Niederlage war verdient. Zwei Remise in schlechterer Stellung, aber nur ein verlorener halber Punkt – eine banale Rechenübung.

Ansonsten ging es an diesem Spieltag drunter über drüber: die an allen Bretter nominell zum Teil deutlich überlegenen Bremer verloren daheim 3-5 gegen die Schachfreunde aus Hannover. Ein Paukenschlag! Für die Bremer ist dies die zweite Niederlage, vom Aufstieg kann an der Weser nur noch geträumt werden.

In Nordhorm saßen sich 15 Titelträger gegenüber. Nordhorn führte nach vier Stunden mit 3-1, mussten sich aber quasi auf der Zielgerade mit 3-5 geschlagen geben. Lehrte und Hameln trennten sich 4-4, der erste Ligapunkt für den Vorjahresaufsteiger. Aufsteiger Salzgitter kämpfte hart, gewann sogar am Spitzenbrett, aber die mit sieben Spielern angetretenen Gastgeber quittierten dennoch ihre dritte Niederlage.

Hellern und die Stunde der Wahrheit: am 12. Dezember spielen wir zuhause gegen Salzgitter. Mehr muss nicht gesagt werden.
O.T.

Nachspiellink

Fotos: © Hellern Archiv 2021