Man hätte es in keinem Krimi besser machen können: letzte Runde, der Erste empfängt den punktgleichen Zweiten. Es geht um den Aufstieg in die 2. Bundesliga. Der Wettkampf endet 4-4 und über den Aufstieg entscheiden die Brettpunkte. Berichtet wurde über das Spektakel von keinem der Vereine – jedenfalls hat die Redaktion nichts gefunden. Schade, denn einige Partien waren absolut sehenswert. Deshalb zeigen wir, was im Wettkampf SK Kirchweyhe – HSK Lister Turm geschah.
Alles nur eine Sache des Geldes?
Wenn man sich auf die Seite der Kritiker schlägt, die eine herzliche Abneigung entwickeln, wenn eine Profimannschaft durch ihre Liga rauscht, ist man immer auf der Seite der Mehrheitsmeinung. Viel falsch machen kann man da nicht. Und wenn dann ein emsländischer Verein ganz oben ankommt und sofort auf den Bauch fällt, ist die Häme nur schwer zu unterdrücken.
Schaut man sich den SK Kirchweyhe an, scheint das Bild schnell rund zu sein: jede Menge osteuropäische Großmeister, ein Kader, der stark genug gewesen wäre, um auch Meister in der 2. Bundesliga Nord zu werden. Nun sind sie aufgestiegen. Alles nur eine Sache des Geldes?
Man sollte etwas genauer hinschauen. Denn der SK Kirchweyhe ist ein Kind von Peter Orantek, der nicht nur Vorsitzender des Vereins ist, sondern auch Vorsitzender der von ihm gegründeten „127Schach-Stiftung“. Und SF Orantek hat ein Programm: Keine Mitgliedsbeiträge, denn die Profis sollen nicht von den Amateuren finanziert werden. Sponsering auch für den Kreisklassenspieler, Bau eines coronafreien Bio-Hauses – Peter Orantek ist ein waschechter Mäzen der alten Schule, der offenbar Ideale hat und seine Ziele konsequent umsetzt.
Die Webpräsenz des Vereins ist in Sachen Design irgendwo im letzten Jahrhundert steckengebleiben, aber man sollte sich dort ruhig mal die ellenlange Chronik des Vereins anschauen oder nachlesen, was die Medien berichten. Es lohnt sich: manchmal ist Inhalt doch wichtiger als Form. Das eine oder andere Vorurteil dürfte bei der Lektüre auf der Strecke bleiben.
Drama, Taktik und verpasste Chancen
Eins vorweg: der Verfasser dieses Beitrags war etwas schlampig. Als ich die Ergebnisentwicklung online verfolgte, habe ich leider die Reihenfolge der entschiedenen Partien nicht notiert. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich keinen Bericht im Sinn. Aber nach Durchsicht der Partien habe ich meine Meinung geändert. Also sortiere ich mangels Alternativen nach Themen…
Klare Sachen
In dieser Rubrik möchte ich drei Partien vorstellen, die allesamt gewonnen wurden und keinen Zweifel an der sportlichen Rechtmäßigkeit des Ausgangs zulassen.
Am 2. Brett gewann Ilja Schneider für den Lister Turm gegen GM Kovacevic, obwohl dieser zeitweilig einen Bauern mehr hatte. Die Partie illustriert das Thema ‚Guter gegen schlechter Läufer‘. Der GM gab im 62. Zug auf – und hatte immer noch einen Bauern mehr!
Die Gastgeber revancierten sich am 4. Brett und GM Jovanovic führte vor, wie großmeisterliches Positionsspiel aussieht: wie eine Boa constrictor. FM Frank Buchenau war chancenlos.
In die Kategorie ‚Klare Sachen‘ gehört auch eine Partie, die an Dreistigkeit nicht zu überbieten ist. Da spielt der titellose Hannoveraner Anthony Petkidis gegen den gestandenen GM Robert Zelcic (ELO 2536) und greift ihn mit den weißen Steinen so heftig an wie in einer Kaffeehauspartie: er lässt einfach den h-Bauern laufen. Was am schlimmsten ist – der GM steht nach einem Dutzend Zügen auf dem Acker. Wenn es nicht so schön wäre, müsste es verboten werden. Denn Weiß legt auf Restentwicklung keinen Wert und daher ist die Partie nicht ganz jugendfrei 🙂
Drama!
In diese Kategorie hat es nur eine Partie geschafft, und zwar GM Genov gegen FM Vöge. Der Großmeister stand nach 21 Zügen mit Schwarz auf Gewinn, ließ dann aber die Zügel schleifen und die Partie war irgendwann Remis – und zwar ohne Restzweifel. Dann folgte der 33. Zug des Hannoveraners. Das anschließende Bauernendspiel ist ein Massaker, denn ein schwarzer Bauer nach dem anderen stürzt sich ins Messer, um den übriggebliebenen Kameraden freie Fahrt zu ermöglichen. Nichts für Herzkranke…
Alle Partien – auch die restlichen – gibt es hier. Insgesamt spiegelt das 4-4 nicht ganz die zwischenzeitlichen Stellungen wider, denn GM Palac (gegen IM Walter) und GM Zaja (gegen Felix Hampel) standen gut bis sehr gut, aber die beiden Kirchweyher Meister konnten den Sack nicht zumachen. Richtig langweilig war aber keine Partie.
Endstand also 4-4 – und am Ende sorgte ein fettes Plus von 10 Brettpunkten dafür, dass der SK Kirchweyhe den nächsten Schritt in Richtung 1. Bundesliga machen kann. Das passende Gebäude wird bereits gebaut, wie Peter Orantek ankündigte.
Fotos: © 2021 Hellern-Archiv