Quarantäneliga 3: Das Wunder von Hellern

„Manchen mag der Titel angesichts eines 4. Platzes in der Quarantäneliga 3 etwas anmaßend erscheinen. Wenn man ein Wunder aber als etwas Außergewöhnliches versteht, das Erstaunen hervorruft, trifft es auf den vergangenen Sonntagabend zu. Sage und schreibe 19 Schachenthusiasten hatten sich durch Joachims Traum von der 2. Liga inspirieren lassen, ans virtuelle Schachbrett zu gehen und alles zu geben, um die nötigen Punkte zu ergattern“ (ein Gastbeitrag von Reinhold Happe ).

 

Rare Glücksmomente

Gastautor Reinhold Happe

Dass dies auch (fast) gelang, zeigen die faszinierenden Zahlen: So lag bei unseren „Unglaublichen 19“ die Durchschnittsperformance bei knapp 2300. Damit haben sich eigentlich alle den Heldenstatus (qualitativ wie quantitativ) verdient, besonders nahe kam dem angepriesenen T-Shirt mit der entsprechenden Aufschrift unser Top-Scorer Hannes Ewert mit 56 Punkten und einer Performance von 2560. Am Ende wurden wir mit 311 Punkten Vierter. Den Aufstieg schaffte das Topteam Lockdownchess mit 368 Punkten.

Partie 1: DonQuijote23 (2227) – IM SaraciNderim (2696)

Joachim Rein

Doch die Partie des Abends spielte unser Chefmotivator Joachim Rein höchstpersönlich. Am virtuellen Stammtisch erläuterte er beim Après-Schach, dass er nicht eine Sekunde während der gesamten Partie hätte nachdenken müssen, da er den exakten Partieverlauf schon mehrere Male auf dem Brett hatte. Eine besondere Note dabei war, dass sein Gegner, die kosovarische Nummer 1 IM Nderim Saraci, das Turnier mit unglaublichen 95 Punkten und einer Performance von 2650 nach Belieben dominierte, aber von Joachim wunderbar entzaubert wurde.

Partie 2: Ragadingdong (2638) – FMewert (2504)

Unser Held Hannes zeigte, dass es auch einiger Nehmerqualitäten bedarf (Er hörte – wie von Joachim empfohlen – bestimmt den Rocky-Soundtrack im Hintergrund), um in der Spitzengruppe mitzuspielen:

Partie 3: DesertWolfTempo (2477) – SeymourScagneti (2295)

Damit war er nicht allein. Dr. Christian Böttcher schaffte als Weißer noch eine verrücktere Wende, indem er eine -70-Stellung noch in ein Matt verwandelte:

Diese kleinen Einblicke in die 1810 Partien allein in unserer Liga vermitteln etwas von dem Zauber eines Schachabends in Pandemiezeiten. Glücksmomente, die ansonsten rar geworden sind, werden hier immer wieder geboten.

Glück, Kampfgeist und Konsequenz

3…e7-e5?? Und nun?

DKNY79 – K4milW0nderboy: Ramins Sieg mit Weiß in 4 Zügen gehört ohne Zweifel in diese Kategorie. Nicht vergessen sollte man die ELO-Zahlen der Protagonisten: Weiß = 2131, Schwarz = 2354. Hier erinnert sich jeder gern an das Schäfermatt, das man als Anfänger allzu häufig präsentiert bekam. Witzig: in einer in Hengelo im Jahr 2000 gespielten Partie spielte Weiß ebenfalls den Gewinnzug – und verlor im 22. Zug!

Auch Ingo konnte in KubiXPL – Grondzek mit Schwarz nur durch eine glückliche Fügung einer Premove-Falle entgehen. Gerade in Eröffnungen wird häufig mit Premove gespielt (man gibt den Antwortzug ein, bevor der Gegner seinen Zug gespielt hat), um Zeit zu sparen. Pech nur, wenn der Gegner genau darauf setzt. Ingo hatte Sf6 eingegeben, wonach Schwarz simpel den Lg7 kassiert. Doch Ingo zeigt Kampfgeist und spielte ungerührt weiter …  und tatsächlich ‚revanchierte‘ sich Weiß im 22. Zug!

Doch nicht nur Glück und Kampfgeist prägten die Helleraner Partien, sondern auch Konsequenz beim Ausnutzen gegnerischer Ungenauigkeiten. So zerlegte Alex Hoffmann (Partizan100)  mit Weiß gleich in Runde 1 FM Felix Meißner, der mit Kiezking einen freizeiorientierten Nickname gewählt hatte, dennoch mit seinem Team Lockdownchess ehrgeizig den Aufstieg anstrebte:

Warum es für uns trotzdem nicht zum Aufstieg reichte, lag an diesem Tag auch an der Austellung von Lockdownchess, die mit IM Nderim Saraci (2415 FIDE-ELO), FM Felix Meißner (2362 FIDE-ELO), dem Schweizer Nationalspieler GM Nico Georgiadis (2553 FIDE-ELO) und IM Michael Kopylov (2453 FIDE-ELO) gleich vier namhafte Titelträger aufboten. Zudem sollte man wissen, dass nicht wie in den anderen Quarantäneligen die Plätze 1-3 zum Aufstieg führen, sondern nur der jeweils Erstplatzierte der drei dritten Ligen den Sprung in die eingleisige 2. Liga schafft.

Fingerfehler, Damenmatt und andere Petitessen

Nach 31.Dg6-e6+ spielte Christian 31…Kf8.

Wie schon beschrieben trotzten wir den Favoriten immer wieder Punkte ab, verloren aber manchmal auch mit viel Pech: in FM Kiezking – chros wählte Christian Fiekers (Foto) nicht den Gewinnzug.  Trotzdem: seit Christian, einer unserer früheren Topspieler, die Hellern-Crew verstärkt, mausern wir uns immer mehr zu einem Team der 3. Liga. Christian spielt nur selten Schach, hat aber immer noch eine stabile DWZ von 2210! Doch zurück zur Partie. Was spielte der FM nach Christians Königszug?

 

 

Doch auch der Berichterstatter konnte in IM SaraciNderim (2710) – VVV-31 (2210) mit Schwarz einen weiteren Blackout beisteuern, wobei der Ausgleichszug eine tückische Gewinnoption besaß:

Will man diesen „Fingerfehlern“ eine positive Seite abgewinnen, verdeutlichen sie, wie nahe man zeitweise an den Cracks dran war.

Um die ganze Bandbreite des Teams zu würdigen, habe ich einige weitere Perlen des Abends ausgewählt, bitte aber um Entschuldigung, wenn ich eine Glanztat übersehen habe, denn ich muss gestehen, dass ich nicht alle knapp 400 Helleraner Partien sichten konnte:

1. Damenmatt im 10. Zug von Wolfgang Andre (Weiß) in Woelfie123 (2149) – fernando_torres9 (2286).

10. Sd6 1-0

2. Respektremis von Jürgen Grosser (Schwarz) gegen IM Kopylov: IM Laternenpfahl (2485)- mammut77 (2087)

3. Ein Demonstrationssieg unseres Newcomers mit Weiß gegen ein österreichisches Nachwuchstalent: Thure97 (2107) – momster1 (2463)

4. Jörg Stock stellte sich ganz in den Dienst der Mannschaft und trat in dem von ihm ungeliebten 3+0-Format an. Dafür wurde er direkt in der ersten Runde belohnt, wo er sich mit dern weißen Steinen selbst von zwei Damen des Gegners nicht mattsetzen ließ: Chessie07 (2295) – Mirmirri (2324).

5. Auch Locke quälte sich für das Team durch das verachtete Zeitlimit von nur 3 Minuten. Und gewann dabei sogar auf Zeit. Bei seinem 2. Zug kein Wunder! Demonstriert hat er dies mit den weißen Steinen in Lockehart (2061) – elf_1 (2126).

6. Dominik Suendorf zeigte mit Schwarz mustergültiges Konterschach mittels Springergabel in petarpetrovic100 (2138) – Huginn10 (2051):

7. Franz Ernst erwies sich mal wieder als listenreicher Fallensteller – auch mit den schwarzen Steine. Zum Beispiel in steffi05 (1896)-PercyStuart (2128):

8.      Alexander Travica nahm den Namen seines Gegners ernst und ballerte mit den schwarzen Patronen wie im Wilden Westen in doc-holliday (1587) – alexo18 (2024):

9. Patrick Meyjohann ist eh für sein Angriffsschach bekannt. Einfach mal seinen Weißsieg in Branagorn (2021) – Johannab (2014) nachspielen:

10. Stephan unterstütze uns mit seiner 100%-Quote (ein Sieg aus einer Partie) zumindest moralisch. In seiner einzigen Partie führte er gekonnt die weißen Steine: Justus78 (2236)- dinden (2033).

Wem jetzt vor lauter Schachstellungen die Augen flimmern, kann vielleicht nachempfinden, wie es jemandem am Ende eines 100-minütigen Mannschaftskampfes geht. Da braucht man Entspannung. Manche finden diese beim Online-Stammtisch, wo noch einmal einige Erlebnisse des Abends humorvoll verarbeitet werden können. Teambuilding pur oder um zwei Persönlichkeiten der Geschichte zu bemühen:

„Ein bisschen Freundschaft ist mir mehr wert als die Bewunderung der ganzen Welt“ (Otto von Bismarck).
„Wer sich nicht mehr wundern und in Ehrfurcht verlieren kann, ist seelisch bereits tot“ (Albert Einstein).
Quelle: Lichess

Turnierseite: https://lichess.org/tournament/LyGdlSo6

Nachspiellink

Fotos: © SV Hellern: 2007, 2021