1½-2½ hieß es am Ende gegen Lasker-Steglitz. Und ja, Hellern hätte auch gewinnen können. Don Quijote aka Joachim Rein kämpfte erfolgreich gegen die Windmühlen und konnte ein hoffnungslos verlorenes Endspiel umdrehen. Aber kurz danach was alles wieder futsch. Aber wir hatten unser Glück bereits überstrapaziert, als ein Berliner mitten im Mattsetzen die Dame einstellte. Die Niederlage geht in Ordnung, aber sehenswert waren die meisten Partien.
Zum Haarausraufen? Klar!
Trichotillomanie findet man in jedem Handbuch der Pyschopathologie. Die Unglücklichen reißen sich die Haare aus – und das ist wirklich eine ernsthafte Krankheit. Man kann dies auch aus Verzweifelung tun, aber als Redakteur muss man sich beherrschen. Trotzdem: Wenngleich das Ergebnis sportlich o.K. war, waren die Einzelheiten pikant – gelinde gesagt.
Fangen wir hinten an. Stefan Grasser verlor gegen Alexander Vinogradov. Der gleichnamige IM war es wohl nicht, denn der hat seit geraumer Zeit keine Figur mehr gezogen. Es handelte sich wohl eher um ein Nachwuchstalent des 1909 gegründeten Berliner Traditionsvereins, der mit den SV Wilmersdorf fusionierte und nun SG Lasker Steglitz-Wilmersdorf heißt.
Der Berliner hatte 10.Lf4 gespielt, wonach schlicht Se5-g6 droht. Nun konnte Stefan mit 10…c5 gewinnen. Zugegeben: ein irrer Zug. Aber für den Th8 bekommt Schwarz sehr viel Material. Stattdessen folgte 10…Dd8 11. Te1 Sb8-d7. Letzteres ist eine Neuerung, die aber bislang keiner gespielt hat, weil nun 12.Sxf7 auf der Stelle gewinnt. Das sah Stefans Gegner aber nicht. Dafür sah Alexander Vinogradov wenig später einen blitzsauberen Einschlag. Im 24. Zug war der Sieg für den Berliner dann perfekt.
Am 3. Brett waren die Berliner mit dem Haarausraufen dran. Franz Ernst hatte mit Weiß gegen das Caro-Kann seines Gegners einen Zug gewählt, der eigentlich zum Repertoire von Patrick Suendorf gehört. In der Folge wählte Franz im 10. Zug den zweithäufigsten Zug. Aber Stockfish schüttelte den Kopf, senkte den Daumen und murmelte: „Das ist verloren!“ So war es auch, der Berliner muss es gehört haben. In der Diagrammstellung musste er nur noch e3-e2 spielen. Stattdessen geschah Df1xf3+?? Warum war das ein Fehler?
Etwas seriöser? Klar!
Dafür gab es am 2. Brett eine Partie eine Partie, in der die Kontrahenten keinen einzigen Fehler machten. Die Schachfreunde Meyjohann und Idelsohn spielten also perfektes Schach, und dies mit einer Präzision, die nicht mal Magnus Carlsen hinkriegt. Die Engine zeigte ständig 0.00 an, das Remis war das einzig logische Ereignis. Und der Spaßfaktor? Es gab keinen. Perfektion ist meistens sterbenslangweilig. Dafür war Patrick am Ende mit 3½ P (5) der mit Abstand beste Spieler des Teams.
Lieber großes Kino? Klar!
Joachim Rein hat seinen Cervantes sich gründlich studiert, aber ein „Ritter von der traurigen Gestalt“ ist er nicht. Sein Kampf gegen die Windmühlen besteht darin, den ausanalysierten Varianten eigene Ideen entgegenzusetzen. Aber diesmal hätte er einen Sancho Pansa an seiner Seite gebraucht, der ihm den Gewinnzug sicher zugeflüstert hätte.
Weiß hatte zuvor seinen f-Bauern geopfert, um mit dem König in die Stellung eindringen zu können. Wohl hoffend, dass ihm der schwarze f-Bauer nicht davonläuft. Tut er aber. Dazu hätte Joachim aber zuvörderst mit b5-b4 eine unglaubliche Variante finden müssen, in deren Verlauf er sogar seinen Läufer auf a2 opfert. Das hätte sicher auch Cervantes gefallen. Leider spielte Don Quijote Kb6-c7, was prompt verlor. Trösten wir uns mit einem Spruch von Miguel de Cervantes: „Das Leben ist wie eine Partie Schach.“ Umgekehrt funktioniert das auch.
Die Partien zum Nachspielen
Paarungen und vorläufige Tabelle
Tschüss, DSOL!
Hellern 2 war in dieser Liga gut aufgehoben. Zwar sind noch nicht alle Matches beendet, aber schlechter als Platz 5 geht nicht mehr. Zwar konnte unsere Zweite bei der Aufstellung etwas mehr Konstanz ans Brett bringen als die Erste, aber trotzdem waren Ersatzgestellungen nötig. Und die konnten mit 2 P (8) nicht wirklich entscheidend helfen. Also mit 50% im gediegenen Mittelfeld.
Auch wenn bei Online-Turnieren immer wieder befürchtet werden muss, dass einige „Sportsfreunde“ cheaten, stimmt die Bilanz. Das Turnier war vom Erlebnis- und Unterhaltungswert mehr als nur ein Lückenfüller in Corona-Zeiten. Was man als Amateur im Präsenzschach nur selten erlebt, war das Aufeinandertreffen von Meistern und Amateuren. Nicht nur bei Lichess, sondern auch bei der aktuellen DSOL kam dies regelmäßig vor. Und online gelingt einem dann auch mal das, was Paul Wielebinski (Osnabrücker Schachverein) schaffte: er schlug GM Alexander Donchenko
(ELO 2681) mit den schwarzen Steinen. Chapeau!
Fotos: ©Hellern-Archiv 2021