Alter Mann, was nun?
Mit dieser Frage sah ich mich konfrontiert, als ich am Freitagnachmittag den Zug bestieg und Richtung Braunschweig fuhr anstatt den Heimweg nach Duisburg anzutreten. Die Landesblitzmeisterschaften in Niedersachsen sowohl im Einzel als auch in der Mannschaft standen an. Warum sollte ich mich der Strapaze aussetzen, mich von jungen, ausgeruhten Blitzexperten abziehen zu lassen? Die Antwort gibt Reinhold in seinem Gastbeitrag
Ein erhabenes Gefühl ohne Grübeleien
Ganz einfach, weil ich es ertragen kann. Weil ich gerne Schach spiele und weil die Mannschaft einen vierten Mann brauchte. Zum Grübeln gab es keinen Anlass.
Als ich am frühen Abend Braunschweig erreichte und aus meinem Hotelzimmer blickte, lag mir der Weihnachtsmarkt zu Füßen und der Dom im Hintergrund vermittelte ein erhabenes Gefühl, alles richtig gemacht zu haben. Froh gestimmt kehrte ich noch bei einem Türken ein, der ein fabelhaftes Menü kredenzte. Hierzu merkte meine Frau nur an, dass ich dies auch in Duisburg hätte haben können 😉 Der strömende Regen am Samstagmorgen konnte meinen Weg zum Spiellokal nicht stoppen, meine Mannschaftskollegen Christian, Hannes und Holger trafen nach und nach ein.
Das Dreamteam
Die Ausgangssituation der Helleraner war sicherlich unterschiedlich. Während Hannes und Christian zu erweiterten Favoritenkreis zählten, Holger immer unberechenbar ist, war ich eher krasser Außenseiter, da mir jedwede Blitzpraxis am Brett fehlte.
Über den erfreulichen Ausgang der Blitz-Einzelmeisterschaft hat Otto bereits berichtet: Hannes siegte und Christian wurde Fünfter, während Holger und ich eher unzufrieden mit unseren Ergebnissen waren. Doch damit war der Tag nicht zu Ende: Da (fast) alle Partien des Tages digital vorlagen, wurde die abendliche Analysesession eingeleitet. Für den Mannschaftswettkampf am Sonntag sollte jeder optimal vorbereitet sein. Ausreichend Proviant dafür konnte auf dem Weihnachtsmarkt organisiert werden. Bis Mitternacht analysierten wir das Eröffnungsrepertoire unserer vermutlich stärksten Konkurrenten und legten eine Mannschaftsstrategie für jeden Wettkampf fest. Mehr als ein Bier pro Kopf war verboten.
Alpträume und der Tag der Wahrheit
So gestählt gingen wir in den Sonntagmorgen. Fast – denn unser vierter Mann fehlte. Wo war Holger? Doch bevor Panik aufkam, erschien er schwer angeschlagen auf der Treppe des Hotels und erzählte, dass er von einem fürchterlichen Alptraum heimgesucht worden sei, in dem wir die halbe Nacht analysiert hätten, um die sonntäglichen Partien vorzubereiten.
Wir konnten ihn beruhigen. Denn tatsächlich waren wir nach dem Einzelturnier, verstärkt mit Matthias Tonndorf aus Hameln und Fabian Stotyn aus Nordhorn-Blanke, zum Essen in die Braunschweiger City aufgebrochen, um dort die Nahrungsdefizite des Turniertages auszugleichen. Im orientalischen Ambiente des Restaurants gab es sogar die ein oder andere Tanzeinlage. Details werden hier nicht verraten. In jedem Fall gab es nicht die geringste Chance, über verpasste Punkte lange nachzugrübeln.
Es konnte also losgehen. Alle Bretter waren verkabelt, sodass einer umfassenden Liveübertragung nichts im Wege stand. Vielen Dank den (ehrenamtlichen) Mitarbeitern des NSV dafür.
So saßen wir am Sonntag um 11 Uhr wieder am Brett. 15 Mannschaften waren am Start. Gespielt wurde „doppelrundig“ (einmal hatte die komplette Mannschaft Weiß und im direkten Rückspiel Schwarz). Die Einzelergebnisse wurden addiert und ergaben wie bei jedem Mannschaftskampf zwei, einen oder keinen Mannschaftspunkt(e).
Für den SV Hellern begann das Turnier hart: Gegen die Jugendtruppe aus Lehrte setzte es eine knappe und unglückliche 3,4-4,5-Auftaktniederlage. Doch davon erholten wir uns schnell durch drei Siege über Gifhorn, Braunschweig und Wolfenbüttel. Dann wartete Hameln auf uns und fertigte uns im Hinspiel mit 3,5-0,5 ab, doch wir schafften die Wende und glichen im Rückspiel zum 4-4 aus, wobei sogar ein Sieg möglich war. Die Moral stimmte also. Das bekamen auch Hildesheim, Stade und Cadenberge zu spüren.
Der Halbzeitstand nach 8 Runden waren also 13-3 Punkte. Damit lagen wir im Kampf um einen der ersten vier Plätze, die für die Norddeutschen Blitzmeisterschaften qualifizieren, gut im Rennen.
In Runde 9 erwarteten uns die Oberligakonkurrenten aus Uelzen. Wieder gab es eine unnötige 3,5-4,5-Niederlage. Das Glück wollte sich einfach nicht zu unserer Seite wenden. Doch Aufgeben gilt nicht. Es folgten Siege gegen Zwischenahn und Vechta, was uns vor den entscheidenden Spielen 17-5 Punkte bescherte.
Nach unserer Freirunde folgte das vorentscheidende Lokalderby gegen Nordhorn-Blanke. Und zum dritten Mal verloren wir unglücklich mit 3,5-4,5. Damit waren unsere Chancen auf Platz 4 nur noch theoretischer Art. Dennoch mobilisierten wir alle Kräfte und schlugen zunächst Lister Turm 2 deutlich und schafften dann die Überraschung, den bis dahin verlustpunktfreien Tabellenführer Lister Turm 1 zu besiegen. Nit 4,5-3,5!
Es ging doch, aber leider war das Turnier damit zu Ende und wir mussten uns mit einem fünften Platz begnügen. Ein Punkt hat gefehlt …
Dennoch haben alle im Team fleißig Punkte gesammelt: Hannes 17,5; Christian 14, Holger 18 und ich, Reinhold, als Top-Scorer 21,5 Punkte. Damit gewann ich die Brettwertung an 4 und holte die drittmeisten Punkte insgesamt. Eigenlob stinkt, aber wenn man am Vortag die Nr. 21 von 24 Teilnehmern wird, darf man sich auch mal laut freuen.
Wie knapp es manchmal zuging, belegen einige unserer Partien. Ich habe vier Highlights und vier Blackouts ausgewählt. Jeder Schachspieler wird die Emotionsschwankungen nachempfinden können …
Highlights
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Blackouts
Alternativer Nachspiellink
Über einige organisatorische Unzulänglichkeiten (eine fehlende Mittagspause, gestartete Uhren beim Toilettengang zwischen den Runden) wird sicherlich noch zu reden sein, damit sich dies in den kommenden Jahren nicht wiederholt.
Als ich am Sonntagabend um kurz vor Mitternacht wieder in Duisburg war, überwog bei weitem die Freude über das Event alles andere. Ein ganz großes Dankeschön an meine Mitspieler für den Teamspirit, die rettenden Brötchen, den Fahrservice, die tollen Partien und Geschichten.
Es hat Spaß gemacht.
Fotos: © Happe 2024, Hellern-Archiv