LEM Verden: Es lief nicht rund!

Nach dem Bericht über das Neujahrs-Open in Berlin folgt die Bilanz über das zweite der drei Januar-Turniere. Die Rede ist von der Landesmeisterschaft des NSV, die wieder einmal in Verden ausgetragen wurde und mittlerweile ein Turnier-Klassiker im Norddeutschen Raum ist. Genauso wie in Berlin holte sich die Helleraner Delegation einige blaue Flecken. Warum das der Fall war, werden wir genau unter die Lupe nehmen. Update: Hartmut Weist reichte noch eine Anekdote aus dem B-Open ein. Ein echter Knaller!

Wer war am Start?

Sicher sind die Ambitionen von Schachspielern unterschiedlich, aber verlieren will keiner. Die meisten fahren aber nicht zu einem Turnier, um ihre Rating zu verbessern. Sie wollen Schach spielen, am liebsten zusammen mit Mitstreitern aus dem Verein.
Ginge es um die DWZ, dann dürfte man die LEM nicht buchen. Denn dort sind viele Nachwuchsspieler am Start, die bestens ausgebildet sind, gelegentlich sogar mit ihrem Trainer anreisen und mit einer DWZ/ELO-Rating antreten, die ihr Leistungsvermögen nicht angemessen widerspiegelt. Und für gestandene Vereinsspieler wird es dann schon mal schwer. Genau das passierte.
Der Veranstalter orientierte sich an der ELO. Allerdings waren in den meisten Fällen die DWZ-Zahlen bei den Spielern deutlich besser. Aus diesem Grund wurden für die Datenerfassung die DWZ-Zahlen vor dem Turnier ermittelt. Nach dem Turnier hatten einige Jungspieler dann plötzlich 100-150 Punkte mehr auf dem Konto. Das rückt einiges zurecht.

Quelle: NSV

Wie der Überblick zeigt, haperte es mit dem Gewinnen. Vier Siege aus 28 Partien ist natürlich nicht das, was man sich wünscht. Schaut man sich die Partien an, so sah man Battle Chess: es ging hoch und her, auch drunter und drüber. Und häufig genug standen die Helleraner in ihren Partien sowohl auf Gewinn als auch auf Verlust.
Wenn etwas aber auffälig war – und das gilt auch für das Berliner Turnier und das Staufer Open -, dann waren es die Turmendspiele, die in der Regel schlecht ausgingen. In Verden büßte auf diese Weise ein Spieler einen Punkt ein, weil er eine technische Remisstellung verlor und ein deutlich gewonnenes Endspiel remisierte. Das kann man durch Training optimieren, auch wenn Endspiele viele Spieler langweilen. Aber über einen längeren Zeitraum holt man sich einfach viele Punkte, die sonst futsch wären!
Im Folgenden werden einige Partien vorgestellt, die schachlich eine gute Qualität haben und unterhaltsam sein sollen. Über die Endspiele wird (vieleicht) ein eigener Beitrag folgen. Fangen wir an!

A-Open

Das A-Open wurde von IM Jonathan Carlstedt gewonnen. Der haushohe Favorit setzte sich mit 100% durch, gefolgt von Tobias Kügel, der einmal verlor und sechsmal gewann. Dritter wurde Ingmar Bennemann (SG Osnabrück) mit 5½ P. Ein Riesenerfolg – wir gratulieren unserem Nachbarn.
74 Spieler waren am Start und der eine oder andere 2000er fand sich am Ende im unteren Tabellendrittel wieder. Dafür gelang dem einen anderen Talent der Sprung nach oben, z.B. Michelle Trunz von der SG Porz, die mit 4½ P auf Platz 14 landete. Ihre Schwester Tamila – sie wird in der Jussopow Schachschule ausgebildet – war dagegen im B-Turnier unterwegs, wo sie Niels Dettmer am Brett begegnete. Dazu später mehr.

Unbedingt erwähnt werden muss die digital Performance der Ausrichter  – sie war überwältigend gut. Live-Partien an den meisten Bretter – zu sehen bei ChessBase (Beispiel Meisterturnier), Lichess, Chess24 und Twitch.tv., dem Web Channel (Beispiel). Besser geht es nicht.

Score Dr. Norbert Schütt
Quelle: Niedersächsischer Schachverband

Norbert startete mit 1 (3) gegen gute Gegner keineswegs enttäuschend, aber etwas verhalten, da in der ersten Partie mehr drin war. Echte Rückschläge waren die Runden 4 und 5.  Gegen Dr. Ploog (die Nr. 10 beim Oberligisten SK Ricklingen landete auf Platz 17) verlor er nach starker Leistung aufgrund eines einzigen Fehlers, gegen Marvin Kieselbach (SK Lehrte; Platz 45 mit 3 P) ging ein Turmspiel in den Orkus.
Tom Möller, Norberts Gegner in Runde 6, wurde 2019 Vize-Landesmeister in der u 10. Norbert stand mehrfach auf Gewinn, konnte aber den Sack nicht zumachen. Fazit: mit mehr Spielglück waren bis zu 1½ mehr möglich.

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B-Open

86 Teilnehmer waren am Start. Wie stark war das Turnier? Nach Angabe einiger Statistiker ist der durchschnittliche Vereinsspieler im Bereich 1300-1600 zu finden. Demnach waren im B-Open 19 überdurchschnittliche Spieler und Spielerinnen am Start. 96% der Spieler scheitern an der 2000er-Marke, nur 1,2% knacken die 2200 – also Hut ab vor unseren Oberliga-Spielern! Allerdings besitzen Zahlen eine flüchtige Natur, wenn die Spielstärke ihnen davoneilt. Dazu später mehr.

Erster wurde Horst Nordhorn mit +5 =2 -0. „Das hätte ich im Vorfeld niemals erwartet!“, gestand der Sieger der Verdener Kreiszeitung überrascht. SF Nordhorn ist nebenbei ist Nordhorn auch Vorsitzender des neugegründeten SC Läuferpaar Verden, also ein schachlicher Nachbar des SK Verden. Sein Erfolg wird nicht dadurch geschmälert, dass der Verdener sich den ersten Platz mit David Tulchynsky (Nr. 70 der Startliste mit TWZ 1295!) und Hannes Dralle (Nr. 12 der Startliste) teilen musste. Turniersieger wurde Nordhorn aufgrund der deutlich besseren Buchholz-Wertung.

Score Hartmut Weist
Quelle: Niedersächsischer Schachverband

In diesem Feld konnte Hartmut mit Platz 30 zufrieden sein, zumal er nur 1x verlor und 50% aller Helleraner Punkt einsackte. In Runde 6 remisierte er mit dem Wildeshausener Stadtmeister Silas Richter. Ob Niels Dettmer zufrieden war, bleibt Spekulation. An Nr. 7 gesetzt landete er auf Platz 47.

Update

Nachdem Hartmut diesen Bericht gelesen hatte, servierte er der Redaktion noch eine Anekdote, die (fast) unglaublich ist. „Fast“, weil sich etwas Ähnliches bereits vor 35 Jahren ereignet hatte. Schauen wir uns die Diagramme an:

In der letzten Runde hatte Hartmut 32.Tg8 gespielt, was der Anziehende mit 33.Th3+ und dem Kommentar: „Matt!“ konterte (linkes Diagramm). Hartmut war kurz vor einem Adrenalin-Schock. Hatte er diesen Einzüger tatsächlich übersehen? Kurz bevor er seinem Gegner anerkennend die Hand reichen wollte, sah er plötzlich etwas Unglaubliches! Aber was?
Kaum zu glauben, das Ganze. Sofort fiel mir eine alte Geschichte ein. In einem Bezirksklassen-Wettkampf hatten sich Reinhard Felthaus (Weiß) und Martin Hart einen erbitterten Kampf geliefert, den Felthaus mit 27…Lh3+ und dem freudigen Ruf „Matt!“ beendete (rechtes Diagramm). Besser gesagt: Er wollte ihn beenden. „Locke“ zögerte nicht und spielte 28.Lc1+ mit dem lapidaren Kommentar: „Selber matt!“
Danach waren noch Jahre später bei uns einige Aktive davon überzeugt, dass man niemals seinen Gegner mattsetzen dürfe. Man nahm lieber Bauern, mit der nötigen Vorsicht auch mal eine Figur. Aber Matt? Auf keinen Fall! Es war eine Seuche.
Und was lernt man daraus? 1. Nichts. Shit happens. 2. Schach kann lustig sein. Aber nie für beiden Spieler 🙁 3. Eine Partie endet, wenn der Gegner aufgibt, aber nie mit einem Matt. Wir wissen ja jetzt, was dann passiert. 🙂

Score Niels Dettmer

Auch Niels verlor nur einmal, dafür remisierte er 5x. Die einzige Niederlage kassierte er in Runde 1 gegen Tamila Trunz (Nr. 50 der Startliste). Dies und auch TWZ, DWZ oder ELO sind Schall und Rauch. Tamila ist amtierende u12w-NRW-Meisterin und wurde bei der DJEM 2022 Deutsche Vizemeisterin. Sie ist DSB-Kaderspielerin und wird in der Jussopow-Schachschule ausgebildet. In Verden sattelte sie 105 DWZ-Punkte drauf (Neu: 1783) bei einer Turnierleistung von 1940.
Kaum besser erging es Niels mit Mark Tulchynsky. Der u14-Spieler verbesserte sich  ’nur‘ auf DWZ 1579. Nur am Rande: Tulchynsky kam bereits in der Jugend-Bundesliga zum Einsatz.
Solche Spieler und Spielerinnen begegneten unseren Aktiven turnier- und ratingübergreifend in allen Januar-Turnier. In Schwäbisch Gmünd seufzte Jörg: „Warum sind die 1900er so stark?“ In Berlin erlebte man Ähnliches.

Es ist wie in Star Trek mit den Borg: „Widerstand ist zwecklos!“

Score Frank Pfeifer

Frank hatte einen schlechten Start, konnte am Ende aber versöhnliche 2 (3) holen. Auch er bekam die Wucht der Talente zu spüren, als in der 2. Runde gegen Mattis Fels (Hagener SV) antreten musste. Mattis hatte bereits der JLEM u10 gut performt. In Verden gewann er über 270 DWZ-Punkte hinzu bei einer Turnierleistung von sage und schreibe >1800.
Wer also fragt: „Warum können die denn keine Kinder besiegen?“, dem sei erwidert: „Mach es vor!“ Man muss sich halt daran gewöhnen (wie im Staufer Open hautnah von einem Spieler erlebt!), dass sich 9-Jährige langweilen, wenn sie gegen einen gestandenen 1800er spielen müssen – und dann cool gewinnen!

Hier eine Partienauswahl aus der B-Gruppe:

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Alternativer Nachspiellink Gruppe A und B

Fotos: © Hellern-Archiv 2023