Verbandsliga: Klar verloren, aber extrem gut!

In Ermangelung eines Berichts vom Auftreten der Dritten in Lingen versucht die Redaktion mit denkbar ungeeigneten Mitteln, fehlende Fakten durch phantasievolle Erzählungen zu ersetzen. Real, und das ist gewiss, sind die Partien. Und in ihnen geschah Wundersames.

 

Präliminarien

Natürlich verliert man gegen Lingen. Es ist ein Naturgesetz. So wie der Apfel vom Baum fällt. Fünf FM und eine WFM sind nicht zu stemmen, auch wenn man mit sieben Aktiven anreist, was ja bekanntlich Kräfte freisetzt. Hat es zwar, doch das Parkhaus des Bundesligisten SV Lingen reichte zum bislang knappsten Sieg des Aufstiegskandidaten aus dem Emsland. Wechseln wir also das Thema…

Kleine Wunder: Akt 1

Uwe Kuchemüller

Über zweieinhalb Jahre ist es her. Im Februar 2017 scheiterte Uwe ganz knapp bei dem Versuch, dem Lingener FM Milan Kandic ein Remis abzunehmen. Mehr noch: er stand zuvor fast auf Gewinn. Dann wurde er im Springer-Endspiel ausgetrickst. Da kann man achselzuckend zur Tagesordnung übergehen: Amateure verlieren immer, werden einige Kiebitze murmeln.
Stimmt nicht. Und da weiß man auch. Nur sind die Momente, die eine Ausnahme bilden, halt selten. Aber schaut man in Uwes Bewerbungsunterlagen, so stehen da immerhin ein Sieg gegen einen 2000er (ist fast 20 Jahre her, Karsten Krumwiede hieß der Unglückliche) und etliche geplättete 1900er auf seiner Weiß-Liste. Zuletzt Matthias Feist in der Landesliga 2016/17. Klar, mit Schwarz ist das ungleich schwerer.

9.g3-g4 mit den üblichen Folgen

Genug der Vorrede. Gegen FM Alexsandar Milosevic (ELO 2245) schickte Uwe im 9. Zug wieder seinen g-Bauern auf die Reise. Das ist ein Running Gag, seit Jahrzehnten schon. Dabei ist es eine aggressive Auslegung des Grand-Prix. FM Milosevic hatte mit dem Ganzen nur wenig Probleme und spulte das übliche Widerlegungsprogramm runter: Gegenspiel im Zentrum, Anknabbern der vorgerückten weißen Zentrumsbauern. Und hätte der Lingener den Springer anstatt eines Bauern nach d4 beordert, wäre es Weiß schlecht bestellt gewesen.

So aber fightete „Brösel“, nahm dem Meister erst die bessere Stellung ab und stand dann sogar auf Gewinn. Diese dramatische Wende ist beinahe schöner als der halbe Zähler. Der Apfel war zwar zu Boden gefallen, löste sich aber vom Boden und schwebte wieder zum Stiel.
Am Ende wählte Uwe den sicheren Weg. Noch einmal in besserer Stellung wollte er sich nicht austricksen lassen. Verständlich. Nachspiellink.

Kleine Wunder: Akt 2

Niels Dettmer

Der serbische FM hatte 1997 noch eine ELO von 2315, dann folgte ein Zwischentief, aber zuletzt ging es wieder kontinuierlich nach oben. Und nun saß Niels Dettmer also jenem Spieler gegenüber, der Uwe 2016/17 das Springer-Endspiel versaut hatte. Aber Niels war der Zweite, der sich erfogreich gegen die Übermacht des Gegners stemmte. Hier sah es aber ganz anders aus – es gab keine Ups oder Downs. Niels stand einfach gleich. Vom Anfang bis zum Ende. Also keine dramatischen Aha-Effekte. Dafür aber eine gewaltige Seeschlange.


Das Damenendspiel war dann Remis, was Niels auch korrekt nachwies. Nur einmal verrechnete er sich, aber das nur einer Variante, die er angegeben hatte. Dort übersah er ein Matt in 78. Sollte nicht vorkommen… 🙂
Spaß beiseite. Das war eine stramme Leistung, wenngleich das Ganze nicht die Spannungseffekte erzeugte, die einer Partie zum Thriller machen. Aber mit Schwarz gegen einen FM durchgehend nichts anbrennen zu lassen, ist eine Topleistung. Das Synonym dafür lautet „Qualität“ und auch hier galten nicht die Regeln der Schwerkraft. Nachspiellink.

Epilog

Zu den den erfreulichen Partien des Wettkampfes gehörte auch Arne Böhme-Reinhard Paul. Reinhards Form zeigt momentan einen erfreulichen Aufwärtstrend. Mit Schwarz fand er gegen den starken Lingener zudem eine überzeugende Neuerung: Nachspiellink.

Kommen wir nun zu Robert Gillenkirch. Der spielte zwar nicht mit, aber sein unlängst geäußerter Wunsch, man möge die Jugend Turnendspiele trainieren lassen, schwebt wie ein Damoklesschwert über der Partie am ersten Brett. Dort setzte sich FM Zyon Kollen gegen Thomas Grosser durch. Thomas‘ Talent ist vielversprechend – und am 1. Brett unserer Verbandsliga-Mannschaft bekommt er fordernde und fördernde Aufgaben.
Gegen den Lingener setzte er sich energisch zur Wehr, aber der momentane Unterschied von über 500 Ratingpunkten schlug sich dann mittelfristig im positionellen Bereich nieder. Interessant ist, dass sich auch in (fast) verlorenenen Stellungen gelegentlich Last Minute-Chancen ergeben. So auch hier: Thomas konnte tatsächlich den Übergang in ein sehr remisliches Turmendspiel erzwingen: Nachspiellink

Unterm Strich machte diese Vorstellung Mut. Laut LigaOrakel ist die Dritte nur mit einer Abstiegswahrscheinlichkeit von 27% belastet. Eine extrem gute Leistung, wenn man bedenkt, dass in den 24 Auftaktpartien nur zehnmal Stammspieler eingesetzt werden konnten. Vor diesem Hintergrund hat Lingen 2 verdient gewonnen – wir aber auch, auch wenn’s nicht der Wettkampf war.

Fotos: © Hellern-Archiv