Oberliga: Göttingen spielte stark – Hellern gewinnt

Am Ende verdientes 5-3 für Hellern
Wenn man nach personellen Veränderungen und Ausfällen ohne Zwei antreten muss, kann alles passieren. Die Gäste aus Göttingen hatten allerdings noch größere Probleme: der SC Tempo musste gar vier Stammkräfte ersetzen. Und überhaupt: In der Oberliga Nord West traten in Runde 1 nur wenige Teams mit halbwegs vollständiger Aufstellung an.

Zunächst war die Skepsis groß

Es haben schon einige Mannschaften in Hellern unglücklich verloren. Der SC Tempo Göttingen hat sich in diesen Kreis eingereiht. Ein großes Kompliment an das ersatzgeschwächte Team, denn was die Gäste aus der Universitätsstadt an Kampfgeist und Widerstandwillen ablieferten, war top. Wer nach gut zwei Stunden die Reihen abschritt, sah eher viele Probleme für die Gastgeber, aber keine klaren Vorteile.
Dennoch arbeitete sich unser 1. Mannschaft eine 2-1-Führung heraus, an der Martin „Locke“ Hart mit einem Remis gegen Frank Kohlmeier recht früh beteiligt war.

Hart – Kohlmeier (r.): schnelle Punkteteilung

Am Brett 1 hatte sich FM Florian Armbrust einiges vorgenommen: es war eine von zwei Partien, in denen die Gäste in der Spanischen Partie die Abtauschvariante wählten. Und tatsächlich kam Carsten ins Grübeln.

Armbrust – Lingnau: harter Kampt um das Remis

Der Göttinger konnte unserem Spitzenspieler einen Bauern abknöpfen, aber Carstens Routine und seine gute Technik führten schnell zur Punkteteilung. Offen blieb, wo denn nun die vollen Punkte herkommen sollen.
Zum Glück gab Thorben Weist eine Antwort. Thorben ist der zweite Jugendliche, der mittlerweile Stammkraft in der Ersten ist. Gegen den an Brett 11 gemeldeten Lothar Karwatt spielte er eine völlig humorlose Partie.

Thorben Weist (l.) – Karwatt: die erste Gewinnpartie

Das Ganze war ziemlich abgebrüht. Thorben spielte sehr vorsichtig, aber eben auch sehr genau und überließ es dem Gegner, den entscheidenden Fehler zu machen.

[Event „Oberliga Nord-West 2017/18“]
[Site „Hellern“]
[Date „2017.10.08“]
[Round „1“]
[White „Weist“]
[Black „Karwatt“]
[Result „1-0“]
[ECO „C09“]
[WhiteElo „1975“]
[BlackElo „2096“]
[Annotator „Thal“]
[SetUp „1“]
[FEN „3rr1k1/p1qbnppp/8/3p4/8/1N4P1/PP2BPP1/R2QR1K1 w – – 0 20“]
[PlyCount „31“]
[EventDate „2017.??.??“]
[EventType „team“]
[EventRounds „9“]
[EventCountry „GER“]
[SourceTitle „Bulletin“]
[Source „Dr. Ortwin Thal“]
[SourceDate „2015.08.08“]
[SourceVersion „1“]
[SourceVersionDate „2015.08.08“]
[SourceQuality „1“]

20. Rc1 $14 {In der Oberliga in einer für Schwarz spielbaren Variante nach 20
Zügen besser zu stehen, das hat Thorben schon sehr gut gemacht.} Qd6 21. Qd2
Nc6 22. Nc5 Bc8 23. b4 Re7 $2 (23… d4 {war etwas besser.}) 24. Bb5 Ne5 25.
Qf4 f6 26. Rcd1 Qb6 27. Ba4 Ng6 $2 {Während Thorben ziemlich genau spielt,
schiebt der Göttinger gelegentlich Ungenauigkeiten ein.} (27… a5 28. a3 $13)
28. Qd4 Rxe1+ 29. Rxe1 Qd6 30. Bb3 $16 Kf8 31. Rd1 ({oder} 31. a4) 31… Ne7
32. a3 a6 33. Bc2 Nf5 $2 34. Bxf5 Bxf5 35. Nb7 {Thorben spielte sehr
kontrolliert und ohne unnötige Risiken. Ein sehr guter Saisonauftakt.} 1-0

Tammo Lewin musste sich an Brett 7 mit dem sehr stark spielen Benjamin Löhnhardt herumschlagen. Die Initiative hatte zweifellos der Göttinger, aber Tammo konnte in einem komplizierten Endspiel die Stellung zusammmenhalten: Remis und 2½ – 1½ als neuer Zwischenstand.

Loehnhardt (l.) – Lewin: Tammos Defense hielt stand

Starker Schlusspurt des Gäste

Für Entspannung sorgte die knappe Führung nicht. Julian Zur Lage und Reinhold Happe standen kritisch, Jörg Stock hatte einen Bauern eingebüßt und bei Hannes war nichts Konkretes zu erkennen. Doch dann war es unser junger FM, der den Bock umstieß.

Ewert (l.) – Böttcher: Entscheidung in der Zeitnotphase

Der Göttinger hatte mit einem gut gespielten Holländer im 25. Zug den Ausgleich geschafft und ließ bis zur Zeitnotphase nicht viel anbrennen. Hannes hatte sich einen kleinen Vorteil erspielt, musste dann aber mit einem Fesselungsmotiv klar kommen. Lästig!

[Event „Oberliga Nord-West 2017/18“]
[Site „Hellern“]
[Date „2017.10.08“]
[Round „1“]
[White „Ewert“]
[Black „Boettcher“]
[Result „1-0“]
[ECO „A86“]
[WhiteElo „2266“]
[BlackElo „2188“]
[Annotator „Thal“]
[SetUp „1“]
[FEN „3r1k2/p1r2bbp/1pR2np1/4N3/R7/1P3PP1/P4BBP/6K1 b – – 0 35“]
[PlyCount „58“]
[EventDate „2017.??.??“]
[EventType „team“]
[EventRounds „9“]
[EventCountry „GER“]
[SourceTitle „Bulletin“]
[Source „Dr. Ortwin Thal“]
[SourceDate „2015.08.08“]
[SourceVersion „1“]
[SourceVersionDate „2015.08.08“]
[SourceQuality „1“]
[WhiteTeam „SV Hellern“]
[BlackTeam „SC Tempo Göttingen“]
[WhiteTeamCountry „GER“]
[BlackTeamCountry „GER“]

35… Rd1+ {Hannes und sein Gegner waren in leichter Zeitnot. In so einer
Situation ist eine Fesselung unangenehm.} 36. Bf1 Rxc6 37. Nxc6 Bd5 {Das hatte
ich erwartet, aber der Zug ist schlecht.} ({Stockfish 8 64:} 37… Be8 38. Rc4
Bd7 {[%cal Rd7h3] so geht es auch.} 39. g4 h5 40. h3 Nd5 41. Nxa7 Be5 42. a4
Nf4 43. Be3 Nxh3+ 44. Kg2 Rb1 45. Kxh3 Rxf1 46. Kg2 Rb1 47. Bd4 Bb8 $11 {
und die Engine hält die Stellung für gleich.}) 38. Ne5 $1 (38. Rd4 {will die
Fesselung loswerden, aber} Rxf1+ (38… Rxd4 39. Nxd4 $16) 39. Kxf1 Bxc6 $17)
38… Ne8 39. Rd4 {Jetzt geht dies.} Rxd4 40. Bxd4 Bxe5 $2 {à tempo gespielt
und offenbar nicht das Beste.} (40… Ke7 41. f4 $16) 41. Bxe5 $18 Bxf3 {
den hat er nun, aber der Preis ist hoch.} 42. Bb8 Nf6 43. Bxa7 Nd7 44. Bb5 Ke7
45. Kf2 $1 {Das Extratempo nimmt Hannes gerne mit.} Bd5 46. Ke3 Kd6 47. Bxd7
Kxd7 48. Kd4 $1 {Noch ein Tempo!} Kc6 49. Bxb6 Be6 50. Bd8 Kb5 51. Kc3 Bd7 52.
a4+ Ka6 53. Kb4 Be6 54. Ka3 Bf5 55. b4 Bd7 56. b5+ Kb7 57. Kb4 Kc8 58. Bb6 g5
59. a5 h5 60. Be3 g4 61. a6 Bf5 62. Bf4 Bd3 63. Ka5 Be2 64. b6 {Mehr wollte
der Göttinger nicht sehen. Hannes entschied diese umkämpfte Partie in der
heißen Phase vor der Zeitkontrolle – er rechnete einfach genauer.} 1-0

Mit 3½-1½ sollte nicht mehr viel anbrennen. Aber denkste. Die Göttinger legten nach. In dieser Phase hatte Hellern 1 zweifellos Glück. Das hatte Reinhold bei seinem saisonübergreifend 10. Remis in Folge.

Happe (l.) – Liebig: Der Göttinger vergibt den Sieg

Sehr spannend war die Post-Analyse der beiden Spieler. Reinhold hatte vor dem 15. Zug lange über einen „Dosenöffner“ im Zentrum nachgegrübelt – im Analyseraum deutete sich dann an, dass er Recht gehabt hatte. Dies bestätigte später auch Stockfish.
Reinhold entschied sich anders, kam dann aber in eine misslich Lage. Nun stand der Göttinger vor einer schwierigen Entscheidung: Nimmt er einen Springer mit dem Bauern oder mit der Dame? Nun, er wählte die falsche Fortsetzung: Remis! Die Alternative hätte gewonnen, aber dies durchzurechnen, das war schon harter Tobak. Nachspiellink

Julian Zur Lage stand vor ähnlichen Problemen. Im Turm-Endspiel konnte er nur noch auf eine Punkteteilung hoffen, musste aber auch eine Fifty-Fifty-Entscheidung treffen.

Makrgraf – Zur Lage (l.): Freibauer vor?

Julian hatte sich zu entscheiden, ob er seinen Freibauern vorzieht oder den gegnerischen von hinten angreift. Tarrasch-Jünger haben damit keine Probleme. Aber Julian glaubte daran, dass er die Ausnahme von der Regel auf dem Brett hat. Pech gehabt. Sein Gegner Daniel Markgraf spielte allerdings sehr konzentriert und ließ nicht einmal von einem Mattangriff bluffen (ja, das gibt’s auch im Turmendspiel). Es war der einzige Sieg der Göttinger – und er war verdient. Nachspiellink

Es stand also 4-3 und nur Jörg spielte noch. Und wie er dies tat, war schon toll.

Schmidt (r.) – Stock: Die Kraft der Initiative

Wer wissen will, wie’s ausgeht, der fragt die Kiebitze. Im Falle von Jörgs Partie hätte das aber nicht viel gebracht, denn Jörg ließ sich auch durch einen von der Zuschauern überbewerteten Bauernverlust nicht aus der Ruhe bringen. Er stand immer mindestens gleich, aber häufig besser – und er hatte permanent die Initiative. Sein Gegner Alexander Schmidt konnte da nicht über die volle Distanz mithalten und Jörg hat jetzt saisonübergreifend 7 P v. 9.

[Event „Oberliga Nord-West 2017/18“]
[Site „Hellern“]
[Date „2017.10.08“]
[Round „1“]
[White „Schmidt“]
[Black „Stock“]
[Result „0-1“]
[ECO „B42“]
[WhiteElo „2115“]
[BlackElo „2203“]
[Annotator „Thal“]
[SetUp „1“]
[FEN „3q2k1/1p1n2pp/1Np1bp2/p1P1p3/3rP3/1PQ2PP1/P1R1B2P/6K1 w – – 0 28“]
[PlyCount „58“]
[EventDate „2017.??.??“]
[EventType „team“]
[EventRounds „9“]
[EventCountry „GER“]
[SourceTitle „Bulletin“]
[Source „Dr. Ortwin Thal“]
[SourceDate „2015.08.08“]
[SourceVersion „1“]
[SourceVersionDate „2015.08.08“]
[SourceQuality „1“]
[WhiteTeam „SC Tempo Göttingen“]
[BlackTeam „SV Hellern“]
[WhiteTeamCountry „GER“]
[BlackTeamCountry „GER“]

28. Qxa5 {Das war die Stellung, die Unruhe unter den Kiebitzen aufkommen ließ.
Auch, weil sich an den anderen Brettern einige Probleme erkennen ließen. Die
Engine hält die Stellung übrigens für ausgeglichen.} Nxb6 29. cxb6 Rd1+ 30.
Kg2 (30. Bxd1 Qxd1+ 31. Kf2 Qxc2+ $19) 30… Rd4 31. g4 h5 32. h3 Kh7 33. Kf2
Qd7 ({Stockfish 8 64:} 33… g5 $11) 34. Qc3 Qd8 35. Qa5 Qd7 36. Qe1 Qd8 37.
Qa5 Qd7 38. Kg2 Qd8 39. Kf2 Kh6 40. Ke3 $2 hxg4 $1 $19 (40… Rxe4+ $1 41. fxe4
Qd4+ 42. Kf3 hxg4+ 43. hxg4 Qg1 44. Qd2+ g5 45. Rc1 Bxg4#) 41. hxg4 Kg6 $6 (
41… Rxe4+ $1) 42. Kf2 $11 Qh8 43. Kg2 Qh6 44. Qc3 Rd8 $1 {[%cal Rd8h8] Das
kann einen nervös machen.} 45. Qe1 Rh8 46. Qg1 Qf4 $1 47. Kf2 Rh2+ 48. Ke1 Qh6
49. Qc5 {Der Göttinger verteidigt sich zäh. Aber wenn der Gegner trotz eines
Minusbauern ständig die Initiative hat, passiert es halt irgendwann.} Qf4 50.
Rc3 $2 {Nämlich jetzt.} Rh1+ $19 51. Bf1 Bxg4 $1 52. fxg4 Qxf1+ 53. Kd2 Qd1+
54. Ke3 Rh3+ 55. Kf2 Qd2+ 56. Kg1 Rxc3 {Verdienter Kampfsieg von Jörg, der
pausenlos drückte und drückte. Der verlorene Bauer spielte keine Rolle.
Schmidt hielt lange gut dagegen, am Ende entschied ein taktischer Fehler, den
Jörg dann aber auch exzellent ausnutzte.} 0-1


Verrechnet man die verpassten Chancen, dann geht der Entstand insgesamt in Ordnung. Laut LigaOrakel hat Hellern nun eine 0%-ige Aufstiegschance. Wir werden sie nicht nutzen, versprochen. Den Göttingern wünschen wir im nächsten Spiel mehr Erfolg – die sympathischen Schachfreunde haben es verdient. Für Hellern geht die Reise nun nach Bremen, zur 3. Mannschaft von Werder – und die werden auch keine Geschenke verteilen.

 

Fotos: © 2017 Thal