Teil 2 unserer Berichterstattung über die LEM 2016 in Verden beschäftigt sich mit den Talenten. Warum nicht alle in dem Beitrag auftauchen? Nun, Teile der Antwort könnten die Leser verunsichern. Trotzdem viel Spaß. UPDATE
Hannes‘ Ziele waren festgezurrt: „Ich hatte mir vorgenommen, oben mitzuspielen, um den 6. Platz zu holen, der für das nächste Meisterturnier einen Startplatz sichert. Außerdem wollte ich gegen Gegner spielen, die ich nicht kenne.“
Zumindest in der ersten Runde wurde klar, dass aus dem zweiten Vorsatz zunächst nichts werden würde. Hannes musste gegen Lukas Schiermeyer (SV Osnabrück) spielen – ausgerechnet.
„Ich sehe Lukas fast alle sechs Wochen“, kommentierte Hannes die Begegnung mit dem ‚Unbekannten‘ trocken. Zudem war eine Vorbereitung nicht möglich. Die Partie war also ein Buch mit sieben Siegeln und Hannes stand irgendwann richtig schlecht. Dass keine Bruchlandung daraus wurde, verdankte er einer cleveren Zockeridee, die buchstäblich das Blatt wendete:
Schiermeyer (1934) – Ewert (Runde 1)
Ein Bauernzug, der urplötzlich die Diagonale des Lb7 freilegt und angenehme Drohungen generiert – das sieht gut aus und es ist auch gut. Wie es weiterging, kann man hier sehen.
Die Partie gegen FM Olaf Steffens, den späteren Turniersieger, haben wir bereits vorgestellt. Hannes war nach der 2. Runde selbstkritisch: „Die Stellung habe ich nicht verstanden. Das war das Hauptproblem.“
Gegen Torsten Vetter (SK Verden), der als Anziehender Beton anrührte, gab es in der nächsten Runde ein Remis, das Hannes zu Recht als „unspektakulär“ beschrieb. 50% der Punkte nach drei Runden – die Qualifikationsplätze waren erst mal weit weg. Es musste etwas gesehen – und es geschah auch: Hannes gewann die Partien in den Runden 4-6.
Der Sieg gegen den zweiten Verdener in Serie, Harald Palmer (2039), war holperig. Nicht weil Hannes mit „The Berlin Wall“ konfrontiert wurde, sondern weil es sich zeigte, dass Weiß in dieser Eröffnung nicht locker vom Hocker seine Mehrheit ans Laufen bringen kann. Nein, Palmer hatte plötzlich Gegenspiel, verzockte aber die Stellung einzügig.
„Den hab ich mir dann vorgenommen“
Über Ulf Stoy hatte Hannes in Erfahrung gebracht, dass mit ihm ein spielstarker Gegner in Runde 5 auf ihn wartet. Stoy (SK Neustadt) wurde dann auch mit 50% Vierter. Die Partie war dann aber überraschend einseitig, denn Hannes stand in einer nicht ganz unkomplizierten Variante nach 21. Zügen besser. Stoy kam dann taktisch aus dem Tritt.
Stoy (1919) – Ewert
Weiß spielte hier 22.d5, ein Zug, der Hannes förmlich zum Gewinnzug zwang.
Und der Rest der Partie? „Ich würde sagen, dass ich das recht souverän zu Ende gespielt habe“, bilanzierte Hannes und das trifft den Nagel auf den Kopf. „Sein Springer auf d6 war deplatziert und er hatte kein Fluchtfeld mehr. Den hab ich mir dann vorgenommen …“
Ja, so einfach kann es manchmal sein. War es aber nicht, aber Hannes findet mittlerweile fast immer pointierte Züge, wenn er besser steht. Und steht er erst einmal auf Gewinn … gut, lassen wir das.
Runde 6 war dann, jedenfalls für mich, der Höhepunkt. Hannes befand sich nach seinem Zwischenspurt inzwischen in der Verfolgergruppe, nur einen halben Punkt hinter dem führenden Olaf Steffens. Natürlich musste ein Sieg her und Hannes spielte gegen Dennis Schmidt (Hamelner SV) einen ungewöhnlichen, aber gut vorbereiteten Aufbau gegen Sizilianisch. Im 14. Zug entkorkte er einen phantastischen Zug. „Ist doch nicht schwer“, wird der eine oder andere sagen, nachdem er die entscheidende Kombi gesehen hat. Mag sein, aber immerhin haben starke Spieler wie der Kirgise Alga Shukuraliev (fast 2400) in vergleichbarer Stellung den Zug eben nicht gefunden.
Ewert – Schmidt (1971)
Hannes kommentierte dies lapidar: „Ich hab mich in dem Moment gefreut, weil genau so ein Motiv auch in einer Partie war und ich das anwenden konnte.“
In der letzten Runde hatte es Hannes dann mit dem starken Heinz-Dieter Meyer (SF Hannover) zu tun, der ziemlich gut vorbereitet und sehr fein spielte, eine gute Neuerung präsentierte und plötzlich besser stand, ohne dass Hannes etwas Auffälliges falsch gemacht hatte. Am Ende wurde Frieden geschlossen, aber möglicherweise in einer für Meyer gewonnenen Stellung.
Fazit: 4. – 11. Platz (Achter nach Feinwertung), das gesetzte Ziel knapp verfehlt, aber nur gegen den Turniersieger verloren. Dazu gute Partien, ein ordentlicher Ratinggewinn – zufrieden konnte Hannes am Ende durchaus sein, auch wenn ‚The cream on the coffee‘ dann doch fehlte. (Update: Hier hat sich leider ein Fehler eingeschlichen, auf den ich recht schnell aufmerksam gemacht wurde. Laut Ausschreibung qualifizieren sich die 6 bestplatzierten Spieler für das Meisterturnier. Falls sich die Ausschreibung für das MT 2017 nicht ändert, dann hat sich Hannes für das Meisterturnier qualifiziert. Oder mit den Worten Joes: „Ich hoffe, hiermit doch noch „The cream on the coffee” serviert zu haben!“)
„Fußball ist wie Schach – nur ohne Würfel!“, soll Lukas Podolski gesagt haben. Hat er aber nicht. Aber Fußball hält immer schöne Analogien bereit. Zum Beispiel Taktik. Der eine Trainer hat ein System und die Spieler müssen sich anpassen, der andere hat Spieler und er muss sein System anpassen. In der Online-Berichterstattung ist es nicht anders: Man hat Mitspieler und passt das Format an. Ich hätte gerne an dieser Stelle auch andere Akteure präsentiert, aber ohne Zutaten kann der Koch keine Suppe kochen. Und so bedanke ich mich bei allen, die Partien und Statements geliefert haben.
Immerhin kann ich das Abschneiden dokumentieren. Im ersten Teil über die LEM habe ich die DWZ-Sieger vorgestellt, nun steht die die Performance im Mittelpunkt. Hier kann sich jeder ein Bild abseits der normalen Tabellen machen.
Da das Thema „Die Talente“ lautet, ich aber nicht von allen Partien bekommen habe, muss ich noch „Locke“ in diesen Beitrag hineinschmuggeln. Er hat nämlich geliefert. Da geht so: Man nimmt ein Foto, unterzieht es einer Verjüngungskur (geht irgendwie mit Photoshop, kann aber nicht jeder) und fertig ist das Jungtalent.
„Locke“ hat zumindest bei diesem Turnier eine Just-fo-fun-Haltung entwickelt. Viele Kurzremise, keine Partie verloren, aber zweimal zugebissen. „Ich finde 20 Züge spielen und dann mal gucken, was die Stellung hergibt, ist eine gute Strategie. Ein Remis ist ein angenehmes Ergebnis. Übrigens wurde mir 3x Remis angeboten. Die Jungs haben noch Respekt. (…). Die Abende waren doch sehr kräftezehrend. Der eine hat mich doch ein wenig an Stade erinnert.“ Was auch immer an den Kräften gezerrt hat – es hatte mit Sport nichts zu tun. Und was in jener „Nacht in Stade“ geschah, soll tief in unserer Vereinschronik begraben bleiben. In der letzten Runde wollte Locke aber noch etwas für die Tabelle tun. Und das ging so:
Schulz (1933) – Hart (Runde 7)
Auch wer es nicht glaubt: Schwarz spielt mit diesem Zug auf Matt. Hier der Beweis.
Die übrigen Informationen (Tabellen, Einzel-Scores etc.) wurden vom NSV wieder einmal gründlich zusammengestellt. Eine Fotogalerie findet man hier.
Foto: R. Gieskemeyer