Der erfreuliche Tabellenstand ist – wie heißt es so schön – eine Momentaufnahme. Nach dem 5-3 gegen Delmenhorst und dem dritten Saisonsieg muss unser Team nur noch zweimal antreten – die Verfolger jedoch haben in drei Matches die Chance, kräftig zu punkten. Dies schmälert aber nicht die Freude über den erneuten Erfolg. Mehr im Gastbeitrag von Reinhold Happe.
Blackout und Theoriechaos
- Jörg Remis: Keiner verlässt die Russische Remisbreite.
- Locke gewonnen: Aljechin und Locke müssen Seelenverwandte sein.
- Dominik verloren: Spektakel um jeden Preis/Taktik versus Position.
- Alexander gewonnen: Routine schlägt Jugend.
- Christian verloren: Blackout und vorbei.
- Holger gewonnen: Vor der Zeitkontrolle zugeschlagen (Turn around).
- Ingo Remis: Theoriechaos: Bauernraubvariante im Sizilianer. Wo weder Rechenkünstler noch Positionsexperten sicher sein können.
- Reinhold gewonnen: Das Schwierigste im Schach ist es, …
„…, ein gewonnenes Spiel zu gewinnen.“ (Dr. Emanuel Lasker)
Wo bleibt der Bericht vom Oberligawettkampf der Ersten gegen Delmenhorst? Der Autor dieser Zeilen begibt sich auf die Suche.
Im Tunnel
Spur 1: Sonntagabend gegen 22 Uhr, wenige Stunden nach Ende des Duells gegen den nördlichen Dauerrivalen aus Delmenhorst, klingelt mein Telefon. Am andere Ende meldet sich unser Chefredakteur Ortwin Thal. Er bringt seine Verwunderung über unseren Mannschaftssieg zum Ausdruck. Dabei ist dies nicht als übertriebene Ehrfurcht vor unserem Gegner gemeint, sondern darüber, dass wir überhaupt gespielt haben. Meine Freude, ihn gesund und munter zu sprechen, kann er nicht teilen: Zum ersten Mal überhaupt dürfte er einen Mannschaftstermin verpasst haben. Jetzt fehlen die Fotos und die eigenen Eindrücke.
Spur 2: Der Autor sieht sich nicht in der Lage einen Bericht anzufertigen, hat er doch bis zum Schluss gespielt und um den Mannschaftssieg gekämpft. Dabei habe ich außer flüchtigen Eindrücken nichts mitbekommen. Ich war im Tunnel meiner eigenen Partie. Zudem steht eine beruflich volle Woche an.
Spur 3: Der Partieübermittlung an den Chefredakteur dauert. Außerschachliche Termine fordern ihren Tribut.
Spur 4: Der Autor möchte den Chefredakteur und die wartenden Leser nicht enttäuschen und bietet seine Mitarbeit an. Mittlerweile ist es Mittwoch. Die anstehenden Aufgaben werden verteilt.
Spur 5: Auf der Homepage der Delmenhorster entdecke ich eine Fotostory zum Wettkampf, die ich nur empfehlen kann: Fotobericht von Jürgen Hurrle. (Anm.: sehr schön, sogar mit Panoramafoto. Kleiner Hinweis zur „Theke“: wenn unser Wirt Bulettten gemacht hat, nennen wie es „Restaurant“ :-))
Spur 6: Es vergeht ein weiterer Tag. Der Teamkapitän Martin Hart hat mir mittlerweile auch den Wettkampfverlauf erläutert und Ortwin Thal hat mir die kommentierten Partien zur Verfügung gestellt.
Also versuche ich das Unmögliche, über einen Wettkampf zu berichten, bei dem ich zwar körperlich anwesend war, von dem ich aber nur Bruchstücke selbst wahrgenommen habe.
Schuld daran war meine eigene Partie. Sie dauerte einfach zu lang. Kritiker werden jetzt anmerken: Wer im Turmendspiel im ersten Zug nach der Zeitkontrolle 41.Ta2 spielt, darf sich nicht wundern. Was soll dieser Unsinn, einen passiven Sicherheitszug einzuschieben, statt mit 41.e5 die sofortige Entscheidung herbeizuführen? Diese Gedanken gingen mir schon während der Partie im Selbstgespräch durch den Kopf.
Doch Entscheidungsprozesse sind nicht immer einfach. Auf der einen Seite musste ich an ein Statement Keymers nach einer Gewinnpartie denken, indem er seine Gewinnvariante, die von den Engines nicht favorisiert wurde, damit rechtfertigte, dass nicht wichtig sei, welcher Gewinnweg der schnellste, sondern welcher aus persönlicher Perspektive der sicherste sei. Und tatsächlich hielt ich 41.Ta2 für risikolos im Gewinnsinne. Auf der anderen Seite sollte man Grundregeln des Endspiels beherzigen, hier, dass die Aktivität gerade in Turmendspielen entscheidend ist und Bauern so schnell wie möglich mobilisiert werden sollten. Dies hätte 41.e5 erfordert.
Jetzt versteht vielleicht mancher Emanuel Laskers Hinweis: „Am schwersten ist es, ein gewonnenes Spiel zu gewinnen.“ Zumindest habe ich an diesem Sonntag 40 Züge lang eine Meditation dazu anstellen dürfen. Wenn sie erfolgreich ausgeht und es der entscheidende Punkt zum Mannschaftssieg ist, darf man sich vorbehaltlos freuen.
Doch wie kam es zum 4-3 Zwischenstand?
Jörg Stock knetete die Russische Verteidigungsstellung seines Gegners, doch Sören Grebener ist ein Experte dieser Variante, sodass keiner der beiden die Remisbreite verließ: 0,5-0,5.
Unser Mannschaftskapitän Martin Hart scheint ein Seelenverwandter des großen Alexander Aljechin zu sein. Kongenial setzt er seine Eröffnungsideen um und vollstreckt sie dann gnadenlos. Kiebitze berichteten nach der Partie, dass sie das Finale vorhergesehen hätten. 1,5-0,5.
Eine Vorliebe für kampfbetontes und dynamisches Spiel pflegt auch Dominik Suendorf. Der eher seltenen Eröffnungsidee seines jugendlichen Kontrahenten schenkte er deshalb nur wenig Aufmerksamkeit. Der Angriff um jeden Preis war zwar ein Spektakel für die Zuschauer, letztlich blieb Mohamad Alhamid aber cool und wehrte alle Attacken Dominiks ab: 1,5-1,5.
Dann schlug die Stunde Alexander Hoffmanns am Spitzenbrett. Mit Routine ließ er die Bemühungen seines jugendlichen Herausforderers Erik Pahl ins Leere laufen und brachte Hellern zur Halbzeit mit 2,5-1,5 in Front.
Der abermalige Konter der Gäste ließ nicht lange auf sich warten: Durch einen Blackout von Christian Böttcher an Brett 3 konnte FM Fred Hedke einen vollen Punkt für Delmenhorst sichern: 2,5-2,5.
Jetzt war die Spannung auf dem Siedepunkt. Natürlich kurz vor der Zeitkontrolle. Einmal mehr bewahrte in solchen Situationen Holger Lehmann seine Nerven und brachte uns zum dritten Mal in Führung: 3,5-2,5.
Dann spielte an Brett 2 „Mister-100-Prozent“ Ingo Gronde gegen den zweiten Pahl mit Vornamen Theis. Wenn es läuft, kann man auch die Bauernraubvariante im Sizilianer anbieten. Für mich ist diese Variante Wahnsinn pur. Sie ist weder durch Rechenkunst noch durch Stellungsgefühl beherrschbar. Wer so etwas spielt, ist ein Adrenalinjunkie. Eigentlich kann es kein Remis geben. Doch weil es in diesem Abspiel wirklich nichts Sicheres gibt, endete die Partie nach zahlreichen Wirrungen in der Punkteteilung: 4-3.
(Anm. d. Red.: die Partie Lehmann – Meyer fehlt, weil noch Details der Notation zu klären sind).
Ein spannender Wettkampf, der etwas glücklich gewonnen wurde und viel Gesprächsstoff bot. Was will man mehr.
Reinhold Happe