Wirklich überraschend war die Niederlage am ersten Spieltag der Oberliga Nord West nicht. Unsere Gäste gingen mit einer starken Aufstellung an den Start und überzeugten besonders an den Spitzenbrettern. Trösten kann sich Hellern 1 mit der guten Performance an den Bretter 5-8. Wenn dies in den nächsten Wettkämpfen so bleibt und vorne glücklicher agiert wird, dann werden Mannschaftspunkte nicht auf sich warten lassen.
Klare Sache? Ja!
Die Derbys mit unseren Schachfreunden aus Nordhorn sind etwas Besonderes. Eigentlich immer. Es wird gefightet und an guten Tagen fuhren unsere Gäste ohne Mannschaftspunkt nach Hause. Diesmal waren sie mit fast voller Kapelle angereist. Fünf Titelträger, darunter IM Frank Kroeze, der Garant für taktische Finessen. Pure Holland-Power, nur an Brett 6 und 7 spielten heimische Emsländer.
Und Hellern? Null Titelträger und mit Christian Boettcher und Martin Hart zwei Ausfälle. Nun gut, vorne würden wir mithalten können, hinten waren die Gäste dagegen erschreckend gut aufgestellt.
Brett 1 – 4: Unsere Hoffnungsträger gingen baden
Es kam anders. Vorne holten wir fast nix, hinten dagegen 50%. Spieler des Tages war Dominik Suendorf, der den FIDE-Meister Paul Bierenbroodspot nicht nur besiegte, sondern taktisch völlig auseinandernahm. Fabian Stotyn hatte seinen Mannschaftskollegen nicht gewarnt und so brachte Dominik seiner Power aus dem Gütersloher Opnen mit 30-minütiger Verspätung ans Brett. Es war viel Power, denn unser achtes Brett stand nach acht Zügen bereits auf Gewinn. So schön kann Schach sein.
Brett 5 – 8: Das Quartett enttäuschte nicht
Irgendwann führten die Nordhorner 5-2 und der Sieg von Dr. Ingo Gronde war diesmal nicht the cream on the coffee, sondern Schadensbegrenzung. Trotzdem lecker, denn Ingo pfefferte gegen den Najdorf seines Gegners Koen Lambrechts einen Springer auf e6 in eine Stellung, die ich vor über 50 Jahren in Partien von „Bobby“ Fischer zum letzten Mal gesehen hatte. Aber das Ganze gibt es noch und wer Charakter hat, opfert halt ohne Zögern auf e6.
Aber auch die Gäste ließen sich nicht lumpen. So spielte Frank Kroeze gegen ‚Alex‘ Hoffmann ein schwungvolle Angriffspartie. Leider ließen sich in beiden Notationen die letzten Züge nicht dechiffrieren, sonst würde sie hier nachzuspielen sein.
Dafür gibt es ab Ersatz, und zwar von Frits Rietman, der neu bei den Nordhorner ist und gegen Jörg antreten musste. Beide zeigten, dass Caro-Kann die Kiebitze nicht gähnen lässt, sondern zu echten Power-Partien führen kann, auch wenn man die Abtauschvariante spielt. Irgendwann hatte SF Rietman mit Weiß einen freilaufenden b-Bauern, der unaufhaltsam seiner Metamorphose entgegeneilte. Eine kleine Ungenauigkeit erlaubte es Jörg, mit f7-f5 die Partie auf Remis zu stellen. Jetzt musste nur noch das Schach pariert werden…
Die Lösung? Die gibt es hier (für die Partieauswahl auf den rechten Pfeil klicken):
Die Ergebnisse
Unterm Strich gab es also eine insgesamt verdiente Heimniederlage, die aber angesichts der personellen Probleme keine Überraschung war.
Die letzte normale Spielzeit
„I am the Normal One!“, sprach die Oberliga, nachdem sie das Helleraner Spiellokal betreten hatte. Mit Jürgen Klopps legendären Oneliner anläßlich seines Dienstantritts beim FC Liverpool hat das nichts zu tun. Stattdessen aber eine Menge mit den bevorstehenden Änderungen, die unsere gute alte Oberliga durchrütteln und -schütteln wird. Es ist die letzte Saison unter normalen Bedingungen.
ChessBase berichtete nämlich am 17. Oktober von einer Zeitenwende – und die betrifft die Neugliederung der Spielklassen in Liga 2. Die Kernidee ist schon länger bekannt: nur ehrenwerte und solvente Mannschaften sollen oben antreten dürfen. Nun ging es aber ans Eingemachte. Dazu wurden zwei Konzeptpaper auf dem außerordentlichen Bundeskongress in Ulm verhandelt: „Im ersten Vorschlag sollte die Zweite Bundesliga auf zwei Staffeln mit je 12 Mannschaften reduziert werden. Darunter sollte eine neue 3. Liga mit sechs Staffeln eingerichtet werden. Im zweiten Vorschlag sollte die Zweite Bundesliga ebenfalls auf zwei Staffeln reduziert werden, jedoch ohne Einrichtung einer 3. Liga. Der Bundeskongress nahm den zweiten Vorschlag (Antrag 12) an. Der erste Vorschlag wurde im Zuge der Diskussion zurückgenommen.“
Das ebenfalls sehr ehrenwerte Emsland-Derby könnte für längere Zeit das letzte oder vorletzte für den SV Hellern gewesen sein. Ersteres geschieht, wenn man absteigt. Zweiteres könne sich in der als Überbrückungssaison geplanten Spielzeit 2023-24 ereignen. wenn viele Mannschaften der kernsainierten 2. Bundesliga in die unteren Etagen abgeschoben werden und alle anderen die große Chance haben, sich zu für die Oberliga zu „qualifizieren“. Aber das ist ein Euphemismus. „Verschärfter Abstieg“ heißt dies tatsächlich, ein Phänomen, das nicht vor der Landes- und Verbandsliga halt machen wird. Für Hellern heißt dies: es wird mehr als eng. Auch bei vielen anderen wird es zugehen wie in einem Italo-Western, nämlich ganz übel. Aber vielleicht lässt sich jemand etwas Kluges einfallen und das Emsland-Derby bleibt uns erhalten.
Fotos: © Thal 2022