Paukenschlag in der Schachbundesliga: der SV Lingen zieht seine Mannschaft zurück. Grund: eine Unterfinanzierung der laufenden Saison. Natürlich hat dies Diskussionen ausgelöst. Unsere Redaktion möchte erste Gedanken in einem Pro-/Contra-Kommentar zur Diskussion stellen.
Kein richtungsweisendes Modell oder mutiger Versuch?
Markus Schäfer (Präsident Schachbundesliga e.V.) hat in einer ersten Stellungnahme für eine klare Position gesorgt: „Der Vorstand des Schachbundesliga e.V. bedauert diesen Vorgang und dessen Auswirkungen auf alle Betroffenen sehr. Andererseits besteht keinerlei Verständnis dafür, dass der SV Lingen seine Teilnahme an dem Wettbewerb offenbar fahrlässig auf völlig unzureichenden Finanzierungsgrundlagen begonnen hat. Der Rückzug hat den Verfall der Kaution zur Folge. Über weitere Sanktionen wird nach Anhörung entschieden.“
Hat sich SV Lingen tatsächlich unsportlich verhalten? Oder ist der Verein nur ein weiteres Beispiel für die Unwägbarkeiten im professionellen Schachsport?
Diese Debatte wird sicher noch lange alle beschäftigen, denen Schach am Herzen liegt. Unser Pro-/Contra-Kommentar ist sicher nur eine von vielen Stimmen, drückt aber hoffentlich aus, wie unterschiedlich man mit diesem Thema umgehen kann. Dabei wurde redaktionsintern festgelegt, dass zwei Redakteure jeweils Argumente für eine Position sammeln. Dabei hat Prof. Dr. Robert Gillenkirch die Contra-Lingen-Argumente zusammengestellt, während der Verfasser dieses Beitrag den entgegengesetzten Job hatte. Hier unsere Argumente:
Kein Modell für andere
Die gestrige Nachricht des Rückzugs des SV Lingen aus der Schachbundesliga schlug in der Schachabteilung des SV Hellern einige Wellen. Zu Recht: Lingen hat in den vergangenen Saisons für Furore im Schachbezirk gesorgt. Lev Gutman, Alon Greenfeld, Vladimir Epishin – allesamt Legenden – gingen für Lingen an die Bretter, dazu Top-Großmeister wie Milos Perunovic. So marschierten sie souverän durch bis in die Bundesliga, und vor dieser Saison hielten allein die Spekulationen darum, wer für die Lingener in der Bundesliga auflaufen würde, die Thekengespräche am Laufen, einschließlich des Knüllers, dass wir vielleicht Hannes Ewert in der Bundesliga sehen würden.
Nun ist nach vier (!) Runden in der Bundesliga schon wieder Schluss. Natürlich kann ich mir kein Urteil erlauben; den Verantwortlichen ist es möglicherweise wie so vielen Vereinen vor ihnen gegangen, die keinen verlässlichen Großsponsor oder Großverein im Rücken haben. Als Schachfan aber bin ich maßlos enttäuscht. Da spaziert eine Gruppe phantastischer Spieler durch unsere Verbands-, Landes- und Oberliga, nur damit sie gerade dann, wenn wir sagen können „Unsere Region ist wieder in der Bundesliga!“, sang- und klanglos verschwindet? Das darf doch nicht wahr sein!
Womit ich schon bei den Wünschen bin: Ich wünsche den Lingenern, dass sie an diesem Desaster nicht auseinanderbrechen, auch wenn es Anzeichen (etwa den Rückzug der dritten Mannschaft aus der Bezirksliga) dafür zu geben scheint. Und uns vom SV Hellern wünsche ich vor allem eines, nämlich dass wir so weitermachen wie bisher: Auf die Jugend setzen, starke Amateurspieler anziehen, die die sportliche Herausforderung in der Oberliga, Landesliga oder Verbandsliga suchen. Und bloß keinen Größenwahn! (Robert Gillenkirch)
Ein Verlust für die Region
Der SV Lingen verlässt die Schachbundesliga. Die Reaktionen: Erstaunen, Achselzucken, aber auch Schadenfreude und Häme. Einige Schachfreunde mögen es nicht, gegen eine Truppe aus Berufsspielern anzutreten. Für viele sind Profis nur Abzocker. Dabei haben Meisterspieler aus ihrem Talent lediglich ihren Beruf gemacht.
Nun soll das Geld ausgegangen sein. Wer zuvor schwadronierte, dass Schach und Geld nicht zusammengehören, hat nun scheinbar Recht behalten. Aber wir leben nicht auf einer Insel der Glückseligen. Und es auch nicht unsportlich, wenn man ehrgeizige Ziele hat und bei der Umsetzung nicht gegen die Statuten verstößt. Kritiker sollten sich also nicht von Missgunst und billigem Moralisieren verführen lassen. Vielmehr muss die Frage beantwortet werden, ob wir alle Fakten kennen, um ein endgültiges Urteil fällen zu können. Für mich bleibt es jedenfalls rätselhaft, warum ein Verein, der bislang so planvoll agierte, nun plötzlich mit leeren Händen dastehen soll. Hier sollte der Verein sich nicht mit knappen Worten auf seiner Website begnügen, sondern die Karten auf den Tisch legen.
Für die Entwicklung des Schachs im Emsland ist der Rückzug des SV Lingen ein herber Rückschlag. Jene, die dem Projekt die Seriosität absprachen, sei gesagt: unseriös gescheitert sind andere. Lingens Durchmarsch durch die Ligen, die unangefochtenen Aufstiege – all das sah planvoll und wirtschaftlich stabil aus. So schafften die Emsländer etwas, was auch für das niedersächsische Schach gut war, nämlich einen Spitzenverein zu entwickeln. Das Scheitern des SV Lingen ist daher nur eins: ein Verlust für die Region (Ortwin Thal).