Die neue Oberligasaison 2019/20: Eine Vorschau

Die oft zitierte Schere zwischen Arm und Reich – wer kennt sie nicht als sozialpolitisches Problem oder aus dem Profifußball, wo die TV-Gelder erkennbar unterschiedlich verteilt werden? Im Schach schien die Schere nur in der Bundesliga für scharfe Schnitte zu sorgen. Diese Zeiten sind vorbei: Arm und Reich, Amateure und Profis stoßen bereits in der der Verbands- und Landesliga zusammen. Ein Crash, der natürlich auch in der Oberliga für blaue Flecken sorgen wird.

Freuen wir uns doch ganz einfach

Früher – und ich meine die 1970er und 1980er Jahre – hatte ein Amateur nur selten die Chance, gegen einen Großmeister oder einen IM zu spielen. Mittlerweile ist dies für viele bereits in der Landesliga zur Routine geworden. Ein Erlebnis sollte es aber bleiben. Soweit die guten Nachrichten.

Die Welle der Profitruppen, die seit geraumer Zeit durch die niedersächsischen Ligen schwappt, wird vermutlich ein zeitlich begrenztes Phänomen bleiben, denn Mäzene und Sponsoren wachsen nicht auf den Bäumen. Sind sie weg, lösen sich die Teams in Luft auf. Das ist die schlechte Nachricht, denn so wird der Wettbewerb im Nachgang verzerrt.
Im Moment aber verschärfen die verbleibenden Teams den Überlebenskampf in den Ligen ungemein, denn wenn zwei bis drei Überflieger den Aufstieg unter sich ausmachen und alle anderen vom Brett fegen, wird der Punktekuchen eben kleiner und der Rest der Liga darf sich um den Klassenerhalt balgen. Das muss man nicht mögen, legal ist es allemal. In der Landesliga Nord herrschen immerhin wieder überschaubare Verhältnisse. In der Oberliga wird es aber happig…

Wow! Lister Turm und Tostedt sind zweitligareif!

Der HSK Lister Turm tritt in der Oberliga Nord West mit einer Mannschaft an, die locker in der 2. Liga spielen könnte. Der Schnitt liegt knapp unter ELO 2400 und die die Spieler des Turms müssten sich halt nur ein wenig auf den MTV Tostedt konzentrieren (Ø >ELO 2300).

Pustekuchen. Im Becken schwimmt ein weiterer Hai, der sich die eben genannten Supertruppen vermutlich als Beifang auf den Teller legen wird. Der SK Kirchweyhe könnte mit den aktuellen  Top 8 (Ø >ELO 2500) bereits im unteren Drittel der Bundesliga mitspielen und das Geschehen in der Oberliga den Brettern 9-16 überlassen. Vermutlich mit guten Erfolgschancen.

Bevor wir die weiteren Fische im Becken betrachten, soll eine Grafik die aktuellen Kräfteverhältnisse widerspiegeln (für separate Darstellung auf die Grafik klicken):

Wie im Vorjahr habe ich sowohl die Top 8 als auch die Top 10 der Aufstellungen berücksichtigt. Der SK Kirchweyhe hat vor dem Zweiten einen Vorsprung von 140 Ratingpunkten und selbst wenn nicht alle Topspieler antreten, wird das Team nur unwesentlich schwächer sein. Dass allerdings derartige Teams mit anhaltenden Ausfällen rechnen müssen, hat man in der Vorsaison gesehen.

Praktisch betrachtet haben angesichts die geballten Power von Kirchweyhe der Lister Turm und Tostedt immerhin den Klassenerhalt sicher in der Tasche. Auch Delmenhorst (falls sie ihren Topspieler einsetzen können) sowie die routinierten Teams aus Nordhorn und Oldenburg sollten eigentlich keine Probleme bekommen.
Alle Mannschaften mit einem Ø <2200 werden sich wohl auf den Klassenerhalt konzentrieren müssen. Dabei hat Aufsteiger Lehrte bei dieser Zahlenspielerei die schlechtesten Karten.

Oberliga en detail

GM Stevic (r.)-Gronde=0,5-0,5 (Landesliga 23.10.2018). GM Stevic spielt erneut an Brett 1.

Der SK Kirchweyhe hat einige Abgänge zu verzeichnen, dafür sind mit GM Genov (an 9 gemeldet!), IM Ivic und IM Saric potente Spieler verpflichtet worden. Interessant: der Ex-Bremer GM Zeitlein hat sich ebenfalls dem Aufstiegsaspiranten angeschlossen.
Beim HSK Lister Turm haben IM Joie (der Stand heute noch nicht in der Ratingliste des DSB aufgetaucht ist), IM Abek, IM Schneider, IM Walter und Torben Schulze den Level deutlich aufgefrischt: den 8er-Schnitt hat man um ca. 130 Punkte verbessert.
Noch spektakulärer ging es beim MTV Tostedt zu, der sich von allen Topspieler getrennt hat, die in der Vorsaison nicht ein einziges Mal gespielt haben. Zweifellos ein Roßkur. Der 8er-Schnitt ist sehr deutlich gesunken, aber was helfen einem Großmeister, die permanent verhindert sind?
Der Delmenhorster SK muss auf IM Gisbrecht verzichten, auch Tobias Kügel ist weg. Dafür ist Tomasz Warakomski wieder da. Sollte der polnische GM spielen, dürfte die Delmenhorster nichts zu fürchten haben.
Der SK Nordhorn-Blanke ist ein Muster für Kontinuität. Einzige Änderung: CM Stotyn spielt an Brett 6 und der 8er-Schnitt wurde leicht verbessert.
Kontinuität gibt es mit Einschränkungen auch beim SK Union Oldenburg. Allerdings muss der Ex-Zweitligist den Abgang von Jari Reuker (zu Werder Bremen) verkraften. Sollten IM Breutigam und IM Hermann auch diesmal nicht spielen, müssen die Oldenburger sich auf den Klassenerhalt konzentrieren. Das dürfte dank der vielen guten Nachrücker wohl gelingen.

Nun beginnt der Abschnitt, der zumindest statistisch die denkbaren Abstiegskandidaten aufs Korn nimmt. In Hellern muss man die Abgänge von FM Hannes Ewert und Stadtmeister Julian zu Lage verkraften. Der Ratingschnitt ist spürbar, aber nicht dramatisch gesunken. Aber es wird kompliziert, wenn erneut nur zwei Spieler >50% holen. Nicht einfacher wird die Lage auch deshalb, weil einige direkte Konkurrenten taktisch aufgestellt haben und die letzten Bretter stark gemacht haben.
Beim Hamelner SV hat sich personell nichts verändert, allerdings haben sich einige Akteure individuell verbessert, was auch ein deutlich verbesserter Rating-Schnitt widerspiegelt.
Bei den SF Hannover sind der Nachwuchsspieler Jan Pubantz, Stephan Niehaus und der einzige Titelträger FM Ralf-Axel Simon neu an Bord. Der Rating-Ø wurde deutlich angehoben, sodass mit den Hannoveranern zu rechnen ist.
Aufsteiger SK Lehrte vertraut seiner leicht umarrangierten Aufstiegsmannschaft, in der auch unsere ehemalige Mitstreiterin Jana Böhm gemeldet ist. Den Abgang von WFM Lara Schulze können die Lehrter verkraften – sie hat in der Vorsaison keine Partie gespielt. Und die Schere zwischen Arm und Reich? Sie wird nicht nur beim Aufsteiger sichtbar, den fast 400 Punkte vom Megateam Kirchweyhe trennen. Auch andere Teams müssen sich im Extremfall auf 0-8-Niederlagen einstellen.

Zur Ergebnisübersicht und dem Spielplan geht es hier.