Wirklich überraschend war die 1-7-Niederlage gegen Werder Bremen 2 nicht. Auch nicht in dieser Höhe. Obwohl die Reserve der Zweiten Mannschaft angetreten war, waren die Gäste an sieben Brettern immer noch deutlich stärker besetzt als Hellern. Der Gastgeber indes beendete die Saison mit einem Experiment. (In diesem Beitrag findet man auch den Bericht zur 8. Runde)
Grand ohne 4
In der letzten Runde fehlten bei uns Dr. Christian Böttcher, Jörg Stock, Julian zur Lage und Dr. Ingo Gronde. Und so beschlossen Mannschaftsleitung und Jugendwart, die an 17 und 18 gemeldeten Jugendlichen einzusetzen. Das war kein Bonus, sondern der Personallage geschuldet. Beide gehören zum Kader, sie gehören dazu, also spielen sie auch. Felipe Santos und Philipp Kleemann verloren zwar, aber auf das Wie kommt es an.
Die Befürchtung, dass die Kids „gegrillt“ werden, wurde angenehm enttäuscht. Felipe hielt sich über zwei Stunden lang gegenb den FIDE Meister und wurde anschließend bei sommerlichen Temperaturen mit einer Privatlektion belohnt.
Schockierend war der tolle Auftritt von Phillip Kleemann, der über drei Stunden mithielt und sogar das Endspiel erreichte. Zur Backstory: sein Gegner, der Bremer Collin Colbow, wurde im August 2018 Europameister in der u14, hat eine ELO über 2100, holte in der Oberliga aktuell 2½ (3) und darf sich auf Einsätze in der 2. Bundesliga freuen. Philipp ist die Nr. 54 in unserer Rangliste, hat eine Rating von 1265 – und zwang dem Europameister eine recht lange Partie auf. Laien werden mit diesen Zahlen wenig anfangen können. Aber im Wesentlichen ist es so, als würde im Fußball Hellern 3 gegen den VFL Osnabrück antreten. Man sieht: auch eine Niederlage kann eine gute Leistung sein. Felipe und Philipp haben richtig gut gespielt und dürfen stolz sein.
Ansonsten war es wie erwartet ein einseitiger Wettkampf, da die Bremer auch mit ihrem reduzierten Aufgebot immer noch drei IM und drei FM mit nach Hellern gebracht hatten. Und so überraschte der Ausgang auch in dieser Höhe nicht.
Das erfuhr auch Tammo Lewin. Nach dem Enteropfer Sf5 erzielte der Bremer nicht einmal materiellen Vorteil, aber das bessere Figurenspiel. Das reichte.
Unterm Strich kann, ja muss die Erste mit dem Saisonergebnis zufrieden sein. Dass die Saison schwer werden würde, war allen bereits vor der ersten Partie klar. Leichter wird es auch in Zukunft nicht, da immer noch Profimannschaften aus der Landesliga nachrücken, die die Oberliga nur als Durchgangsstation betrachten. Man sieht es am Vorjahresaufsteiger Lingen. Das emsländische Team ist auch durch die 2. Bundesliga marschiert und spielt nun in Liga 1.
Hellern wird und muss sich anpassen. An einigen Schrauben kann immerhin aus eigener Kraft gedreht werden. So spielten mindestens vier Aktive deutlich unter dem Niveau des Vorjahres. Das Potential ist aber vorhanden, es muss ’nur‘ abgerufen werden.
Ob die beim letzten Sommerfest von einem vielköpfigen Expertenteam kleinteilig entwickelte Saisonplanung das gewünschte Ergebnis gebracht hat, müssen die Entscheider selbst bewerten. Hätte man vor Saison gewusst, dass es in der Landesliga Nord nur einen Absteiger geben würde, wäre vielleicht einiges anders entschieden worden. So aber sorgte die unprofessionelle Saisonvorbereitung des SV Esens dafür, dass es – abgesehen von den Top-Teams – für den Rest der Liga irgendwann nur noch um die Goldene Ananas ging. Unsere Zweite war natürlich sehr froh über diese Entwicklung. Daher ein Dankeschön an die Schachfreunde in der ostfriesischen Kleinstadt.
Vermutlich wird allen klar sein, dass es mit der Oberliga im nächsten Jahr nur klappen kann, wenn man sich zuallererst auf die 1. Mannschaft konzentriert, dabei aber auch alles Weitere auf den Prüfstand stellt, um das Team insgesamt noch professioneller aufzustellen.
Alles wie erwartet: der Saisonverlauf entsprach der Prognose
Hellern landete genau auf dem Platz, den ich in der Saisonvorschau errechnet hatte. Die exakten Umstände des Saisonverlaufs konnte natürlich keiner vorhersehen. Zunächst aber die Abschlusstabelle der aktuellen Saison.
Prognosen sind kein Voodoo. Den methodischen Rahmen der Sasisonvorschau kann jeder nachlesen. Er basierte darauf, den Schnitt der an 1-10 gemeldeten Spieler für ein Ranking heranzuziehen. Nun zu den Trendaussagen:
Teams mit > ELO 2000 sollten sicher durch die Saison kommen: richtig. Hameln und die beiden Mannschaften aus Hannover würden auf den Plätzen 8-10 landen: richtig. Hellern würde ebenfalls um den Klassenerhalt kämpfen und Platz 7 erreichen: richtig.
Meine Ansage, dass Konstanz und und Qualität der Ersatzspieler über den Klassenerhalt entscheiden werden, war eigentlich eine Binse. Stimmte aber. Im Vergleich: Absteiger Hannover 96 musste 42 Partien von der Reserve spielen lassen. Ergebnis: 9½ P. Hellern musste sich 18-mal auf Reservisten verlassen, kam aber auf 10 P und verlor insgesamt nur drei Partien, zwei davon gegen Werder. Rechnet man den de facto in den ersten Acht spielenden Julian zur Lage aus der Reserve heraus, sind es mit 6 P (12) immer noch starke 50%. ‚Oben‘ lief es nicht ganz so gut: mit IM Carsten Lingnau und Jörg Stock konnten nur zwei Spieler >50% erzielen.
Die prognostizierte Dreiklassengesellschaft formierte sich an der Spitze ebenfalls wie erwartet: Werder räumte ich gute Chancen ein, falls Tostedt nicht seine Top 8 ans Brett bringen würde. Taten sie nicht, vier Topspieler fehlten komplett. So war der Weg frei für den Lister Turm, der sogar Zweiter wurde. Und erst recht für Werder, die souverän durchmarschierten. Wir gratulieren zur Meisterschaft!
Fazit: Auch für die kommende Saison ist zu erwarten, dass man an den Brettern 1-10 deutlich über 2200 liegen muss, um unbeschwert Schach spielen zu können. Ob das eine wegweisende Erkenntnis ist, bleibt fraglich.
Fotos: © Thal 2019
Auf der nächsten Seite geht es weiter mit dem Bericht von Hajo Bade über den Sieg der Ersten in Runde 8. Wir bedauern, dass sich die Erstellung aus Zeitgründen verzögert hat.