Die ECU Youth 2017 ist ein Highlight

Hannes gegen des Wunderkind

Runde 5

Heute konnte man im Blog von Luis Engel lesen: „Man darf nicht immer erwarten, dass Elo-mäßig schlechtere Spieler einfach brav nach 20 Zügen aufgeben.“ Das tut auch niemand, allerdings klappt es manchmal trotz größter Anstrengung nicht. In Runde 5 spielte Hannes stark, schaffte aber nur ein Remis.
Anfang 2017 hatte Shane Melaugh eine ELO von 1853. Dann startete er durch, knackte die 2000er-Grenze und kann nach dem Remis gegen Hannes eine Performance von 2154 vorweisen. Ist er ein Wunderkind? Nun, vor 10 Jahren wurde er in Irland als solches gefeiert. Mehr zu diesem Thema im nachfolgenden Beitrag. Zunächst aber die aktuelle Partie.

Manchmal klappt es nicht, obwohl man alles gibt. Morgen ist Ruhetag und am Montag spielt Hannes gegen den Belgier Warre de Waele (ELO 2067). Und der hat schon gegen zwei FM gepunktet und eine Turnierperformance von 2267. Nach 20 Zügen wird auch er nicht brav aufgeben. Und Hannes? Der liegt auf Platz 42 und wird weiter sein Bestes geben.

Shane Melaugh – das Schachwunderkind

Shane Melaugh konnte bereits mit fünf Jahren Schach spielen. Im nicht reich mit Schachtalenten gesegneten Irland ein Spektakel. Shane schaffte es in ganz jungen Jahren bereits in ein u12-Team und bekam im Jahre 2007 prompt eine Lead Story im irischen „Independent“, in der das Wunderkind auffallend häufig verteidigt wurde. „He’s a completely normal five-year-old,” erklärte Mark Quinn (Irish Chess Union) der Zeitung. Andere sprachen von einem irischen Schachgenie und machten sich über Normalität keine weiteren Gedanken.
In den Folgejahren entwickelte sich Shanes Schachkarriere allerdings ziemlich stinknormal und überhaupt nicht genialisch weiter. Vor zwei Jahren stürzte er sogar von fast 1800 auf 1650 ab, ehe er in der zweiten Jahreshälfte 2016 raketenhaft anzog und mittlerweile bei ca. ELO 2000 gelandet ist.

Samuel Reshevsky (geb. 1911) war vielleicht das einzige wirkliche Wunderkind der Schachgeschichte. Mit fünf Jahren spielte er in Wien simultan, schlug Meisterspieler und tourte als Neunjähriger durch die USA. Weltmeister wurde er nie: Samuel musste seine besten Jahren in eine solide Schul- und Berufsausbildung investieren. Er wurde Buchhalter.
Später ging Reshevskys Stern noch einmal auf. Seine historische ELO-Zahl war imposant: 2785. Andere Wunderkinder verschwanden. Wer kennt heute noch Jutta Hempel (geb. 1960), die als Sechsjährige zur medialen Sensation wurde (schön, dass man bei YouTube das Wunderkind bestaunen kann) und mit 9 Jahren bereits einen IM schlug? Häufig genug führte das Leben die Wunderkinder danach in eine andere Richtung.

Etwas begleitete „Wunderkinder“ aber immer: die Sensationsgier der Medien und das gleichzeitige Fehlen von Kenntnissen in der breiten Öffentlichkeit. Auch auf das Wunderkind Magnus Carlsen stürzten sich die Medien, er wurde trotzdem Weltmeister. Vergessen ist dagegen Cory Evans, der es als schachspielendes Kind immerhin in die „Tonight Show“ von Jay Leno schaffte.

Die Sensationsgier verdeckte aber nur unzureichend das heimliche Erschrecken über das vermeintlich Abnorme der kleinen schachspielenden Monster. In ihrer Nähe fühlen sich Erwachsene häufig nur sicher, wenn sie Witze reißen können. Der Verdacht, dass Schach, Genie und Wahnsinn allesamt Synonyme sind, will einfach nicht verschwinden. Auch heute haben es Hochbegabte deshalb nicht immer leicht. Aber im Schach hat man sich mittlerweile angesichts der Schwemme von Jungmeistern an so etwas gewöhnt  und 11-Jährige mit ELO 2200 lösen nur bei Ahnungslosen tiefe Ängste aus.

Als die Neurophysiologen dann dank MRT erklärten, dass Genialität in den Falten des Scheitellappens und im Nucleus caudatus, also im vorderen Großhirn, angesiedelt ist, konnte man angesichts dieser naturwissenschaftlichen Erklärung tief durchatmen. Sie sind also keine Mutanten, die lieben Kleinen.
Gleichwohl wird von Müttern und Vätern immer wieder fast zwanghaft betont, dass ihr kleines Genie „ein ganz normales Kind“ ist.
Sorry, das ist es nicht. Schachwunderkinder führen kein normales Leben. Das ukrainische Wunderkind Illya Nyzhnyk holte seine erste GM-Norm im Alter von 12 Jahren und spielte später für Porz in der Zweiten Liga. Ein Redakteur konstatierte in einer WDR-Reportage: Kinderarbeit! Dass Kinder früh Profis werden und Spaß dabei haben können, fiel unter den Tisch. Dabei können Begabung und Talent sehr freudvoll sein – Mozart komponierte sein erstes Allegro mit 5 Jahren. Hat sicher Spaß gemacht. Und auch im 18. Jh. gab es Medien, die die frohe Kunde verbreiteten.
Kein Wunder, dass kleine Genies auch weiterhin von den Medien gepusht werden. Zum Beispiel der 3-jährige Russe Michael Osipov. In einer Showpartie lehnte er ein Remisangebot von Anatoly Karpov ab. „Der Kleine ist gefährlich“, stellte GM Sergey Karjakin anschließend fest. Mal sehen, ob das so bleibt.

Andere Wunderkinder haben bereits ihre eigene Homepage und scheinen ganz locker zu bleiben. Auf der Website „Luis wird Weltmeister“ lässt Luis Engel über seine Erfolge und Niederlagen berichten – auch über die in Mamaia. Seine Partien kommentiert er abgeklärt und selbstkritisch. Trotzdem ganz schön viel Hype. Da ist es schon beruhigend zu wissen, dass wir in Hellern einen ganz normalen FM haben, der auch gerne Fußball spielt. Normaler geht’s nicht. Da darf man gegen ein Wunderkind auch mal Remis spielen.

Fotos: © 2017 Stefan Ewert

Links:

• Chess24.com
• europechess.org (offizielle ECU-Seite)