Jugend 3.1 – der Nachwuchs steht vor einem Reboot

Am PC ist ein Reboot ein Neustart im laufenden Betrieb. Ähnlich sieht es in unserer Jugendabteilung aus. Die Mannschaft wird aus der Jugendliga Niedersachsen zurückgezogen und tritt nun in der Landesklasse West an. Wer dies für einen Rückschritt hält, kennt sich nicht in unserer Vereinsgeschichte aus. Wir haben das schon einmal gemacht, als Edmund Hentschel 1975 die zwei Jahre zuvor aufgelöste Jugendabteilung neu hochfuhr. Es war der Beginn einer Erfolgsgeschichte. Was aktuell passiert und wie die Zukunft aussehen soll, darüber haben wir uns mit unserem Jugendwart Jos Santos (Foto) unterhalten.

1976: Uwe Kuchemüller und Martin Hart in einem Jugend-Wettkampf

Vor über 40 Jahren hätte niemand von Jugend 1.0 gesprochen – von Digitalisierung weit und breit keine Spur. Der erste Prototyp eines Funktelefons (im Neusprech heißt das heute Smartphone) war 1973 vorgestellt worden. Und dass man privat einen Computer besitzen könnte – unmöglich! Gespielt wurde trotzdem und die erste Generation unserer Jugendlichen marschierte durch die Ligen und erreichte 1980/81 ohne Verlustpunkt die höchste Spielklasse der Verbands Münsterland, die Jugendliga. Die Jugendliga NRW war nur einen Steinwurf entfernt.

In ihrer letzten Spielzeit verpasste die Jugend in einem legendenumwitterten Wettkampf gegen der SK Münster 32 (3:3) knapp die Qualifikation für die Deutschen Jugendmannschaftsmeisterschaften. Großes Drama? Nein, aus alterstechnischen Gründen hätte man bei der DMM vermutlich gar nicht mehr antreten dürfen. Der leider zu früh verstorbene Frank Schumacher hat in unserer Vereinschronik kräftig zu der von ihm als „Entmythifizierung“ bezeichneten Aufklärung der damaligen Ereignissen beigetragen Nur am Rande: Damals bestritt ein gewisser Carsten Lingnau seine ersten Spiele im Hellern-Team.

Jugend 2.0: Es ist schwer zu sagen, wann hier der Stichtag war. Auf jeden Fall gab es nach einer Durststrecke in der Saison 1992/93 wieder eine A-Jugend in der Jugendklasse Osnabrück (Erster mit 11:1 P und sogar eine C-Jugend. Jugendwart war damals Klaus Lapehn, der sein Team in die Bezirks-Jugendliga führte, wie Matthias Peistrup in unserer Chronik berichtete. Ach ja, in diesem Jahr erhielt Carsten seinen IM-Titel. Und 1992/93 wurde die Jugend sogar Zweiter in der Landesklasse West.

Jugend 3.0: Hier mögen sich die Chronisten streiten. Für mich begann der erneute Aufschwung, als Jos Santos damit begann, sonntäglich die besten Jugendlichen zu den Jugendserien zu fahren. Höchstpersönlich und in ganz Niedersachsen. Dies krönte die langjährige Jugendarbeit von Norbert Sobotta und Hans-Jürgen Bade, denn bald danach stieg die Hellern-Jugend wieder in den Punktspielbetrieb ein, der sie in die Jugendliga Niedersachsen führte. Erneut war die Krone greifbar: die Jugend-Bundesliga war nur einen Steinwurf entfernt. Nun also Jugend 3.1. Wir haben uns darüber mit Joe Santos etwas genauer unterhalten.

2017: Trainingsbetrieb in der Jugendabteilung (Foto: Sobotta)

Schach-hellern. de: Jugendarbeit in Schachvereinen findet entweder nicht statt oder steht und fällt mit einer Person. Dies kann fatale Folgen haben. In unserem Verein sind wir personell breiter aufgestellt. Wie sieht eigentlich die Aufgabenverteilung genau aus?

Joe Santos: Glücklicherweise sind wir mit 3 Personen im Jugendbereich sehr gut aufgestellt. Da wäre Norbert, der das Anfängertraining übernimmt. Dabei arbeitet er u.a. mit der Stappen-Methode, aber auch computergestützt wie z.B. mit der bei Kindern beliebten Software „Fritz & Fertig“. Hajo, als zertifizierter Übungsleiter, übernimmt das Training der Fortgeschrittenen und die Nachanalysen gespielter Partien. Ich selbst bin Jugendwart und Mannschaftsführer der Jugend. Zu meinen Aufgaben gehört das Koordinieren und Planen von Fahrten zu Turnieren und Wettkämpfen, wie z.B. Jugendligaspiele, Jugendserien oder die bald anstehende BJEM Anfang Oktober in Damme.

Schach-hellern. de: Wie sieht es denn zahlenmäßig im Moment aus? Wie viele Kids kommen zum Training und wie viele können in der nächsten Saison bereits am Spielbetrieb teilnehmen?

Joe Santos: Aktuell kommen zu unserem Training am Donnerstag ca. 10-15 Kinder. Davon würde ich ca. die Hälfte zu der Kategorie „Anfänger“ zählen. Damit die Kinder Spielpraxis sammeln können, haben wir neben der Jugendmannschaft erstmalig eine 6. Seniorenmannschaft angemeldet, in der außer den Erwachsenen auch 10 Kinder gemeldet sind. Nimmt man die älteren Jugendlichen unseres Vereins hinzu, sprechen wir insgesamt sogar von ca. 20 aktiven Kindern.

Schach-hellern. de: Wir haben also eine neue Generation von Spielern. Trotzdem wird es einen Umbruch geben. Die Jugendmannschaft wird sich aus der Jugendliga Niedersachsen zurückziehen und in der nächsten Saison eine Klasse tiefer in der Landesklasse West antreten. Warum war das nötig?

Joe Santos: Unsere „älteren“ Jugendlichen sind alle sehr erfolgreich im Seniorenbereich integriert. Es wurde Zeit, einen Generationswechsel zu vollziehen und sich auf die jüngeren Kinder zu konzentrieren. Es macht keinen Sinn, in der Jugendmannschaft einen Anfänger neben unserem FM Hannes Ewert spielen zu lassen. Dafür liegen die Spielstärken einfach zu weit auseinander und die Jugendliga ist für einen Neuling einfach zu stark bzw. zu schwer. Daher haben wir uns für einen Neuanfang in der Landesklasse West entschieden, mit dem Ziel, die nächste Generation mit einer homogenen Altersstruktur zu fördern. Aktuell liegt der bei ca. 10-11 Jahren.

Joe Santos beim Training

Schach-hellern. de: So viele Mannschaften scheinen aber im Moment nicht in der Landesklasse gemeldet worden zu sein. Ist diese Spielklasse denn überhaupt noch attraktiv?

Joe Santos: Tatsächlich ist die Anzahl der gemeldeten Mannschaften in der Landesklasse West mit 4 Teams sehr gering. Daher werden die Spieltage doppelrundig ausgetragen, wie gehabt sonntags und nun mit kürzerer Bedenkzeit. Das heißt Hin- und Rückspiel direkt hintereinander, sodass wir immerhin noch auf insgesamt 6 Spiele kommen. Dies war so zu erwarten und ist daher auch ein Anlass, wie vorhin erwähnt, eine 6. Mannschaft zu gründen.

Schach-hellern. de: Die alte Generation – man muss sie wohl schon so nennen – hat eine Reihe starker Spieler hervorgebracht. Hannes Ewert ist vor kurzem ganz offiziell mit Brief, Siegel und Urkunde Schachmeister geworden. FIDE Master heißt dieser Titel. Hannes spielt in der Oberliga an einem Spitzenbrett. Auch Thorben Weist hat den Sprung in die Oberliga geschafft. Dann sind da noch Riesentalente wie Thomas Grosser, Leonardo und Felipe Santos. Alle Söhne von aktiv schachspielenden Vätern. Wie erklärst Du dir dieses Phänomen?

Meiner Meinung nach ist dies damit zu erklären, dass die Söhne im Elternhaus dem Schachspiel immer wieder begegnen und damit einen aktiven Bezug zu diesem Hobby aufbauen. Wenn neben dem Interesse und der Neugier, zum Beispiele, wenn gefragt wird „Was spielst Du denn da?“, auch noch die eigene Begeisterung für das Spiel entfacht wird, ist die Wahrscheinlichkeit für das Spielen des Juniors recht hoch. Und um die Begeisterung und Motivation hoch zu halten, bedarf es für die Eltern Hilfestellung seitens eines Schachvereins, in dem das Kind möglichst mit gleichaltrigen Spielern trainiert und zu Wettkämpfen fährt. Dieses Zusammenspiel an Faktoren ist bei unseren Jugendlichen recht gut gelaufen… (lacht)

Schach-hellern. de: Abschließend noch etwas Persönliches. Man baut etwas auf, spielt mit einer starken Truppe zeitweilig sogar um den Aufstieg in die Jugend-Bundesliga und dann – schwupps! – sind die Besten auch altersbedingt weg und man fängt wieder bei null an. Wie motiviert man sich da eigentlich?

 

Joe Santos: Ich muss schon zugeben, dass dieser Neuanfang auch für mich einen Einschnitt darstellt. Wir waren erfolgreich und haben mehrfach in der Jugendliga Niedersachsen den 2. Platz erreichen können. Für unsere Kids tut es mir leid, den Sprung in die Jugendbundesliga nicht geschafft zu haben, um sich  mit den Besten ihrer Altersgruppen messen zu können. Von der Spielstärke her hätten sie es verdient! Mittlerweile hat man die Jugendlichen gut kennengelernt und lieb gewonnen. Die Fahrten mit dem Bulli oder auch die zentralen Spieltagswochenenden in der Jugendherberge haben immer Spaß gemacht. Im Sommer haben wir uns zu einem Abschlussessen getroffen. Selbst unsere ehemalige deutsche Meisterin Jana Böhm war dabei, obwohl sie seit einem Jahr aufgrund ihres Studiums in Lehrte spielt. Dies zeigt, dass die Chemie im  Team gestimmt hat. An dieser Stelle meinen Dank an alle Jugendspieler! Meine Motivation besteht nun darin, diese positive Erfahrung mit einer jüngeren Generation und ganz anderen interessanten Charakteren neu aufzubauen und möglichst zu wiederholen.

 


Es gibt neue Gesichter in der Schachabteilung

Auch wenn unsere Fotogalerie noch nicht komplett ist, möchte sich die Jugendabteilung, in der auch etwas ältere Neueinsteiger mittrainieren, gerne vorstellen:

Oben von links nach rechts: Julian Blümke, Maximilian Rygol, Felix Wessels und Philipp Kleemann.
Unten von links nach rechts: Arne Petermann, Victoria Rygol, Franek Domagalski und Konstantin Hindersmann.

Fotos: © 2017 Sobotta, Thal