5. Runde VEM: War’s das schon?

Logo VEM 2016_560pxAls der Chronist den Spielsaal betrat, war alles schon vorbei: Hannes Ewert hatte seine Partie gegen Stefan Röhrich im Eilverfahren abgewickelt. Fünf aus Fünf – klare Ansage. Die Verfolger konnten daher nur ein Ziel haben: Gewinnen, um den Abstand nicht noch weiter zu vergrößern! Sie taten es. Und die Kiebitze sahen dabei eine Partie, die zu den schönsten des laufenden Wettbewerbs gehörte.

blauer Trenner

vt_20150512_dia_Ewert-Roehrich vor 13 De3Ewert – Röhrich: Die Stellung weist viele Merkmale einer Gewinnstellung auf: den weißen Entwicklungsvorsprung, unmittelbare taktische Drohungen und einen schwarzen König, der sich gerne mit langer Rochade in Sicherheit bringen würde. Kann er aber nicht – es fehlt die Zeit. 13.De3!! spielt Hannes nun, was beinahe gewonnen ist. Beinahe, weil Weiß nach 13…Sg8 in aller Seelenruhe rochierte und dem Gegner einen Halbzug lang die Gelegenheit gab, etwas Entscheidendes zu finden. Es gab aber nichts, was jedoch nicht bedeutetet, dass nix mehr los ist. Im Gegenteil: die Varianten enthalten einige hübsche Kombis, die man unbedingt nachspielen sollte. Nachspiellink.

So gegen 21:00 Uhr hatte Hannes also 2,5 Punkte Vorsprung. Vorübergehend. Zu den genau beobachteten Verfolgerduellen gehörten u.a. die Partien Stock – Paul, Kamper – Zur Lage, Rothe – Thorben Weist und Wöllermann – Bade, weil dort Spieler an den Brettern saßen, die nominell zu den Favoriten gehört hatten. Dazu war sicher auch der Hollager Norbert Lange zu zählen, aber der musste nach langem Kampf mit Joachim Rein den Punkt teilen. Zwei Punkte Rückstand auf den Tabellenführer, da passiert nicht mehr viel.
Langes Ringen: Wöllermann - Bade (l.) = 0-1
Langes Ringen: Wöllermann – Bade (l.) = 0-1

Auch Hajo Bade brauchte viel Zeit, um seinen vollen Punkt gegen Ludger einzufahren: 3,5 Punkte und Platz 5 geben theoretisch einiges her, aber die momentane Feinwertung spricht gegen ein „Meisterwunder“ in letzter Minute.

Schwarz gewinnt trotz Zeitnot: Rothe – Weist (r.) = 0-1

Martin Rothe, der bislang ein fabelhaftes Turnier gespielt hatte, hätte nach den Sternen greifen können. Auch weil Thorben, wie so viele in der dieser Runde, mit enormen Zeitproblemen zu kämpfen hatte. Martin hatte mit den weißen Steine eine interessante Stellung und ausreichend Zeit, ließ sich in der entscheidenden Phase aber auf das hohe Tempo seines Gegners ein, was prompt Material kostete. Thorben ist mit ebenfalls 3,5 Punkten nun schon auf Platz 2.

Ebenfalls den Sprung in die Verfolgergruppe schaffte Julian zur Lage, der den Hollager Frank Kamper bezwang. Auch eine Partie, in der zumindest bei Frank am Ende nur noch wenige Sekunden auf der Uhr waren.

High-Noon am Spitzenbrett

Turnierleiter Norbert Sobotta hatte bereits in den Vorrunden ein Spitzenbrett eingerichtet. Der Einzeltisch signalisiert die Bedeutung der Partie. Diesmal war die Auswahl sicher nicht einfach gewesen, aber Norbert hatte wohl so eine Ahnung und beförderte Jörg Stock und Reinhard Paul auf diesen Ehrenplatz.

Taktik der Extraklasse: Stock – Paul = 1-0

Es ist unmöglich, alle Highlights der Partie vorzustellen. Jörg war theoretisch exzellent vorbereitet in die Partie gegangen. Nach neun Zügen stand er deutlich besser, nach 15 Zügen auf Gewinn. Aber die verkürzte Bedenkzeit forderte ihren Tribut und Jörg, der eine akribische Post-Analyse vorlegte, hatte irgendwann das Gefühl, das nicht alles optimal gelaufen war.

Im linken Diagramm geschah 25.Tf3, was Jörg mit einem „?“ versah, weil stattdessen 25.a4! den schwarzen Damenflügel aufgerieben hätte. In der Partie geschah nun 25…hxg3 26.hxg3 Tg8? Stattdessen hätte 26…Lc5 folgen sollen, um den Läufer loszuwerden. Dies hätte Jörg in sehr knapper Zeit einiges abverlangt. Das rechte Diagramm zeigt eine der vielen Stellungen, die Jörg in der Lc5-Variante analysieren musste. Schwarz am Zug opfert alle (!) Figuren – und das sind immerhin vier an der Zahl – und erreicht forciert ein Remis. Gibt’s nicht, geht nicht? Bitte nachspielen!

Ein Dutzend Züge später hatte sich der Rauch nicht gelegt. Jörgs Zeitreserven waren eingeschmolzen, Reinhard hatte seinen neunminütigen Vorsprung deutlich reduziert. Jörg zauberte mit 37.d8D einen hübschen Gewinnzug aufs Brett, hatte sich aber zusätzlich mit der Nebenvariante 37.Tf7 Kxe6 abgequält, wonach in der rechten Diagrammstellung nun die Unterverwandlung 38.d8S!! gewinnt und nicht etwa der Griff zur Dame. Nachspiellink.

Jörg hat um die beiden Varianten-Diagramme gebeten. Zu Recht. Sie zeigen doch sehr deutlich, was in einer Partie drinsteckt, wenn man so viel sieht wie unser oberliga-geprüfter Jörg. Entsprechend spannend war auch die Post-Analyse im Hinterzimmer und man wusste nach dieser Sitzung, dass unsere Cracks aus der Ersten nicht deswegen Zeitprobleme bekommen, weil sie ein Nickerchen am Brett machen. Sie sehen einfach zu viel und dass Jörg gegen seinen trickreichen Gegner (Lob an Reinhard, dem ein paar fiese Züge einfielen) nicht im Strudel der Varianten die Zeit überschritt, machte aus der Partie einen der seltenen Magic Moments im Schach.

In der nächsten Runde kommt es zum Top-Spiel Zur Lage – Ewert. Danach weiß man, ob die letzte Runde zum Krimi wird. Alle übrigen Ergebnisse und die aktuelle Tabelle findet man auf unserer Sonderseite.

Fotos: Thal