Hellern 1: Kaum was zu holen in Lingen!

„Der Kurs des Lingener Flaggschiff geht klar in Richtung 2. Bundesliga. Auch für uns Helleraner gab es nichts zu holen. Ein Brettpunkt nach dem anderen wurde gekapert. Das Endergebnis von 0,5 – 7,5 sieht schlimm aus. War aber in dieser Höhe absolut nicht nötig“ (Hans-Jürgen Bade).

Achtbar gegen die ELO-Riesen geschlagen

Na klar, wenn man mit vier Ersatzleuten anreist, dann gibt’s halt ’ne Klatsche, werden die Meisten denken. Ist aber wieder so ein Fall von ‚Denkste‘. Sicherlich wird ein Match umso schwieriger, je mehr Ersatzleute man braucht. Auch ist es kein Vergnügen erneut bei der Zweiten zu plündern! Umso wichtiger ist es aber, darauf hinzuweisen, dass wir es dennoch in beiden Mannschaften geschafft haben, mit acht Spielern anzutreten!

Die acht Aktiven in Lingen haben sich mehr als achtbar gegen die ELO-Riesen geschlagen, die im Durchschnitt an jedem Brett fast 300 Punkte besser waren. Wie sehr wir Paroli geboten haben, ließe sich auch am Bedenkzeitverbrauch ablesen (hätte man ihn bis zum 30. Zug mitnotiert). Es soll vorkommen, dass auch eine digitale Uhr zwischendrin kollabiert und dann wäre jeder Zeitbonus futsch. Denn die gegnerischen Titelträger haben uns richtig ernst genommen, gerade in der Anfangsphase ordentlich ihre Bedenkzeit genutzt und sich entsprechend in die Partie hineingearbeitet.

Chronologisch berichtet ging uns Stephan Niendieker als Erster über die Planken. Im Trainingslager auf Mallorca hatten wahrscheinlich andere Theoriedebatten Vorrang, so dass das Drachenduell gegen Zyon Kollen mit 29 Zügen recht kurz ausfiel. Im Ernst: Es ist Stephan ein großes Lob zu zollen, dass er sich fast nahtlos vom Flieger ans Brett gesetzt hat. Respekt!

Vor der Zeitkontrolle erwischte es außerdem Julian Zur Lage gegen GM Milanovic (ELO 2508), Franz Ernst gegen FM Milosevic (2251) und Joachim Rein gegen FM Gazic (2210). Im letzten Jahr ging diese Partie noch Unentschieden aus, was nicht zuletzt unserem hauseigenen Ökotrophologen M. Hart zu verdanken war. Auch hier gilt es an Franz und Joachim noch einmal ‚Danke‘ zu sagen für den spontanen Einsatz.

In der Partie gegen Danilo Milanovic kam Julian (Archivfoto) gut aus der Eröffnung und bemühte dank der besseren Entwicklung um eine Initiative. Die serbische Nr. 12 nahm allerdings ungerührt alle Bauern weg, die er kriegen konnte. Offenbar hatte er alles berechnet.

Zur Lage2121Milanovic25080–1A43Oberliga Nord West 2017/187.3Lingen25.02.2018Thal
Ein sehenswerter Sieg gelang dem Gastgeber am dritten Brett. 12...f5! 13.cxb4 xb4 14.a4 xb2! Einen Bauern wegnehmen, obwohl der Gegner voll entwickelt ist? 15.e2 b7 16.b1 c7 17.a3 d7 Dem Augenschein nach sieht die weiße Stellung gut aus. 18.ab3 xa5 Er nimmt auch noch diesen Bauern abgebrüht weg. 19.b5 c7-+ 20.e4 20.c4 b8 21.fd2 f6-+ 20...b6 21.c4 fxe4 22.g5 xd5-+ Noch ein Bauer. Milanovic spielt technisch enorm genau, denn Weiß hat keine Kompensation. 23.xe4 23.xe4 b7-+ 23...f4 24.d2 d5 25.cd6 dxe4 26.xf4 e6 27.a3 a6 28.e2 fd8 29.xe4 29.d1 d4-+ 29...xd6 30.d3 d4! Die Lingener hätten auch einer Computer ans Brett setzen können. Der Unterschied wäre nicht aufgefallen. Starke Leistung des GM. 0–1


‚Close but no cigar‘

In den verbleibenden vier Partien war mehr drin, als das erzielte magere halbe Pünktchen. Dieses erzielte unser Youngster Thorben Weist (Archivfoto) gegen Lev Gutman! Der Kiebitz dachte, Thorben werde ganz leicht technisch ausgezählt. Doch weit gefehlt. Der GM verpasste im 34. Zug eine große Chance und fing sich im 35. Zug einen ausgezeichneten Konter ein, der sich zu einem enorm gefährlichen Freibauern mauserte. Am Ende der Partie musste Lev Gutman Dauerschach geben, um nicht mit einem Osterei den Tag zu beenden.

Gutman2406Weist2074½–½A49Oberliga Nord West 2017/187.4Lingen25.02.2018Thal
34.e5+!? 34.c4! dxc4+ 35.xc4 und mit dem aktiven weißen König scheint dies gewonnen zu sein. 34...f6 35.f4 g5! 36.hxg5 fxg5 37.e5+ g6 38.b6+ f5 39.f3 g4! 40.h6?! 40.fxg4+ hxg4 Nimmt dagegen der König auf g4, gewinnt Weiß mit Tg6+ ziemlich einfach. 41.b8± Der neue Stockfish 9 sieht nach 41.Tb5 sogar eine haushohe Gewinnstellung. 40...gxf3 41.xh5+ g4 42.h7 a7 43.f7 a1 44.f4+ zieht die Notbremse, bevor Schwarz ernsthafte Drohungen aufstellt. xg3 45.f7+ g4 46.f4+ g3 47.f7+ g4 Thorben hat nach dem womöglich schwachen 34. Zug energisch Gegenspiel gesucht und auch gefunden. Das soll man ja auch tun, wenn man schlechter steht. ½–½

 

Spannend war es auch an den ersten beiden Brettern. Carsten Lingnau (Archivfoto) stand gegen GM Perunovic (2599) bis zum 32. Zug klar besser, traf dann eine unglückliche Entscheidung und aus dem Nichts rollten auf einmal die schwarzen Bauern unaufhaltsam gegen seine Königsfestung. Es mag erstaunlich klingen: aber in dieser Partie gegen einen Gegner mit knapp 2600 ELO war für uns am Meisten drin. Das liegt aber ganz klar an der Spielstärke von Carsten – er ist einfach gut und kann auch gegen GM in diesem hohen ELO-Bereich mithalten.

Lingnau2424Perunovic25990–1A33Oberliga Nord West 2017/187.1Lingen25.02.2018Thal
31.d5!± g7 32.d6 32.d8+ h7 33.b8 c7 34.xb7 xb7 35.xb7 xb3 36.xa5± 32...g5!= 33.b6 33.e6! f7 34.xg7 xg7 35.c5 f4! Nach 35…Tb3 sammelt Carsten einige Bauern ein. 36.gxf4 gxf4 37.exf4 e3! 38.fxe3 xb3 39.xa5 bxe3 40.b6= 33...f4 34.gxf4 gxf4 35.xe4?! 35.exf4 ist hier richtig, aber nicht alternativlos. Man kann auch 35.h4 versuchen. wonach die Engine 35…Le5 vorschlägt. Stattdessen wäre aber auch 35…f3 möglich, was giftig ist, aber wohl auch zum Remis führt. 35...f3! Der Pfahl im Fleische! 36.h4 e5 37.xe5? verliert leider. Stattdessen war 47.Tg4+ möglich, was zu einem sehr komplizierten Endspiel führt. g7+-+ 37...xe5 38.d3 und die Remisbreite wird nicht überschritten. 38.g5 38.h1 b1+ 39.h2 g2+ 40.h3 h1# 38...hxg5 39.h5 g4 40.e4 g3 41.xg3 g4 42.g6+ 42.xb7 b1+ 43.h2 h4# 42...xg6 43.hxg6 xb3 44.f5 b5 Der serbische Landesmeister 2007 spielte etwas genauer, aber eine Punkteteilung war für Carsten durchaus im Bereich des Möglichen. 0–1

 

Aber auch am 2. Brett ließ sich Jörg Stock (Archivfoto) gegen GM Epishin (2539) nicht lumpen und hielt super mit. Von dem berühmten Unterschied zwischen einem ‚Nobody‘ und einem GM war aber auch gar nichts zu sehen.

38…g6? 39.g5+- Der Bauer d5 fällt!

Eine Ungenauigkeit im 38. Zug (…g6 statt Ke6=) entschied dann die Partie. ‚Close but no cigar‘ heißt es dann. Aber auch wenn Jörg sich nichts dafür kaufen kann, darf er sehr zufrieden sein mit seiner Partie! Sicherlich war er nicht in der Nähe, einen ehemaligen Weltklassespieler umzustoßen, aber er hat gezeigt, dass auch ein solider Amateur etwas draufhat!

Die letzte Partie gehörte dem Chronisten. Der befand sich auch in Remis-Reichweite – vergeigte diese Chance aber! Mit sich selbst ist man immer am härtesten! Gehört wohl dazu. Laut Computer gab es im Verlaufe der Partie mehrere Möglichkeiten.

Zur Spielstärke gehört aber auch, dass man auf Ungenauigkeiten des Gegners beharrlich wartet. Und leider auch das Wissen darum, dass der Amateur irgendwann doch den rechten Weg verlässt. Sei es aus Unkenntnis oder mangelnder Wettkampfhärte über eine Spieldauer von fast sechs Stunden.

Am Ende des Tages blieb es bei der erwarteten Niederlage –  gegen einen Gegner, der sich nur auf Durchgangsreise befindet. Unter diesen Umständen haben wir uns achtbar geschlagen. Manchmal muss man es halt olympisch nehmen.

Hajo