Es ist noch keine Woche her, da feierte die Schachabteilung des SV Hellern einen ihrer größten Erfolge: Den Landesmeistertitel in der u16 Jugend für Hannes Ewert. Hannes hatte in einem dramatischen und extrem knappen Rennen um den Meistertitel am Ende hauchdünn die Nase vorn. Sein Sieg freilich ist verdient, denn er spielte hervorragendes Schach und zeigte auf der Zielgeraden große Nervenstärke.
Ich treffe mich mit Hannes an einem Ferienabend im Vereinsheim des SV Hellern. Vor mir sitzt der Landesmeister Niedersachsen der u16.
Hallo Hannes.
Hallo.
Herzlichen Glückwunsch zum Landesmeistertitel und zur Qualifikation zur Deutschen Meisterschaft!
Danke!
Kommen wir gleich zum dramatischen Finale in der letzten Runde: Du liegst hauchdünn nach Feinwertung vor Jakob von Estorff. Gewinnt er, musst Du auch gewinnen, und außerdem muss die Tie-Break-Wertung für Dich die bessere sein. Wie war das im Turniersaal?
Wir waren auf dem Podest mit den Live-Brettern, die im Internet gezeigt wurden. Jakob und ich saßen aber nicht direkt nebeneinander, so dass ich nicht jederzeit schauen konnte, wie es bei ihm steht. Allerdings schaut man natürlich zuerst auf die eigene Partie.
Aber Jakob war vor Dir fertig und gewann überzeugend.
Ja, und das hat den Druck auf mich natürlich noch mehr gesteigert. Ich musste also gewinnen. Alles oder nichts, sonst wäre der Traum vorbei gewesen.
Was war der Traum: Landesmeister werden oder sich für die Deutschen Meisterschaften qualifizieren?
Landesmeister werden. An den Deutschen hatte ich ja bereits zweimal teilgenommen.
Wärst Du als Zweiter qualifiziert gewesen?
Nein, nur der Erste ist qualifiziert.
Eine Frage zur Eröffnungswahl: Warum 1. d4 in der letzten Runde?
Ich wusste, dass Lucas Graf gegen 1. e4 Sizilianisch-Najdorf spielt und die entsprechenden Varianten ziemlich genau kennt. Darauf wollte ich mich nicht einlassen, sondern lieber eine Strategie wählen, mit der ich langsam Druck aufbauen kann. So ein bisschen, wie Carlsen das auch macht. Aber Lucas hat mich völlig überrascht mit seinem Benoni-Aufbau. Da bekam ich zunächst echt das Gefühl, dass es nicht klappen könnte.
Aber Du hattest ja dann irgendwann die typische Carlsen-Stellung: Einen kleinen Vorteil, den Du ausbauen konntest.
Ja, und vor allem hatte ich sehr ähnliche Stellungen gerade in den letzten Wochen mit meinem Heimtrainer Alexander Kabatianski durchgesprochen. Dabei ging es um Bauernhebel am Damenflügel: Wann spiele ich b4, wann a4? Das hatten wir uns angesehen, und das hat mir in der Partie geholfen. (Hier geht es zum Bericht über die Partie Ewert-Graf.)
Wie hast Du Dich darüber hinaus auf die letzte Runde vorbereitet?
Ich habe mit Christian Richter zuerst die Zahlen durchgespielt. Christian ist in Mathe ja unheimlich schnell, hatte alles sofort vor Augen und konnte es mir dann genau erklären. (Anmerkung der Redaktion: Es geht hier um die Buchholz-Wertung: Hannes musste schauen, wie seine Gegner früherer Runden und wie die Gegner von Jakob von Estorff abschneiden würden. Seine Gegner durften nicht weniger Punkte holen als Jakobs Gegner. Hier geht es zu den Details.) Ich hatte eigentlich ein positives Gefühl bei meinen Gegnern, die alle ein gutes Turnier gespielt hatten, und dachte, da kann eigentlich nichts schief gehen. Und es ging auch nichts schief.
Hattest Du vor dem Turnier einen Zweikampf um den Titel erwartet? Oder einen Dreikampf? Oder noch mehr Spieler, die vorne mitmischen würden?
Ehrlich gesagt habe ich einen Zweikampf zwischen Jari Reuker und mir erwartet. Aber Jakob hat ein super Turnier gespielt und war ja auch bis zum Schluss ganz nah dran.
Eigentlich hast Du es ja selbst zu einem Dreikampf werden lassen, durch Deine Niederlage im direkten Aufeinandertreffen.
(Grinst.) Stimmt.
Was ist da passiert?
Ich war eigentlich gut vorbereitet und hatte meine Vorbereitung auch auf dem Brett. Bis zum 13. Zug (13. … Sd7) hatte ich mir es angesehen. Und ich hatte mir einige Musterpartien angeschaut und kannte die Angriffsideen für Schwarz. Dann schaute ich aufs Brett und sah nur noch meine Angriffsmöglichkeiten. Ich dachte, seine Drohungen mit Sb5 und Sxc7 sind egal, mein Angriff geht durch.
Beim Nachspielen dachte ich das auch: Hannes setzt Jakob einfach matt. Aber dann blinkte bei meiner Engine der Verteidigungszug Ld6 auf.
Genau. Nach Ld6 dachte ich: Sch…! Hätte ich das Remis doch lieber angenommen.
Er hatte Remis geboten?
Ja, nach 21. Sxe8. (Hier geht es zur Partie von Estorff – Ewert.)
Danach warst Du bereits zum Siegen verdammt, und da kam ausgrechnet die Partie gegen Jari Reuker. Wie gut kennt Ihr Euch?
Wir sind ein Jahrgang und spielen nun schon lange Zeit jedes Jahr gegeneinander. Deshalb können wir uns gegenseitig sehr gut einschätzen. Und vor jeder Partie bereiten wir uns aufeinander vor. Ich weiß zum Beispiel, dass Jens Kahlenberg, der Trainer von Jari, sich mit Jari vor jeder Partie gegen mich etwas ausdenkt. Aber wir denken uns auch etwas aus.
Christian Richter und Du?
Ja, Christian war auf Norderney mein Trainer. Er war für vier Spieler des Bezirks 6 da, unter anderem auch für Thorben (Weist). Das war eine riesengroße Hilfe. Gar nicht mal, weil ich so lange mit Christian zusammengesessen hätte, so lange war das gar nicht, jeder der vier hatte seine Zeit mit ihm. Aber Christian ist mit mir die wichtigsten Dinge durchgegangen, und dann habe ich mir Musterpartien angesehen. Ich habe also auch vieles alleine gemacht, und das hat sehr gut geklappt.
Ist natürlich gut, einen starken Trainer dabei zu haben.
Und es ist ja auch gar nicht selbstverständlich, dass Christian eine Woche auf Norderney verbringt und sich um uns kümmert. Das war schon eine tolle Sache, einen so guten Trainer dabei zu haben, mit dem ich mich auch noch sehr gut verstehe. Nicht vergessen darf man aber auch Alexander Kabatianski, der mich ebenfalls (aus der Ferne) unterstützt hat, gar nicht mal konkret für die Partien, sondern eher für meine „mentale“ Vorbereitung. Das Angebot hat mich sehr gefreut, und ich habe es gerne angenommen.
Wer war aus Hellern dabei?
Joe (Santos) war dabei, mein Vater aber nicht, der musste arbeiten. Joe hat Felipe (Santos) trainiert und war daher bei der Partievorbereitung eher nicht dabei. Aber Thorben, der ja ein sehr starker Spieler ist und gute Ideen beitragen kann.
Letztlich macht Ihr es also gar nicht so anders als die Topspieler, nur eben nicht den ganzen Tag und für alle möglichen Gegner und Varianten, sondern gezielt für eine Partie. Es ist letztlich also auch ein Katz-und-Maus-Spiel. Und, hast Du Jari in der Partie „outprepared“?
Ich denke schon ein wenig. Meine Eröffnung ist gut gelaufen, und ich habe mich auch wohl gefühlt und hatte den Eindruck, dass Jari nicht mit dieser Variante gerechnet hatte. Ich war dann auch einigermaßen lange in meiner Vorbereitung. Aber dann kam das Figurenopfer auf g4, das war eine echte Überraschung. Ich nahm es sofort an, da ich sonst einfach einen Bauern weniger gehabt hätte. Danach musste ich natürlich erst einmal nachdenken. Aber ich habe mich, glaube ich, ziemlich genau verteidigt. (Hier geht es zur Partie Ewert – Reuker.)
Ja, in der Tat. Und danach, nach dem Gewinn gegen Jari, sah es wieder ganz gut aus. Hast Du daran geglaubt, Jakob einzuholen? War das ein Schlüsselmoment?
Ja, auf jeden Fall, vor allem weil Jakob noch gegen Jari spielen würde. Aber vorher spielte Jakob auch noch ein relativ kurzes Remis gegen seinen Vereinskollegen Imamali (Askerov). Das war für mich sehr überraschend, denn Imamali hatte keine eigenen Siegchancen im Turnier. Aber für mich war es natürlich gut, und meine Zuversicht stieg.
Und nun geht es im Juni zur Deutschen Meisterschaft.
Naja, erst einmal müsste ich dafür frei gestellt werden, denn da sind keine Schulferien. Das werde ich gleich nach den Osterferien beantragen und hoffe, dass ich bei der Deutschen spielen darf. Aber da muss ich erst einmal abwarten.
Und in Willingen bei den Deutschen triffst Du dann auf die deutsche u16-Spitze. Kennst Du die schon?
Ein bisschen vom Sehen. Da sind natürlich bekannte Namen dabei: Luis Engel, Valentin Buckels, Julian Martin, Emil Schmidek, die Top Spieler meines Jahrgangs. (Hier geht es zur aktuellen ELO-Rangliste des 2001er Jahrgangs). Und eventuell wird wieder Vincent Keymer dabei sein, der letztes Jahr bereits u16 gespielt hat.
Vielleicht auch Jana Schneider, die frisch gebackene Deutsche Damenmeisterin. Mit den beiden hättet Ihr wahrscheinlich so ein bisschen einen Carlsen Effekt: Ihr hättet die meiste Aufmerksamkeit. Wie siehst Du Deine Chancen?
Wir haben in Niedersachsen zwar nicht die besten Spieler des Jahrgangs in Deutschland, aber so schlecht sehe ich meine Chancen nicht.
Und Jari und Du, Ihr habt ja eine sehr starke Entwicklung gemacht im vergangenen Jahr. Es ist ja nicht so, dass Ihr in der deutschen Rangliste ganz hinten stehen würdet.
Genau. Wenn man auf die Rangliste der u16 schaut, bin ich derzeit auch recht nah an den Top Ten dran. Das wäre dann auch mein Ziel für die Deutsche Meisterschaft: Unter die Top Ten kommen, das wäre großartig.
Hannes, dafür wünschen wir Dir alles Gute! Vielen Dank für dieses Gespräch.
Titelfoto: © NSJ 2017