Nach dem 5-3 gegen den SK Lehrte ist Hellern nun geteilter 6.-7.
„Schicksalsspiel“ – das ist für viele vielleicht etwas zu dramatisch, trifft aber den Kern, denn ein weiterer Fehlschlag hätte den Druck auf unsere Mannschaft drastisch erhöht. So aber konnte sich das Team etwas entspannen. Vorläufig. Ansonsten war das Match gegen den Aufsteiger SK Lehrte ein Leckerbissen für die Kiebitze, denn es gab spektakuläre Partien zu sehen – auch dank einiger Kreativspieler der Gäste.
Wie ein Hurrikan
Ein Pflichtsieg war dies nicht. Nicht weil der Begriff geringschätzig wäre, sondern weil er die Qualität des Gegners ignoriert hätte. In meiner Saison-Vorschau hatte ich den SK Lehrte als chancenreichen Aufsteiger beschrieben, der an den Spitzenbrettern Qualität aufweist und zudem über sehr viele gute Backup-Spieler verfügt. Dies zeigte sich auch am letzten Sonntag.
Platz 7 war meine Prognose für unsere Gäste. Das wird nun wohl nicht mehr möglich sein, auch weil Lehrte gegen alle Mannschaften im letzten Drittel verloren hat. Aber das Team muss man sehr ernst nehmen, denn in der aktuellen Runde der Deutschen Pokalmannschaftsmeisterschaft (DPMM) hat Lehrte am 19.1. den mit zwei GM und einem FM bestückten SV Erkenschwick aus dem Wettbewerb geworfen. Drei Spieler des Siegerteams spielten in Hellern an den Brettern 1-3:
Ein hyperspannender Wettkampf mit beiderseitigen Punktgewinnen wurde es trotzdem nicht. Hellern legte sofort los, ein laues Lüftchen sah anders auch. Bereits in der dritten Wettkampfstunde stand es 3-0 für die Gastgeber, die einen Hurrikan entfesselt hatten.
Die Siege von Dr. Ingo Gronde, FM Hannes Ewert und dem genial aufspielenden Martin „Locke“ Hart hatten es in sich. Der Reihe nach. Das Match an Brett war deshalb so interessant, weil Ingos Gegner Anton Weigand bei der DPMM den Erkenschwicker GM Dennis de Vreugt besiegt hatte. Einen spannenden Bericht gibt es hier.
Es ist keine gute Idee gegen Ingo Svesnikov zu spielen, aber dem Lehrter gelang dies zunächst ansprechend. Anton Weigand fand sogar eine interessante Neuerung, die auch Stockfish spielen würde. Bereits einen Zug später stellte der Lehrter eine Figur ein. Er hatte sich wohl darauf verlassen, dass nach 13…gxf6 14. Dxd5 Lxc3+ die weiße Dame hängt. Aber nach 15.bxc3 Dxd5 folgt die Springergabel 16.Sxf6. So war ohne Kompensation eine Figur futsch und wenig später die Partie. 1-0.
Hannes und „Locke“ bauten die Führung aus. Hannes musste etwas härter arbeiten als Ingo, aber sein Gegner Marvin Kieselbach war nach einem Dutzend Zügen nur noch im Verteidigungsmodus unterwegs.
Hannes‘ Kampf vor der weißen Rochadestellung war es ein kleinteiliges Kämpfen um Felder und Ressourcen. In kleinen Schritten fanden die Türme den richtigen Platz. So, als würde man mit einem Ferrari im Schrebergarten spazierenfahren: Man kann nicht voll aufdrehen, muss aber trotzdem aufpassen. Hannes gelang dies auf sehenswerte Weise: ein gut geplantes Opfer führte zum finalen Mattangriff.
Auch „Locke“ hatte mit Marvin Kieselbach am 8. Brett einen hartnäckigen Kontrahenten zu bezwingen. Auch wenn Locke unlängst seinen Sechzigsten feierte, spielt er so kreativ wie vor einem halben Jahrhundert. Seine Partie beeindruckt zum einen durch eine spannende Neuerung, danach durch einen sub-optimalen Zug (das wusste Locke, er spielte aber All in), der durch ein hyperdynamisches Angriffsspiel, häufig auch Chaos genannt, den Gegner unter Druck setzen sollte. Kurz danach folgte ein geniales Opfer. Lasker hätte sich über dieses psychologische Manöver gefreut.
Da die Analyse etwas länger ist, bitte hier nachspielen.
Zwischenfazit: Nach einem Remis von Holger Lehmann stand es 3½-½. Holger ließ nichts anbrennen und spielte theoretisch sowie technisch eine pragmatische Partie, deren Ergebnis mannschaftstaktisch sehr wichtig war.
War’s das?
Der Zwischenspurt: Lehrte holt auf
Nein, das war’s nicht. Wer am Samstag Bayern-Kiel gesehen hatte, hatte sehen, wie schnell sich ein sicher geglaubter Sieg in Luft auflöst. Bayern kam mit einem blauen Auge davon, Jörg nicht. Es war seine vierte Pleite – und das nach einer von beiden Akteuren theoretisch anspruchsvoll gespielten Partie, in der Jörg nur einen Fehler machte. Leider reichte dies dem Lehrter.
Sollte es noch einmal spannend werden? Zum Glück nicht. Zunächst passierte eine Zeit lang nichts, dann meldete Jens Güting seinen zweiten Saisonsieg und wurde zum Matchwinner. Die Partie war vorentschieden, als Jannik Kieselbach einen Bauern opferte. Verständlich: Angesichts des Zwischenstands musste Lehrte in den restlichen Partien All in gehen. Das konnte Jens nicht beeindrucken. Die Stellung wickelte er technisch präzise zu einem gewonnenen Endspiel ab: 4½-1½.
Epilog
Zu diesem Zeitpunkt kämpften Reinhold Happe und Alexander Hoffmann noch um Zählbares. Reinhold remisierte gegen Thore Meiwes und dessen „Londoner“ in gewonnener Stellung, Alex musste dagegen die Segel streichen.
Obwohl der Mannschaftssieg in trockenen Tüchern war, ging in Reinholds Partie ziemlich dramatisch die Post ab. SF Meiwes stand bereits in der Theoriephase deutlich besser, hatte mindestens einmal eine Gewinnstellung, konnte sie aber nicht erfolgreich zu Ende spielen. Dann drehte Reinhold den Spieß um, aber trotz Mehrfigur gelang ihm ebenfalls nicht der Sieg. Wäre die Partie entscheidend gewesen, hätte sich jeweils einer der beiden Akteure schwarzgeärgert. Nachspielen kann man das Spektakel hier.
Alex‘ Gegner Gegner FM Nico Stelmaszyk beeindruckte durch ein finessenreiches Doppel-Bauernopfer in der Eröffnungsphase und schaffte es, die Restentwicklung seines Gegners nachhaltig zu stören. Wer einen schnellen Sieg des Lehrter Spitzenspielers erwartete, wurde entweder enttäuscht (aus Lehrter Sicht) oder angenehm überrascht (aus Helleraner Sicht). Denn Alex kämpfte sich in die hochkomplexe Partie zurück, drehte sie sogar, aber es fehlte die Präzision, um die Partie wenigstens unentschieden zu gestalten. Zuletzt hatte Alex in der Saison 2022/23 eine Partie verloren. Die wichtigste Partiephase kann hier nachgespielt werden.
Der Stand der Dinge
Die Tabelle nach der 5. Runde sieht für uns nun etwas besser aus. Die Mannschaften sind enger zusammengerückt. Bei zwei Spitzen-Prädatoren bleiben für die meisten Teams nur sieben Spiele, in denen 6-7 P geholt werden müssen. Also ca. 50% der machbaren Punkte. Allerdings kann auch bei nur einer Top-Mannschaft und einem Aufsteiger, der alles verliert, eine ähnlich hohe Quote nötig sein, um „drin“ zu bleiben. Im Vorjahr stieg eine Mannschaft mit 7 P ab. Es fehlte ein halber Brettpunkt…
Und was passierte sonst? Nach vier Siegen musste Delmenhorst gegen den Lister Turm II ein 2-6 wegstecken. Uelzen gewann dank der Dominanz an den Spitzenbretter mit 5½-2½ sicher gegen die SG Osnabrück, während Oldenburg beim 4-4 gegen Werder Bremen III der Befreiungsschlag nicht gelang. Kirchweyhe konnte den ersten Tabellenplatz gegen NOH-Blanke verteidigen.
Hellern spielt am 23.2.2025 daheim gegen den Delmenhorster SK. Da die weiteren Paarungen vermutlich nur wenig an der Reihenfolge der Teams ändern, ist bei einem Sieg der Sprung auf Platz 5 möglich. Ansporn genug, um alles „rauszuhauen“.
Fotos: © Thal 2025