Oberliga: Hellern gibt die rote Laterne ab

Endlich wieder ein Stadtderby! Man kennt sich und hat in der Vergangenheit etliche Kämpfe ausgefochten. In der Oberliga allerdings zum ersten Mal. Die Rede ist von der SG Osnabrück, die als Favorit nach Hellern reiste. Die SGO hatte bereits zwei Punkte verbucht, wir keinen. Dafür trat Hellern (endlich!) fast vollständig an und landete mit 6½-1½ einen unumstrittenen Sieg. Die Belohnung: ein Sprung auf Platz 7 der Tabelle.

Subtile Kleinigkeiten

Die Gäste leisteten heftigen Widerstand, konnten aber nicht verhindern, dass sie die ersten Punkte erst zu einem Zeitpunkt einfuhren, als alles beinahe vorbei war. Zu spät, um für etwas Spannung zu sorgen. Hellern ging mit 4-0 in Führung, verlor keine Partie und ließ nur drei Punkteteilungen zu.

Das alles musste sich das Hellern-Team hart erarbeiten. Ein Kantersieg in der Oberliga ist nämlich etwas anderes als in der Kreisklasse. Oft entscheiden subtile Kleinigkeiten über den Ausgang der Partie und nur selten werden Spieler in der Oberliga hoffnungslos zusammengeschoben.
Konkret: an den Brettern 2 und 3 waren für die Gäste Remise möglich, an Brett 5 und 8 sogar volle Punkte. Man kann natürlich nicht jede Chance wahrnehmen, aber ein knapperes Ergebnis war möglich.

Brett 1: FM  Haskamp –  Hoffmann = 1-0

FM Haskamp (r.) – Hoffmann: die letzte Partie verlor unser Spitzenspieler in der Saison 2022-23
Nach 18.Sb3 folgte 18…Df5-+

Das Thema der Partie war die Bauernjagd.  Alexander Hoffmann benötigte zwei Tempi, um seinen König auf g7 in Sicherheit zu bringen. Statt seine Dame zu zentralisieren, wollte FM Haskamp die Zeit nutzen, um den schwarzen a-Bauern zu erobern. Alex‘ Turm konnte allerdings auf der 2. Reihe eindringen. Damit hatte er dynamisches Gegenspiel. Der Versuch, den schwarzen Turm auszusperren, führte dann zum ‚logischen‘ Verlustzug 18. Sb3, den Alex mit einer brillanten Riposte quittierte. Weiß rochierte, aber es fiel der Bf3 und auch h2 war ein Schwachpunkt. Alex wickelte alles routiniert ab.

Brett 2: FM Gronde – Bennemann = 1-0

FM Gronde – Bennemann (r.)

Wenn man 3½ Punkte an den ersten vier Brettern holt, dann erzählt das nicht die ganze Geschichte. Nicht alles läuft rund. Dr. Ingo Gronde spielte à la Königsindischer Angriff, aber SF Bennemann gelang es nicht, am Damenflügel das Spiel zu öffnen. Trotzdem: Laut Engine stand Ingo etwas schlechter, auch weil Schwarz den Druck auf das Feld d4 erhöhen konnte (14…Se6). Dies geschah zu spät. Schwarz hätte die Stellung in dieser Phase auch komplett „verrammeln“ können, griff stattdessen das Zentrum an, was sofort Material kostete. Hier war für die Gäste mehr drin.

Brett 3: Selker – FM Ewert = 0-1

Selker – FM Ewert (r.): der Tanz der Springer

Endspieltechnisch war die Partie sehr anspruchsvoll, zwischendurch auch mal ausgeglichen, aber FM Hannes Ewert kämpfte hartnäckig weiter. Marc Selker holte alles aus der Stellung heraus, inklusive eines Freibauern auf a7, der Hannes‘ Springer zur Deckungsarbeit verdammte.
Zuvor hatte Hannes in einer Schottischen Partie sukzessive den Druck verstärkt, aber vielleicht zu früh den Damentausch zugelassen. Beide Spieler fanden sich am Ende in einem Springerendspiel wieder, das laut Engine klar für Hannes gewonnen war. Immerhin hatte er zwei Bauern mehr und gewaltigen Raumvorteil. Vorteil hin oder her: Nach 44.a6 war das Remis für Marc Selker sicher. 52.Kc4 war allerdings der entscheidende Fehler des SGOlers. 53. Kb3 war gleich und mehr Risiko von Hannes hätte zu einem Endspiel S + 3 Bauern (Ewert) vs Dame (Selker) geführt. Hannes‘ Partie war die vorletzte Partie, und wie er den Sieg hinbekam, war kein Hexenwerk, sondern technisch sehr gut und kämpferisch noch besser – ergänzt durch eine Portion Glück.

Brett 4: Dr. Boettcher – Hischemöller = ½-½

Dr. Boettcher (r.) – Hischemöller: Glückliches Remis für den Schwarzspieler
Nach 24…cxb4 gewann 25.Sf6+

In einem Geschlossenen Sizilianer (nicht der einzige in diesem Match) erreichte Dr. Christian Boettcher eine gute Stellung, die Dieter Hischemöller aber ausgeleichen konnte. In einer dynamischen Konfiguration mit dem Bauernquartett e4/f4 vs e5/f5 entschieden sich beide Spieler gegen öffnende Bauernzüge. Schwarz stand nach 24…cxb4 schwer auf Verlust, Christian fand leider nicht den Gewinnzug, sondern kassierte mit 25.Sxe7 ’nur‘ einen Bauern. Für den vollen Punkt reichten weder der Bauer noch ein Qualleopfer des Nachziehenden in der Schlussphase. Christian gab ziemlich cool die Qualle zurück und die Gäste hatten einen verdienten halben Zähler auf dem Konto.

Brett 5: Rachut – Lehmann =½-½

Rachut – Lehmann (r.): ein wüster Fight endet unentschieden!
Mit dem Qualleopfer 33.Txd4 ging Weiß all-in.

Auch hier ein Geschlossenen Sizilianer! Holger Lehmann setzte auf einen schwarzfeldrigen Stonewall, den er rechtzeitig öffnete. Steffen Rachut erreichte aber die leicht bessere Stellung, auch weil er einen Freibauern generieren konnte. Mit 33.Txd4 riskierte er viel. Schade, dass Holger im komplizierten Endspiel seine Chancen nicht nutzen konnte. Im Gegenteil: die Schlussstellung war klar für Steffen Rachut gewonnen, wurde aber Remis gegeben. Wer will schon stundenlang versuchen mit Läufer und Springer den gegnerischen König mattsetzen, wenn der Wettkampf längst entschieden ist?

Brett 6: Güting – Reichert = 1-0

Gting (r.) – Reichert: aus einem „Londoner“ wurde ein „Stonewall“
27. Sc2! +- und nach Sc2-b4 wird der Damenflügel zerschlagen.

Unserem Neuzugang Jens Güting gelang der erste Sieg ohne dramatische Zwischenfälle. Der Sieg war klar und überzeugend, ähnlich wie am ersten Brett. Jens spielte das „Londoner System“, das in Hellern nicht ganz unpopulär ist. Matthias Reichert verwandelte die Struktur mutig und kreativ in etwas, das irgendwie wie ein „Stonewall“ aussah. Die Partie war lange ausgeglichen, allein sein zunächst passiver Damenläufer bereitete dem SGOler Sorgen der kleineren Art. Mit dem 24. Zug sicherte sich Jens aber eine dauerhafte Initiative, im 27. Zug war die Partie bereits gewonnen. Matthias versuchte noch taktisch zu tricksen, es reichte aber nicht mehr.

Brett 7: Lagemann – Happe =½-½

Lagemann – Happe (r.): Ein schwacher Bauer reicht nicht.
41. Ke3 (Schlussstellung)

Reinhold Happe wird langsam zum Remisexperten. In seiner Partie schrie „Stockfish“ pausenlos „f7-f5“, aber auch ohne diesen Brachialzug gelang es Reinhold mit Schwarz eine stocksolide Positionspartie zu spielen – mit Druckspiel gegen einen schwachen Bauern! Leider kennen die meisten Schachspieler die Regel „Ein Schwachpunkt reicht nicht für einen vollen Punkt!“ Bis man nicht das Gegenteil aufs Brett zaubern kann, bleibt dieser Spruch kein Ammenmärchen!

Brett 8: Hart – Brunner = 1-0

Hart – Brunner (r.): DIESE Stellung sieht noch einigermaßen normal aus. Aber nicht mehr lange!

Diese Partie lässt sich nur im Präsens nacherzählen. Zum einen: sie ist der blanke Wahnsinn. Zum anderen: War das nötig?
Es ist lange her, dass Martin „Locke“ Hart nach 7 Zügen full bright stand. O.K., das ist grauenhaftes Denglisch (tatsächlich heißt das übersetzt „vollständig hell“ oder „voll hell“), aber mitunter muss man sowas einfach mal raushauen, um seine Gefühle auszudrücken.
Was ist passiert? 1. Locke spielt seine Lieblingseröffnung. O.K., das ist normal. 2. Wilken Brunner zieht e7-e6-e5. Hmm, das steht im keinem Lehrbuch. 3. SF Brunner zieht die f- und g-Bauern auf. Sind wir im Königsgambit gelandet? 4. der schwarze f-Bauer steht gedeckt auf f3: Locke ist verloren! 5. Er kann aber zocken! Im 14. Zug steht er gleich, im 16. Zug auf Gewinn! Was geht denn hier ab? 6. Locke fällt mit druckvollem Figurenspiel über seinen Gegner her. O.K., das ist normal. 7. Am Ende ist es Locke, der seine f- und g-Bauern in die schwarze Stellung schiebt und locker gewinnt. Ist das normal? So what. Es ist auf jeden Fall ein gelungener Scherz. Hier die Partie:

Rundum zufrieden! Oder?

Das Fazit dieses Spieltages ist einfach: unser Sieg war tabellarisch eine zwingende Notwendigkeit. Denn am 12. Januar 2025 geht es zum Lister Turm II. Die sollen ganz gut sein 🙂
Am 2. Februar folgt das do-or-die-Spiel gegen den SK Lehrte. Das Restprogramm hat es danach auch in sich, zumal Hellern in der letzten Runde auswärts gegen Kirchweyhe 2 antreten muss. Zuvor muss also alles in trockenen Tüchern sein.
Die Tabelle ist im Moment kaum mehr wert als ein unbeschriebenes Blatt Papier. Fünf Mannschaften haben nur 2 P auf dem Konto. Ab Platz 5 ist quasi jeder ein Abstiegskandidat.

Tabelle nach Runde 3

Fotos: © Thal 2024