Am Wochenende wurde im Schachbund NRW in sieben Klassen die 8. Runde der Saison 2019-20 ausgetragen. Am 4.7. geht es weiter. Unterwegs war daher auch Stefan Ewert, der als Schiri ein Wettkampf in der NRW-Liga 1 betreute. Wie Schach in Corona-Zeiten aktuell organisiert werden kann, fasst Stefan in seinem Gastbeitrag zusammen.
Was in NRW Kopfweh verursachte
Niedersachsen hat seine Landes- und Verbandsligen ja schon zu Ende gespielt, bevor die „dritte Welle“ aktiv wurde. Die Oberliga ist keine rein niedersächsische Veranstaltung und muss deshalb mit anderen Bundesländern abgestimmt werden, deshalb wird hier erst Mitte Juli ein Beendigungs-Versuch unternommen.
Und die Nachbarn? In Nordrhein-Westfalen wurde beschlossen, es an diesem (26./27. Juni) und am nächsten (3./4. Juli) Wochenende zu probieren. Als Schiedsrichter konnte ich mit dabei sein.
Die Bedingungen haben sich natürlich geändert – nicht nur für die Spieler, sondern auch für die Vereine. Raumgrößen müssen geprüft werden, damit der Abstand eingehalten werden kann. Hat der Raum eine Lüftungsanlage? Wenn nein, dann müssen alle an regelmäßige Belüftungsmaßnahmen denken. Maske ja oder nein, und wann und wo denn genau? Was ist mit der Hygiene der gemeinsam genutzten „Sportgeräte“, kann die jeder anfassen wie er möchte oder muss hier ein besonderes Augenmerk draufgelegt werden? Essen und Trinken, wann und wo?
Fragen über Fragen, die dem Einzelnen Kopfweh bereiten. Der Schachbund NRW hatte deshalb die Idee, sowohl die Vereine wie auch die Schiedsrichter zu einem „Briefing“ einzuladen.
Crashkurs für Anbieter
Am Dienstag, vier Tage vor dem Beginn des Spieltags, gab es ein online veranstaltetes Meeting mit Hinweisen zu den Abläufen. Die Ausrichter wurden zur Reinigung bzw. Desinfektion der Spielgeräte „verdonnert“. Hygienemaßnahmen wie der Verzicht auf „Shakehands“, regelmäßige Lüftungen oder die Frage nach einer eventuellen Testpflicht wurden besprochen und die Zeitpunkte der Maskenpflicht festgelegt – verbunden mit dem Hinweis, die Veranstaltung nicht beginnen zu lassen oder sie zu unterbrechen oder gar abzubrechen, wenn wichtige Hygieneregeln nicht eingehalten werden.
War damit alles geklärt? Nein, keineswegs. Die Vereine hatten bis zum Mittwoch (da waren’s nur noch drei Tage) vor dem Spiel noch die Gelegenheit, sich zu erklären: spielen wir oder spielen wir nicht? Und wenn ja, spielen wir „zu Hause“ oder tauschen wir das Heimrecht? Es gab in der Tat diverse Absagen und Verlegungen, so dass auch einige Schiedsrichter nicht benötigt wurden.
Am Donnerstag dann die Einsatz-Mail: es gibt zwar einige Spielabsagen, aber ich habe ein Spiel in der NRW-Liga 1 (vergleichbar mit der niedersächsischen Landesliga) bekommen. Damit auch keine der wichtigen Briefing-Informationen verlorengehen konnten, bekamen beide Mannschaftsführer von mir noch eine kurze Zusammenfassung dessen, was ich beim Betreten des Spielareals vorfinden wollte – verbunden mit der Bitte, dies ernst zu nehmen, damit wir auch weiterhin die Möglichkeit bekommen, uns zum Schachspielen zu verabreden.
Ein letzter Test…
Am Freitag dann meine übliche „Vorbereitung“: Formulare für Spielbericht und Uhrenkontrolle, FIDE-Regeln zum Nachlesen für den „Notfall“, Turnierordnung, Ausschreibung, Hygieneregelwerk und und und … alles drucken und in den Koffer. Noch ein letzter Blick auf die zugelassenen Schachuhren, damit im Spielareal auch alles im ersten Versuch klappt. Das Navi nennt mir Kilometer und Fahrtdauer, ich lege meine Abfahrtzeit auf 9.30 Uhr fest. Der Nachweis einer Doppel-Impfung, Genesung oder eines negativen Tests wurde zwar kurzfristig aus dem Programm genommen, aber als Schiedsrichter wollte ich mit gutem Beispiel vorangehen – das schwedische Möbelhaus bietet dies auf seinem Parkplatz kostenlos an, so dass ich mir den grünen Balken „negativ“ holen und mitnehmen konnte.
Samstag am Morgen dann die Fahrt ins benachbarte NRW. Natürlich bin ich rechtzeitig vor Ort. Der Gastgeber hat sich etwas einfallen lassen: es wird in zwei nebeneinander liegenden Räumen gespielt. Die Spielsets sehen gereinigt bzw. desinfiziert aus, die Anwesenheitsliste liegt ausfüllbereit auf meinem Tisch. Wir können also beginnen. Ich gebe mein Wissen über die Bedingungen des Ablaufs preis: am Brett muss keine Maske getragen werden, beim Verlassen des Bretts aber schon, weil beim „kiebitzen“ mutmaßlich der 1,50-Meter-Abstand nicht eingehalten wird. Trinken ist erlaubt, essen nur außerhalb des Spielraums. Bitte kein Shakehands, und es besteht auch niemand auf der Nutzung der Corona-Warn-App. Und, absolut ernst gemeint: die geöffneten Fenster dienen dem Luftaustausch im Corona-Sinne, gegen Frieren hilft eine Jacke. Aber das ist kein Problem, es ist warm heute.
Das Tragen der Maske beim Verlassen des Bretts wurde vorbildlich beherzigt. Nur einmal musste ich einen Spieler, der außerhalb des Spielsaals etwas gegessen hatte und ohne Maske wieder eintrat, daran erinnern. Die Abstände wurden eingehalten, die Belüftungsmaßnahmen konnten für angemessenen Luftaustausch sorgen. Zwischenzeitlich füllte sich dann auch die Anwesenheitsliste mit den für die Behörden erforderlichen Daten.
Mein Fazit?
Schach mit Pandemiefolgen ist etwas anderes als das Schach, wie es „früher“ war. Aber die Maßnahmen, die die verantwortlichen Schach-Funktionäre sich einfallen lassen, sind nichts Unmenschliches, man kann damit leben. Und ganz ehrlich – ob es toll ist oder ob es angemessen ist oder ob das eben nicht so ist, darf jeder selbst beurteilen, aber man gewöhnt sich an die Situation. Schach mit kleineren Einschränkungen ist immer noch besser als gar kein Schach.
Ach ja – gespielt wurde natürlich auch. Der Außenseiter hat das Heimspiel, der Gast spielt um den Aufstieg. Klare Sache? Nicht immer, denn der Außenseiter kämpft um den Ligaerhalt und wirft alles in die Waagschale. Aus dem Kantersieg wird nichts, es steht zwischenzeitlich 3:4. Der Gästespieler weiß natürlich um das Remis, das zum Mannschaftssieg reicht, spielt aber trotzdem sehr umsichtig auf Gewinn. Und so hat sich die weite Reise (laut Google Maps etwas mehr als 160 Kilometer) mit einem 5:3-Sieg doch wirklich gelohnt, zumal das wegen der anderen Ergebnisse dieses Spieltags für die Tabellenführung reicht.
Am nächsten Wochenende steht der letzte Spieltag 2019/2021 auf dem Spielplan. Vermutlich habe ich auch dann einen Einsatz. Sollte es neue Erkenntnisse geben, werden diese hier mit einem Update zu finden sein.
Schöne Woche Euch allen!
FA Stefan Ewert
Nachtrag der Redaktion
Ob Präsenzschach gegenwärtig Sinn macht? Diese Frage haben sich sicher viele Verantwortliche in den Vereinen gestellt. Meine generelle Meinung ist bekannt: bei hohen Inzidenzen ist face-to-face aufgrund der Aerosole in den Räumen nicht vertretbar. Andererseits konnte für das Abwickeln der vergangenen Spielzeit kein besserer Zeitraum gewählt werden. Man kann nicht ein Inzidenzziel von <30 ausloben und dann so weitermachen, als sei nichts geschehen.
Mit dem Restrisiko umgehen
Epidemiologisch existiert natürlich immer ein Restrisiko. Erst recht, wenn man weiß, dass für eine Infektion durch die Delta-Mutation nur noch ein Kontakt von 3-4 Minuten nötig ist. Aber auch das ist umstritten. Besser wird es allerdings nicht. Australische Forscher fanden bei der Untersuchung eines Covid-Clusters in Sydney heraus, dass in dem untersuchten Shopping-Center ein Kontakt von wenigen Sekunden bereits zu einer Ansteckung führte. Rolf Bartenschläger, Präsident der Gesellschaft für Virologie, erklärte dem Magazin „Spektrum der Wissenschaft“ gar, dass „eine Ansteckung auch ohne direkten, engen Kontakt möglich ist.“
Wie ist das möglich? Ganz einfach: man stelle sich vor, dass vor einem Schachwettkampf einige Helfer die Bretter aufbauen, darunter befindet sich ein Superspreader. Nach dem Aufbau sind die Helfer weg. Wenn die Mannschaftsspieler dann den Raum betreten und dieser noch nicht gelüftet ist, treten sie mitten in einer hochpotente Aerosolwolke. Das ist auch der Grund, warum so viele Infektionen in Haushalten stattfinden.
Eine Lösung: das Herstellen von Außenbedingungen in Innenräumen. Also Abstand wahren und Lüften, Lüften, Lüften. Und am Brett eine OP-Maske tragen.
Gleichzeitig ist in der aktuellen Situation das Abwickeln der alten Spielzeiten absolut vertretbar. Und dazu gehören rapide sinkende Infektionszahlen und eine sagenhaft niedrige 7-Tage-Inzidenz (beim Verfassung dieses Nachtrags beträgt sie 5,6). Alles nach dem Motto: Wenn nicht jetzt, wann dann?
Denn eins klar: dies ist eine befristete Aktion, die in NRW bereits Anfang Juli beendet sein wird. Alles Weitere, das haben nun wirklich alle lernen müssen, können wir nicht wissen. Auch das nicht, was im Herbst passiert. So geht die ECDC (EU-Gesundheitsbehörde) davon aus, dass Delta sich bis Ende August einen Anteil von 90% an den Neuinfektionen gesichert haben wird. Dies wohl auch wegen der Reiserückkehrer von der Fußball-EM, die von Medizinhistorikern in späteren Jahren vermutlich als größte Torheit der Pandemie bezeichnet werden wird.
Aktuell spannend ist jedoch, was in NRW statistisch geschah.
Ein kurzer Überblick über die Runde 8 vom Wochenende
Generell: ein abgesagter Wettkampf wurde für den absagenden Verein 0-8 gewertet. Sagten beide Vereine ab, wurde ein 0-0 in die Ergebnisliste eingetragen.
- Oberliga NRW: Drei Ausfälle v. 5. Zwei Wettkämpfe wurden abgesagt, zu einem weiteren gibt es keine Informationen. Interessant: ausgerechnet zwei akut abstiegsbedrohte Vereine sagten ihre Wettkämpfe ab. In Münster mussten alle Nichtgeimpften einen Test machen. Quelle.
- NRW-Liga Gruppe 1: 3 v 4 Wettkämpfen fanden statt. Einer wurde verlegt, während Rochade Emsdetten nicht in Niederkassel antrat. Quelle.
- NRW-Liga Gruppe 2: 4 v. 5 Wettkämpfen fanden nicht statt: zweimal wurde regulär abgesagt, in einem Fall trat der austragende Verein nicht an. In einem weiteren Fall fiel kein Wettkampf aus, da sich ein Team bereits vollständig aus dem Spielbetrieb abgemeldet hatte. Auffällig: besonders die abstiegsgefährdeten Vereine erwiesen sich als wenig spielfreudig. Allerdings liegen sie abgeschlagen am Ende der Tabelle. Quelle.
- NRW-Klasse Gruppe 1: Totalausfall. Es wurde nicht gespielt. In einem Fall sagten beide Vereine ab (0-0). Von der Nullerrunde profitierten besonders die führenden Vereine, während Bochum 2 den möglichen Sprung auf einen Aufstiegsplatz nicht wahrnehmen wollte: im Falle eines Sieges gegen einen direkten Mitkonkurrenten wäre der Aufstieg perfekt gewesen. Quelle.
- NRW-Klasse Gruppe 2: Völlig anderes Bild: alle Wettkämpfe fanden statt. Quelle.
- NRW-Klasse Gruppe 3: 3 v. 5 Wettkämpfen wurden gecancelt. Ein akut abstiegsbedrohter Verein katapultierte sich dank der Gratispunkte aus der Abstiegszone. Quelle.
- NRW-Klasse Gruppe 4: 3 v. 5 Wettkämpfen fanden statt. So trat auch das abgeschlagene Schlusslicht nicht an. Quelle.
Fazit: die Bereitschaft zur Rückkehr ans Brett war nicht größer als jene im Sommer 2020, als in Niedersachsen nahezu jeder zweite Wettkampf ausfiel. In NRW lag die Ausfallquote bei 52%.
Für die Quote allein die gesundheitlichen Sorgen verantwortlich zu machen, kann nicht belegt werden. Auch sportliche (Tabellensituation) oder organisatorische Gründe (Hygienekonzept) können ausschlaggebend gewesen sind. Zwei dieser drei möglichen Faktoren werden allerdings nicht verschwinden. Sie werfen einen langen Schatten auf alle Planungen, die die Spielzeit 2021/22 betreffen.
Dennoch gibt es Möglichkeiten, die optimistisch stimmen. So könnte der digitale Impfpass (natürlich auch der analoge) zu einer organisatorischen Entlastung werden. Und natürlich kann jeder Spieler sich dafür entscheiden, während der Partie eine Maske zu tragen.
Ein Blick in die Zukunft ist im Schach eigentlich nur Science-Fiction
Etwas dürfte aber klar sein: Präsenzschach gehört zu den gefährdeten Sportarten. Auf der Website „Perlen vom Bodensee“ stellte Conrad Schormann die Vermutung in den Raum, dass in Südwestfalen die Saison 2021/22 „aller Voraussicht“ nach ausfallen wird. Das sind bedenkliche Vorzeichen.
Bereits jetzt wird daher darüber diskutiert, ob neben dem Online-Schach auch Hybrid-Schach als Alternative denkbar ist – eine Spielform, bei der Cheating ausgeschlossen werden kann.
Bereits beim Mitropa-Cup spielten die deutschen Damen hybrid: sie saßen weit voneinander getrennt vor ihren Laptops und spielten online gegen ihre Gegnerinnen, die ebenfalls von einem Schiri „betreut“ wurden. Hinzukommt allerdings ein Must-have: die Kamera. Möglicherweise auch der Aufbau einer Zoom-Konferenz.
Ganz ehrlich: für Top-Turniere könnte das ein ernstzunehmender Weg sein. Für einen geregelten Mannschaftswettbewerb ist dies kaum denkbar. Da müssten sich die Willigen schon einen technisch perfekten Laptop kaufen und auch lernen, wie man damit umgeht. Und ein leistungsfähiges WLAN müsste ebenfalls in den Vereinsräumen Einzug halten.
Das ist Science-Fiction.
Quellen
Einen sehr detaillierten (und auch sehr lesenswerten!) Bericht von WGM Melanie Lubbe über die erforderlichen Techniken gibt es hier.