Es gab Zeiten, in denen sich Amateure diebisch gefreut hätten, mal gegen einen GM oder IM spielen zu dürfen. The Times They Are a-Changin’, sang Boy Dylan 1964. Recht hatte er: Die Zeiten ändern sich. Und so hagelte es (auch krankheitsbedingte) Absagen und nur eine notdürftig zusammengestellte Mannschaft trat zum aussichtslosen Kampf bei der Profitruppe des SK Kirchweyhe an. Und niemand wollte darüber schreiben…
Es gab allerdings Gewinner
Nochmal Bob Dylan, den man sorgfältig zitieren sollte. In seinem Song gibt es nämlich auch folgende Strophe: „For the loser now will be later to win. For the times, they are a-changin‘.“ Frei übersetzt: „Denn der jetzige Verlierer wird später gewinnen, denn die Zeiten ändern sich.“
Gut, das wird dauern. Vielleicht ist auch etwas anderes gemeint und man gewinnt dort, wo es keiner vermutet hat. Überlassen wir es der Vorstellungskraft des Lesers, was das sein könnte.
Trotzdem gab es keine Zeile zum Wettkampf. Der verzweifelte Redakteur wandte sich an Jörg Stock, doch die Bitte um einen Bericht wurde trocken abgelehnt: „Ich kann das nicht, ich war nicht dabei!“ Ja, dann sind wir schon zwei.
Aufgeben? Auf keinen Fall! Denn als die Partien ausgewertet worden waren, zeigte es sich, dass Schachpartien eine Geschichte zu erzählen haben. Die spannendsten habe ich herausgefischt.
David gegen Goliath
Am achten Brett spielte Jonas Gernhardt gegen den kroatischen FIDE Meister Bojan Medak. ELO 2362 gegen DWZ 1532. Der Profi Bojan Medak ist die Nr. 3026 der Welt, Jonas die Nr. 44 in Hellern. Und kein Profi. Glaube ich zumindest, aber ich werde mal Joe fragen 🙂 Und was passiert? Knock-out nach 10 Zügen. Denkste. Jonas spielt fast zwanzig Züge auf Augenhöhe, opfert sogar einen Zentrumsbauern, um seine Streitkräfte schnell ins Spiel zu bringen. Und der FM? Sein König steckt in der Mitte fest, keine Rochade in Sicht und der Turm auf h1 ist zeitweilig totes Holz. Gut, am Ende verlor Jonas, aber für das tolle Bauernopfer bekommt er das Prädikat „Extraklasse“. Und Platz 1 in meiner Favoritenliste.
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Vorposten auf der Flucht
Nr. 2 in meinen speziellen Liste bekommt Patrick Meyjohann. Patrick spielte gegen den bulgarischen Großmeister Petar Genov (ELO 2424) eine bärenstarke Partie, die ihren Höhepunkt um den 30. Zug herum erlebte. Die Engine zeigte zum zweiten Mal leichten Vorteil an. Anders formuliert: Patrick (ELO 1870) hatte nicht nur ca. 550-Ratingspunkte kompensiert, sondern stand streckenweise sogar leicht besser. Allein das machte seinen zweiten Oberliga-Einsatz schon sehenswert.
Statt des Turmzuges war 31.Db2 mit Angriff auf den Ba5 noch stärker, weil Schwarz etweder 31…Tfb8 spielen kann, um den Bauernverlust durch aktives Spiel auszugleichen, oder 31….a4, wonach endlich Tb1 nebst Tb7 für ein spürbares Übergewicht sorgen. Man beachte den guten Vorposten Ld5, der seinem Alter Ego auf d4 in nichts nachsteht. Leider entschloss sich Patrick, den Läufer nach g4 zu überführen, was einige Züge später ziemlich brutal vom Großmeister widerlegt wurde, und zwar ausgerechnet durch den Ausheber d6-d5! Nachspiellink.
Profis unter sich
Das zeigt, dass man seine Vorposten nicht ins Niemandsland schicken sollte. Aber am Rande sei erwähnt, dass die ChessBase-Software die Partie als „Top-Partie“ klassifizierte. Das war zuletzt Carsten Lingnau gelungen, und der kommt in meiner Liste auf Platz 3, weil er als Einziger was Zählbares holte, aber trotz erkennbarem Stellungsvorteil angesichts der Gesamtlage nur wenig Lust verspürte, die Partie gegen GM Hrvoje Stevic (ELO 2570) fortzusetzen. Nachspiellink.
Ansonsten setzte der MTV Tostedt mit sieben Aktiven seine Talfahrt beim 3½-4½ gegen Nordhorn ungebremst fort. Der SK Lehrte präsentierte sich beim 5-3 gegen die Schachfreunde aus Hannover als Top-Aufsteiger und liegt jetzt gar auf Platz 4. Unser nächster Gegner, der SK Union Oldenburg, ist nach seinem Sieg gegen Hameln sogar Dritter – toller Zwischenspurt. Delmenhorst verlor nicht überraschend gegen den Lister Turm und befindet sich daher immer noch im Abstiegskampf – und das Restprogramm verspricht wenig Gutes. Unsere Erste fällt auf Platz 5 zurück und angesichts des keineswegs leichten Restprogramms wäre dieser Tabellenplatz als Endplatzierung ein gutes Ergebnis.
Fotos: © Hellern-Archiv