Auch nach Turnierende ist auf der Homepage des Ausrichter Schwäbisch Gmünd 1872 e.V. einges los. Auswertungen trudeln ein. Man wird mit den ELO- und DWZ-Auswertungen bedient, die auch zack-zack vom Deutschen Schachbund ganz offiziell online gestellt worden sind. Sonderwertungen werden präsentiert, Mannschaftswertungen ebenfalls. Der zweite Teil des Berichts wird also einiges nachliefern. Im Mittelpunkt stehen aber die Partien: Geniestreiche, Pleiten, Pech und Pannen.
Gutes Turnier, schlechtes Turnier?
Im ersten Teil beschäftigte sich die Redaktion mit der Frage: Hat die Hellern-Delegation gut gespielt, und wenn ja, warum? Vorgeschlagen wurde als Kriterium die ELO-Performance. Nur 48 Stunden später entdeckte die Redaktion, dass es weitere Referenzen gibt. Hellern schrammte nämlich extrem knapp an einem Titel vorbei: dem Mannschaftsieger. Hier das Ergebnis inkl. Feinwertung:
- SF Augsburg 25 Punkte (176)
- Stuttgarter Schachfreunde 25 Punkte (165,5)
- SG Schwäbisch Gmünd 1872 e.V 24,5 Punkte (174,5)
- SV Hellern 24,5 Punkte (174)
Ein halbes Pünktchen fehlte, um geteilter Dritter zu werden! Der Schuldige wurde rasch gefunden. Es war Andre B., der in den letzten vier Runden nur 3 P v. 4 geholt hatte, anstatt den vierten Sieg draufzupacken. Damit gingen uns € 100,- durch die Lappen 🙁
Spaß beiseite: der vierte Platz ist nicht nur der Nachweis, dass gut gespielt wurde, sondern auch sehr effektiv. Die vorplatzierten Teams hatten nämlich zwischen 10 und 16 Spieler am Start. Hellern nur sechs. Die Chance, dass die vier besten Akteure eines zahlenmäßig großen Teams fleißig Punkte sammeln werden, ist also groß. Nur am Rande: die meisten Punkte lieferten die B-Gruppenteilnehmer ab. Auch im Hellern-Team.
Partien – vom Geniestreich zur totalen Pleite
Jörg Stock und die FM’s
Für Jörg hätte Runde 1 ein Signal werden können. Gegen den für SC Einheit Bautzen spielenden FM Alexander Herbrig stand er klar auf Gewinn, verrechnete sich aber offenbar bei dem Versuch, mit einer taktischen Idee den Gewinnweg abzukürzen. Es klappte nicht.
In Runde 2 lief es ähnlich. In der Diagrammstellung stand Jörg gegen FM Klaska nach 14…Db4? auf Gewinn. 15.b3!? war aber nicht die Lösung, sondern das in der Praxis mit einer Gewinnquote von 90% gespielte 15.a3! Erstaunlich: Viele starke GM landen mit Schwarz in dieser Stellung. Zuletzt GM Iturrizaga Bonelli, der sich Niclas Huschenbeth geschlagen geben musste. Nachspiellink.
Eine schöne und erfolgreiche Partie spielte Jörg in Runde 4 gegen Ralf Schöngart. Pikant: Jörg musste mit Weiß gegen sein eigenes Schwarz-Repertoire spielen. Das kann durchaus ein Vorteil sein. Dass es kein Zufall ist zeigte Jörg dann mit einem stellungstypischen Opfer, denn nach 21.c5 Le7 N sorgte 22.Sxe6 für eine unangenehme Überraschung. Eine leicht zu spielende Partie, denn mit c4-c5 hatte Jörg bereits vor sechs Jahren eine Partie in der Oberliga gewonnen – und sich alles gemerkt! Nachspiellink.
Gegen FM Hahn folgte in Runde 5 eine verdiente Niederlage, obwohl Jörg in dieser Partie eine spektakuläre Neuerung entdeckte. Aber die Partie zeigt, wie schwer es war, auf diesem Niveau zu Punkten zu kommen: Nachspiellink. Apropos Neuerung. In Runde 6 spielte Jörgs Gegner Najdorf, was ungesund ist, wenn man Jörg gegenübersitzt. Jörg pulverisierte die Stellung und verbesserte dabei sogar noch einen Zug des 1975 verstorbenen WM-Kandidaten Paul Keres.
Zusammengefasst: Jörg war im Württembergischen in Top-Form und präsentierte sich und sein Potential von der besten Seite: Gutes Repertoire, sehr gute Kenntnisse spezieller Varianten, gute Taktik und ausgezeichnete Endspielkenntnisse. Letztere wurden beim Staufer Open aber nicht benötigt.
Martin Hart und die Launen des Schachspiels
Es war nicht Lockes Turnier. Gesundheitlich etwas angeschlagen konnte er nur selten sein Können zeigen. Eine Partie wurde bereits im ersten Beitrag vorgestellt. Es ist ein Zeichen von Gelassenheit, wenn man cool seine Niederlagen unserer Redaktion überlässt.
Die folgende Partie besitzt tiefschwarzen Humor, denn der von Locke völlig an die Wand gespielte Gegner nutzte einen klitzekleinen Fehler dank eines genialen Schubs und zauberte eine tolle Riposte auf’s Brett.
Ganz ehrlich: Das war großes Kino und gehört zum Besten, was der Verfasser in den letzten Jahren zu sehen bekam.
Franz Ernst und das schockhafte Schach
Franz musste nur eine Niederlage hinnehmen – und zwar gegen Daniel Dudnik. Dudnik (ELO 1585) holte 7 P und eine ELO-Performance von 1992. Damit erreichte er mit einem, besser gesagt: mit neun Schlägen eine DWZ von 1755. Doch wer ist dieser Zauberlehrling eigentlich? Dudnik ist Schüler, spielt für die SF Augsburg und belegt dort den Listenplatz 35. Vor einem Jahr hatte er eine DWZ von 1325. Keine Teilnahme an Deutschen Meisterschaften, auch sonst keine Auffälligkeiten, die auf einen hochtalentierten Nachwuchsspieler hinweisen.
Das kann sich schnell ändern. Auf jeden fügte er Franz die einzige Niederlage zu. Aber der kann sich auf zweierlei Weise trösten: zum einen hätte auch ein Sieg für den Turniersieg nicht gereicht und zum anderen holte er die meisten Punkten in der helleranischen Reisegruppe. Die folgende Partie ist ein Beispiel für Humor im Schach!
Franz spielte in der zweiten Runde gegen Robert Rene-Goda einer seiner berüchtigten Kurzpartien. Er ist ein dynamischer Taktiker, der in seinen Spezialvarianten sehr gefährlich werden kann. Und häufig besitzen seine Partien auch viel ästhetische Qualität. In Hellern ist er der Spieler mit den meisten Damenopfer.
Nachspiellink
Joachim Rein und die Seeschlange
Joachims berserkerhafter Turnierbeginn war einzigartig. 5 P v. 6 und zwischendurch eine ELO-Performance im IM-Bereich ließen den Verfasser vor dem heimischen Computer weitere große Taten erwarten. Gegen Ende des Turniers wurde Joachim aber ein Opfer der Crunch Time – es folgten zwei Niederlagen und eine Gewinnpartie. Aber wie bereits gesagt: auch drei Siege in den Runden 7-9 hätten für’s Siegertreppchen nicht gereicht. Der Turniersieger Reiner Krauß kam mit 8,5 P ins Ziel.
Manchmal ist Schach auch schmerzhaft. Joachim erlebte dies in seiner Partie gegen Andreas Weber, die sich wie eine Reise in Dantes Inferno angefühlt haben muss. SF Weber fiel in einer Partie mit heterogenen Rochaden über über Joachim her, opferte gnadenlos und hätte so manchen Gegner vermutlich zur Aufgabe ermuntert. Mehrfach konnte SF Weber die Partie mit einem Matt beenden, aber immer wieder versäumte er den Knock-Out.
Danach musste Joachim endlose Dauerschachs über sich ergehen lassen (hoffentlich mit stoischer Ruhe), ehe Weber es ihm erlaubte seine Figuren zu aktivieren. Danach war es schnell vorbei. Ein Höllenritt.
Von Andre Böhme liegen keine Partien vor. Von Stefan Grasser immerhin eine – und die ist eine interessante taktische Prügelei.
ELO und DWZ – die Wahrheit kommt ans Licht!
Angeblich wurde über die vorläufigen Zahlen des Ausrichters kritisch diskutiert. Die Redaktion kann dies ad acta legen, denn die offizielle Auswertung hat der DWZ-Referent des Deutschen Schachbundes umgehend ins Netz gestellt.
Dr. Thorsten Weist (Rochade Emsdetten) verbuchte ein Minus von 11 Punkten. Seine neue DWZ: 1711. ELO alt: 1887, ELO neu: 1873.
Nutzt man die Sortierfunktion in der DSB-Liste, so findet man schnell heraus, dass sechs Spieler mehr als 200 DWZ-Punkte hinzugewannen. So sprang Ruben Zimmermann in der B-Gruppe von 1429 auf 1691. Wow.
In der A-Gruppe ging weniger spektakulär zu. Dort liegt der 12-jährige Yibo Zhang mit +107 an der Spitze, ein Kind, das allein im Jahr 2024 in 15 Turnieren unterwegs war.
Die ELO-Auswertung folgt der vorläufigen Auswertung durch den Veranstalter. Anzumerken ist, dass nur 6 Partien von Stefan Grasser ausgewertet wurden, da drei seiner Gegner keine ELO-Rating hatten.
Sonderwertungen
Die Seniorenwertung gewann GM Skembris. Martin Hart wurde 14. In der B-Gruppe gewann Markus Schmidt, Franz Ernst wurde 5., Joachim Rein 6. Andere Helleraner wurden aufgrund fehlender Lebenjahre (noch) nicht geführt. Der Redaktion wurde glaubhaft versichert, dass an dem Problem gearbeitet wird.
In der DWZ-Auswertung <2151 wurde Jörg Stock Zweiter hinter WIM Anne Czäzine, die in der Feinwertung zwei Punkte mehr verbuchte. Laut Ausschreibung erhält Jörg € 75,-.
Martin Hart landete auf dem geteilten 87. Platz. In der B-Gruppe DWZ 1501-1650 wurde Stefan Grasser 25 (Foto). In der Gruppe 1651-1800 belegte Andre Böhme Platz 20. Dafür gab es null Euro und inflationsbereinigt ebenfalls null Euro.
Es war also ein Turnier mit überregionaler Bedeutung. Wenn es überhaupt etwas Handfestes zu bemängeln gab, dann war es das Fehlen von Fotos. In der Rubrik „Impressionen“ gab es nach 2020 keine neuen Einträge. Um so mehr ist den Mitstreitern zu danken, die der Redaktion Fotos lieferten. Und zwar legal. Der Lieferant dieser unentbehrlichen Zutaten war spielfrei und ging daher mit dem Handy auf die Suche nach Motiven. Namen nennen wir nicht. Vielleicht gibt es ja eine Sonderregelung der FIDE, die auch dies verbietet.
Herzlichen Dank auch an alle, die uns mit Partien versorgten. Und nun muss ein Jahr gewartet, bis man erneut aufbricht, um Freunde zu treffen.
Fotos: © Stock 2025
Links
Homepage des Veranstalters mit allen Auswertungen