35. Staufer-Open: „Wo man Freunde trifft“

Der Slogan des Ausrichters hat seine Berechtigung – wenn man Jahr für Jahr im Congress-Centrum Stadtgarten in Schwäbisch Gmünd antritt, um sein Bestes zu geben. Das tun viele und die Chance, Jahr für Jahr alte Bekannte begrüßen zu können, ist groß. Reist man mit Vereinskameraden an, bringt man die Freunde gleich mit. Auch gut.

Das Après-Schach muss stimmen

Pendelt man als Schach-Isolani zwischen Hotel und Spielsaal einsam hin und her,  fällt das Après-Schach eher mau aus. Die Reisegruppe des SV Hellern ging auf Nummer sicher und reiste mit fünf Akteuren an – plus Dr. Thorsten Weist, der nach vielen Jahren in Hellern aktuell für Rochade Emsdetten spielt. Das Après-Schach war damit gesichert.

Die Hellern-Delegation und ihre Fans

560 Schachspieler in zwei Gruppen

Wir immer zog das das Turnier eine gewaltige Anzahl von Schachprofis und Amteuren an. 277 waren es in der A-Gruppe, 283 in der B-Gruppe. Die schachliche Qualität derartiger Riesenturniere hängt natürlich auch von den Preisgeldern ab. Die waren offenbar attraktiv genug. In der A-Gruppe gab es für den Sieger € 1.500, in der B-Gruppe 500,-.

Natürlich zieht auch die Qualität des Turniers an, inklusive der ins Visier genommener Normen, die in schwächer besetzten Turnieren kaum zu erreichen sind. Insgesamt war die Anzahl der GM, IM, FM und CM – gelinde gesagt – überwältigend. Bis Platz 159 der Start-/Rangliste hatten die Akteure in der A-Gruppe eine ELO von > 2000. Das hat den Effekt, dass so mancher, der im heimischen Verein zu den Stars gehört, beim Staufer Open in der Tabelle unter „ferner liefen“ aufläuft. Das ist nicht immer angenehm, aber über Erfolg und Misserfolg entscheidet nicht nur der Tabellenplatz. Auch wer im Mittelfeld der Tabelle landet, kann ein überragendes Turnier gespielt haben.

Aber wie kann man das beurteilen? Ein Kriterium ist der Vergleich von Start-/Rangliste und Endplatzierung. Das ist meiner Meinung nach purer Formalismus, denn wenn jemand nach lausigem Start das Feld von hinten aufrollt, kann er Spieler überholen, die ständig oben mitgemischt haben, aber in den letzten beiden Runden verlieren. Ein Kriterium bleibt der Vergleich aber schon.

Jörg Stock (Archivfoto)

Der Berichterstatter schaut lieber auf die ELO-Performance, die eine individuelle Leistung in Relation zur Rating der Gegner setzt. In Runde 6 sprang Jörg Stock (ELO 2101) mit einer Performance 2195 von Tabellenplatz 101 auf Nr. 70. Laut Start-/Rangliste war Jörg die Nr.91. Überholt hatte Jörg damit eine Heerschar von FIDE-Meistern (FM). Ob man aber seine ELO-Performance in der Crunch Time des Turniers über die Ziellinie bringen, steht auf einem anderen Blatt. In den beiden letzten Runden ereignen sich nämlich immer wieder merkwürdige Dinge.

A-Gruppe

Jörg Stock kann rundum zufrieden sein. An 91 gesetzt erreichte er mit 6 Punkten und einer ELO-Performance von 2193 den Tabellenplatz 31. Eine respektable Leistung, denn Jörg musste gegen drei FM antreten, Partien, in denen er immerhin einen Punkt mitnahm. Der vierte FM trat nicht mehr an. Gegen Josef Gheng gewann Jörg kampflos.

Martin Hart holte in den Runden 3-6 insgesamt 3 P (4). Sehr stark, wären da nicht die beiden Niederlagen in Runde 1 und 2 gewesen. Aber insgesamt war es diesmal nicht Lockes Turnier. Nach dem Zwischenspurt reichte es nur noch zu zwei Remisen, insgesamt 4 Punkten, dem undankbaren Rang 162 und einer ELO-Performance von 1946.

Scores Jörg Stock und Martin Hart
B-Gruppe

Ganz ehrlich: die B-Gruppe war spannender, denn Franz Ernst und Joachim Rein hatten die Chance, dieses Turnier zu gewinnen. Franz spielte insgesamt befriedigend. Positiv: nur eine Niederlage, dafür fünf Siege. Kurz vor Schluss klopfte Franz nach Runde 7 mit 5,5 P ganz oben an. Typisch Crunch Time: die nächste Partie ging in den Eimer. Aber es hätte auch nach einem Doppelsieg in den Runden 8 und 9 nicht gereicht. Der Turniersieger Rainer Krauß verbuchte sage und schreibe 8,5 P!

Score Franz Ernst

Joachim Rein gehörte mit fünf Siegen und nur einer Niederlage nach Runde 6 zu den Kandidaten auf den Turniersieg. ELO-Performance: 2483. Das haut einen um, ist aber trotzdem exzellent 🙂
Das konnte klappen, vorausgesetzt der bislang mit 6 P (6) führende Otto Metz verliert. Das tat er, aber Joachim tat es auch und der Sprung in die Favoritengruppe war perdue. Joachim wurde ebenfalls ein Opfer der Crunch Time. Danach folgten ein Sieg und eine Niederlage – und Platz 24 in der Tabelle. Ein leider hartes Beispiel für einen insgesamt starken Auftakt, der nicht durchgehalten wurde. Immerhin darf sich Joachim über eine ELO-Performance von 1959 freuen.

Überhaupt waren unsere Akteure in der B-Gruppe überwiegend erfolgreich.
Dabei erlebte der Berichterstatter  eine Überraschung. Und die hieß Andre Böhme, den ich angesichts einer Remisflut nicht mehr in den höheren Rängen sah. Aber dann sagte der Bauer: „Hinten sind die Schweine fett!“ Andre hatte wohl zugehört und legte in den letzten vier Runden mit 3 Punkten noch eine Schippe drauf – und es darf erwähnt werden, dass er keine Partie verlor!

Dr. Thorsten Weist (6 P) und Stefan Grasser platzierten sich im oberen Tabellenviertel und beide erkämpften eine ordentliche ELO-Performance, die deutlich über ihrer aktuellen DWZ-Rating liegt.

Scores Rein, Weist, Böhme
Score Grasser

Natürlich muss nach all den Zahlenspielereien auch jemand auf den Königsthron sitzen. Beim Staufer Open ging es zum Glück nicht so zu wie in „Game of Thrones“. Alle Punkte wurden fair erobert. Drachen und Schwerter waren nicht nötig, um den Eisernen Thron zu besteigen. Auf ihm sitzt nun verdient Franz Ernst – aber nur für ein Jahr. Dann werden die Karten neu gemischt.

Franz Ernst war der beste Scorer
(alle Tabellen ohne Gewähr)

Zum Schluss für alle Freunde „hart“-er Taktik noch eine Partie von Locke, der sich in einer seiner Lieblingsvarianten wie ein Fisch im Wasser bewegte. Für seinen Gegner keine erfreuliche Begegnung…

 

 

 

Fotos: © Martin Hart 2025