Der Schachtürke lebt – toller Schachevent zum Jahresende

Der 18. Paderborner Schachtürken-Cup gehört zu den besten Turnieren, die kurz vor dem Jahreswechsel angeboten werden. Allein in den beiden Haupturnieren gingen im Forum des Heinz Nixdorf-Museum über 100 Spieler vor einer Woche an den Start. Darunter auch bekannte Großmeister wie Oleg Korneev, der vor zwei Jahrzehnten zur erweiterten Weltspitze gehörte. Die Orga war perfekt, das Ambiente großartig und zahlreiche Titelträger sorgten für ein schachlich herausforderndes Turnier. Der Schachtürke lebt!

Das Geheimnis des Schachtürken

Aber warum heißt das Turnier Schachtürken-Cup?
Ohne einen Blick in die Gegenwart ist das nicht zu erklären. Schach im 21. Jahrhundert wurde durch die Digitalisierung zu einem Sportevent, der über alle globalen Grenzen hinweg Millionen von Schachspielern fasziniert. Der Platzhirsch chess.com zählt mittlerweile 154 Mio. Accounts. Ende 2020 waren es 43 Mio. Auf den Portalen wird nicht nur gespielt, sondern auch gelernt. Dank professioneller Kurse bekannter Großmeister.
Große Schachevents wie die heute Nacht zu Ende gegangene FIDE-Rapid- und Blitz-Weltmeisterschaft bieten durch die ausgefeilte Online-Technik der Split Screens einen perfekten Mix aus Entertainment und Schachdidaktik – auch dank professioneller Analyse der laufenden Partien. Schach hat das analoge Zeitalter verlassen. Doch in grauer Vorzeit faszinierte Schach auf ähnliche Weise.

Das Orga-Team

Vor 250 Jahren verblüffte die Menschen die Magie der analogen Mechanik. Ausgeklügelte Automaten konnten sogar musizieren und das staunende Publikum wusste nicht, wie das funktionierte.
Zu diesen Sensationen gehörte auch der geheimnisvolle Schachtürke, eine lebensgroße Puppe, die vom kaiserlichen Beamten Wolfgang von Kempelen gebaut worden war. Der Schachtürke fegte alle menschlichen Gegner vom Brett. Darunter auch Napoleon Bonaparte. Von einer Rechenmaschine oder gar von Schach-KI konnte aber nicht die Rede sein. In der Puppe verbarg sich ein Mensch, der Meisterniveau hatte. Aber bereits Ende des 18. Jh. dachten visionäre Geister angesichts derartiger Erfindungen über den Bau eines mechanischen Rechners nach.

Umgesetzt wurde dies in der digitalen Welt. Die meisten Schachspieler haben nun ihren Schachtürken auf ihrem PC oder als App auf dem Smartphone. Nur heißt er Stockfish. Der Schachtürke lebte also in der Phantasie der Tüftler und Erfinder solange weiter, bis man mit Bits und Bytes eine beinahe unschlagbare Maschine bauen konnte.
In Paderborn ist ein Nachbau des Schachtürken im Heinz Nixdorf-Museum zu bestaunen. Nixdorf war bereits in der 1950er-Jahren einer der führenden Hersteller von Elektronencomputern. Und so schließt sich der Kreis der klugen Automaten und der Schachtürke ist zu recht der Namenspatron des Paderborner Schachturniers, das bereits seine 18. Auflage erlebte.

Bühne frei für die Top-Paarungen

Helleraner mit guter Turnierleistung

B-Gruppe

Harald Szobries gehört zu den regelmäßigen Teilnehmern des Events. Diesmal begleitet von  Niels Dettmer und Klaus Lapehn, die in der Startrangliste der B-Gruppe Platz 15 und 22 belegten. 3 Punkte nach Runde 4 zeigten, dass beide zum erweiterten Favoritenkreis gehörten. In Runde 5 remisierte Niels, Klaus gewann seine Partie und in Runde 6 saßen sie an Brett 6 und 7. Ging da noch was?
Allerdings kam der Turniersieg nicht mehr in Frage, denn die führenden Noah Müller und Angelika Hüppmeier hatten 5 Punkte auf dem Konto. Erwähnenswert: Angelika Hüppmeier ist eine starke Schachspielerin, die aber vereinslos ist und daher keine ELO- oder DWZ-Rating besitzt.

Der geräumige Spielsaal

Leider gingen die beiden Schlussrunden nur für Niels gut aus. Klaus verlor beide Partien, Niels holte indes 1½ P. Für die Top Ten reichte es nicht. Niels (+4 =2 -1) erzielte aufgrund der etwas gewöhnungsbedürftigen Punktvergabe (drei Punkte für einen Sieg, ein Punkt für ein Remis) 14 P und damit Platz 14. Klaus (+ 3 = 2 -2) landete mit 11 Punkte und Platz 32 im Mittelfeld der Tabelle.
Niels konnte mit einer ELO-Performance von 1858 sehr zufrieden sein. Klaus‘ ELO-Performance von 1693 lag knapp unter seiner DWZ-Rating. Für beide war das Turnier also kein Flop.
Statistisch interessant: das neue Punktesystem ‚belohnte‘ die Gewinnspieler. In den 70 Partien der Top Ten gab es nur 4x ein Unentschieden! Ein halber Punkt mehr und Niels wäre geteilter Vierter geworden!

A-Gruppe

Der Main Event wurde souverän von IM  Vadim Petrovskiy mit 19 P gewonnen. Der aktuelle Deutsche Meister U 18 startete mit einem Sieg gegen Harald Szobries und ließ danach nur ein Remis zu. Alle anderen Partien gewann das Nachwuchstalent. Unterm Strich waren dies 19 P. Der für den TSV Schönaich spielende und an 1 gesetzte GM Oleg Korneev blieb ebenfalls ungeschlagen, spielte aber zu oft Remis (3x), was mit 15 P nur zu Platz 5 reichte. 15x wurde in den Top Ten remisiert.

‚Harry‘ (+2 = 3 -2) landet mit 9 P im Mittelfeld auf Tabellenplatz 52. Tabellennachbarn waren Spieler wie FM Pavel Troshchenko, der Hagener Karsten Bertram und das Oldenburger Urgestein Ernst Heinemann.
Was bedeutet dies sportlich? Ganz einfach: mit einer ELO-Performance von 2027 übertraf unser Verbandsligaspieler vermutlich auch die eigenen Erwartungen. Das Turnier war ein absoluter Erfolg.
Allerdings mit kritischen Phasen. Harald hatte erhebliche Probleme mit seinem Schwarz-Repertoire. Und das trotz akribischer Vorbereitung. Spieler mit round-about ELO 2200 sind halt in der Regel noch besser vorbereitet. Mit Weiß zauberte unser Mitstreiter dagegen einige sehenswerte Partien auf’s Brett.

 

Kruse – Szobries nach 43.g4

In Runde 5 gab sich Harry in haushoher Gewinnstellung gegen den an 12 gesetzten Herbert Kruse mit einem Remis zufrieden – ein Sieg hätte ihn in die Top 25 gespült. Das ist schade, denn ausgerechnet gegen diesen starken Gegner (ELO 2182) funktionierte Harrys Schwarz-Repertoire richtig gut. Technisch ist die Partie auf unterschiedliche Weise zu gewinnen. Die einfachste ist 43…Sxg4 44.fxg4 Txg4 45.Kh1 c5 47.Txa7 c4. Die Pointe ist das „Regenschirm“-Motiv: gibt der weiße Turm Schachs von hinten, kann der schwarze Turm den König, der zuvor nach g3 geht, auf der 4. Reihe decken. Weiß hingegen müsste in einem (!) Schritt mit dem Bauern von a2 nach a6 springen dürfen, um eine Chance zu bekommen. Das ist aufgrund restriktiver Turnierregeln jedoch nicht erlaubt 🙂

Ein doppelrundiges Turnier schlaucht halt. Und wenn man sieben Runden lang überwiegend Spieler jenseits der 2000er-Grenze vorgesetzt bekommt, dann sind verpasste Chancen Teil des Programms. Aber das ist typisch für den Schachtürken-Cup: als Amateur wird einem garantiert ein starkes Turnier geboten.

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Fotos: © Lapehn 2024