Viele träumen davon, nur wenigen gelingt es: die Auszeichnung mit einem Meistertitel des Weltschachbundes FIDE. Nicht peu à peu, in kleinen Schritten. Nein, unser langjähriger Spitzenspieler Dr. Ingo Gronde (Foto links) – wie heißt es so schön? – ließ es krachen. 10½ P aus zwölf Partien in den letzten beiden Oberliga-Spielzeiten waren a la bonheur. Und sie waren die Grundlage für den Titelgewinn.
In seiner Laudatio blickt Joachim Rein auf eine unglaubliche Erfolgsgeschichte.
Chapeau, lngo!
Lieber lngo,
die Schachabteilung des SV Hellern – an dieser Stelle erlaube ich mir, für alle Mitglieder zu sprechen – und ich gratulieren zum Erreichen des Titels des FIDE-Meisters! Eine fürwahr großartige Leistung!
Einiges an diesem Erfolg erscheint ungewöhnlich, was ihn aber umso bemerkenswerter macht. Aus meiner Perspektive bist du zwar ein junger Mann, aber nach meinen Recherchen haben Schachspieler ihren Leistungshöhepunkt mit etwa Mitte dreißig, was selbst bei dir ein wenig in der Vergangenheit liegt. Zudem hattest du in den letzten Jahren wenig Möglichkeiten, Turnierschach zu spielen. Du hast dich schon lange auf wenige Partien pro Jahr im Zuge von Mannschaftskämpfen der ersten Mannschaft beschränkt. Eigentlich fehlt dir die Praxis für Spitzenleistungen.
Einen kleinen Teil deines Erfolgsrezepts konnte ich nun trotzdem entschlüsseln. Du hast gefühlt vor vielen Jahren aufgehört zu verlieren. Und als das Ziel des Titels in greifbare Nähe rückte, hast du auch begonnen, auf gelegentliches Remisieren zu verzichten und einfach nur noch gewonnen.
Willenskraft und Kampfgeist
Aber wie hast du das gemacht? Du kommst vermutlich zumeist ordentlich vorbereitet zur Partie. Das tun andere aber auch und scheint mir nicht die Begründung deines Erfolges zu sein. Meiner Meinung nach beruhen deine Erfolge neben deinem außergewöhnlichen Talent auf Willenskraft und Kampfgeist.
lch erinnere mich an einen Mannschaftskampf gegen die Retorten-Truppe aus Kirchweyhe. Die erschienen mit sieben Meisterspielern und Herrn Orantek. Du spieltest an Brett eins gegen Hrvoje Stevic, der immerhin einmal Jugendweltmeister und kroatischer Meister war. Er stand damals mit eben Mitte dreißig sicherlich im Zenit seines Könnens. Alle freuten sich auf den Wettkampf. Und auch ich habe damals meine erste Turnierpartie gegen einen Großmeister spielen dürfen.
Während ich mit Staunen und Bewunderung meinem Gegner dabei zusah, wie er mich mit der Jagdmethode der Anakonda zur Strecke brachte, war es bei dir anders. Trotz der schwarzen Steine und des übermächtig wirkenden Gegners hattest du unbändigen Kampfeswillen mitgebracht. Und so gelang es dir nach Stunden tatsächlich, GM Stevic erfolgreich Paroli zu bieten. Deine Einwilligung in ein Remis in besserer Stellung würde dir heute mit inzwischen deutlich upgegradetem Selbstvertrauen vermutlich nicht mehr passieren und war halt dem Respekt vor der Stärke des Gegners geschuldet.
lm Gegensatz zu Violinisten war es bei dir stets ein Vergnügen, deiner Entwicklung zum Meisterspieler beizuwohnen. Und du darfst sicher sein, dass wir alle dir auch weiterhin Großes zutrauen. Wer weiß, wohin deine wunderbare Reise noch geht. Alles Gute dafür!
Herzlich Joachim
Meisterpartien
von Dr. Ortwin Thal
Es war mir ein Vergnügen, für Joachims Laudatio einige der schönsten Partien von Ingo zusammenzustellen. Leicht war das nicht. Bei Ingo ist die Wahl wirklich eine Qual. Er spielt einfach schönes Schach.
Was mir imponiert? Es sind drei Dinge: 1. Ingo scheint völlig angstfrei zu sein. Schach ist nicht nur Denk-, sondern auch Kampfsport und damit eine hochemotionale Angelegenheit. Ingo hat offenbar die perfekte Balance zwischen Gefühl und Konzentration gefunden. 2. Ingo arbeitet Schach. Joachim erkannte Willenskraft und Kampfgeist in Ingos Spiel. Das bringt es auf den Punkt. 3. Ingos Schach ist ästhetisch betrachtet ein Freude. Schöne Kombinationen machen aus dem Spiel auf den 64 Feldern im glücklichsten Fall nichts anderes als Kunst.
„Wahre Qualität ist das Produkt aus Talent und Wille“
Dieser Aphorismus stammt von Hans-Joachim Watzke, einem bekannten Philosophen aus dem Ruhrgebiet. Dass viele sich nur auf ihr Talent verlassen, führt häufig in eine Sackgasse. Und so ist Watzkes Pointe eine andere: „Das Schöne an der Geschichte ist, dass dem Willen keine Grenzen gesetzt sind.“
Nun galt es das Talent, den Willen und das Schöne einzusammeln. Und meine Lieblingsstellung zu präsentieren. Der Wettkampf gegen den HSK Lister Turm liegt ein knappes Vierteljahr zurück. Die Diagrammstellung ist in etwa ausgeglichen, aber dynamisch, sodass beide Spieler gute Chancen haben. Ingo opferte nun mit 21.Txe4 seinen Turm: „Ist er verrückt?“, dachte ich. Tatsächlich ist die Idee genial. Weiß bekommt eine Stellung, die er nicht verlieren kann, während der Gegner mit äußerster Genauigkeit spielen muss, um nicht unter die Räder zu kommen. Da Menschen keine Computer sind, gelingt das nicht immer. Ingo gewann eine Partie, in der Konzentration, Willenskraft und Schönheit auf wundersame Weise zusammenfinden!
Partienauslese
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Alternativer Nachspiellink
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