Lockdown ja, Lockdown nein, jetzt wieder ja – aber erstmal für die 1. Schachbundesliga. Wir stecken also mitten in einer Schließungsdiskussionsorgie. Die ist allerdings scheu und schamhaft und vermeidet prüde jedes Argument. Der Schweizerische Schachverband zeigt, wie man es besser macht. Er hat ein Konzept entwickelt, das bewilligt wurde. Autsch.
Häme ist fehl am Platz
Nachdem der Deutsche Schachbund in der zweiten Aprilhälfte glaubte, den zuvor beschlossenen Lockdown im Schach wieder aufheben zu müssen, gab es zumindest in einem Punkt Klarheit: Man wolle, so gab der DSB bekannt, „…die Entscheidung der 1. Schach-Bundesliga über die Fortsetzung der Saison“ abwarten zu wollen. Die liegt nun vor:
„Der Schachbundesliga e.V. hat am 10. Mai 2020 eine außerordentliche Mitgliederversammlung durchgeführt. Hauptthema war die Weiterführung des derzeit ausgesetzten Spielbetriebes der 1. Schach-Bundesliga. Die vollzählig vertretenen Erstligavereine haben sich tendenziell dem Vorschlag des Vorstandes angeschlossen, die Saison 2019/20 um ein Jahr zu verlängern. Dies würde bedeuten, dass die verbleibenden sieben Runden möglichst bis zum Mai 2021 ausgetragen werden.
Aufgrund der dynamischen Entwicklung der Corona-Krise und der damit zusammenhängenden Rahmenbedingungen soll die abschließende Entscheidung in einer erneuten Videokonferenz am 21. Juni 2020 getroffen werden.
Markus Schäfer (Präsident), Ulrich Geilmann (Vizepräsident).“
Das ist eindeutig, aber auch relativ. Paradoxien gehören im Corona-Alltag halt zum Tagesgeschäft. Ob bei den Verantwortlichen im DSB die Entscheidung der Schachbundesliga e.V. vermehrt Endorphine ausschütten wird, überlasse ich der Fantasie unserer Leser. Klar ist nur, dass die 1. Bundesliga null Bock auf Corona hat und dass die neuerliche Kehrtwende zeigt, dass die Schachprofis in den letzten drei Wochen gründlich nachgedacht haben.
Fazit: Bestätigt wurde, dass der DSB mit seiner Saisonverlängerung offenbar den Nerv getroffen, mit seiner Meinungsrotation aber einen Bumerang weggeschleudert hatte, in der Hoffnung, dieser würde nicht zurückkommen.
Häme sollte man sich dennoch ersparen, denn eine Saisonverlängerung zieht einen Rattenschwanz von Überlegungen hinter sich her, die komplex sind. Ich erinnere nur an ein Damokles-Schwert: den Schadensersatz. Wenn laut BGH ein Patient, der im Krankenhaus infiziert wird, sich berechtigte Hoffnungen auf einen Schadensersatz machen kann, dann könnte ein Sportverband rasch in Teufels Küche kommen, wenn er Rahmenbedingungen schafft, die kritisch sind. Die Richter dürften das Argument nicht gelten lassen, dass Sterben beim Sport zum allgemeinen Lebensrisiko gehört.
Es fehlt eine Debattenkultur
Erstaunlich ist allerdings, dass – zumindest nicht auf Anhieb – keineswegs zu erfahren ist, welche Einsichten die Schachbundesliga e.V. motiviert haben. Die schmallippigen Bekundungen der letzten Wochen demonstrieren die auffällige Scheu aller Beteiligten vor dem Austausch von Argumenten. Der findet in Blogs statt, etwa bei den SF Hannover.
Stattdessen will die Schachbundesliga e.V. zunächst nur „tendenziell“ die Saison bis zum Mai 2021 verlängern. Ende Juni soll in einer Videokonferenz die endgültige Entscheidung fallen. Doch über welche Aspekte und möglichen Lösungen hat man nachgedacht?
Andere kommunizieren besser. So hat der Schweizerische Schachbund beim Bundesamt für Sport am 7. Mai 2020 ein Schutzkonzept für die Wiederaufnahme des Schachunterrichts vor Ort eingereicht. Dieses Schutzkonzept wurde vom BASPO und von Swiss Olympic genehmigt und trat sofort in Kraft. Wohlgemerkt: die Rede ist von Unterricht, nicht von Spielbetrieb. Trotzdem haben die Schweizer in einem ausführlichen, seitenlangen Dokument lesenswerte Informationen zusammengefasst und ein Konzept für Vereine entwickelt (die folgenden Punkte werden auf den Folgeseiten ausführlich erläutert):
„Vorgaben und Empfehlungen für Schachvereine und Schachschulen
- 1. Benennung eines COVID-19-Beauftragten für jeden Verein
- 2. Einhalten der Hygienevorschriften des BAG und Reinigung der Anlage
- 3. Social Distancing
- 4. Maximale Gruppengrösse von fünf Personen und eine Person pro 10 m2
- 5. Tracking/Rückverfolgbarkeitgewährleisten (Personen-Protokoll)
- 6. Spiellokale
- 7. Risikogruppen (Ü65 oder mit Vorerkrankungen) halten sich an die Weisungen des BAG und bleiben wenn immer möglich zu Hause
- 8. Empfehlungen für den Unterricht
- 9. Kommunikation“
Der letzte Punkt ist sehr spannend. Ich habe den Begriff sofort nachgeschlagen, um herauszufinden, was er bedeutet. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann ist sie aber irgendwo auf dem Weg ins Licht der Erkenntnis abhanden gekommen – die Kommunikation.
Und nun? Von den Schweizern können wir uns eine Scheibe abschneiden. Auch wenn man nicht mit jedem Punkt einverstanden sein muss, so liegt ein durchdachtes Konzept vor, über das man zumindest reden und diskutieren kann.
Hierzulande springen einen derartige Debatten nicht mit aller Gewalt an. Man muss schon mit der Lupe suchen. So schrieb der Hessische Schachverband am 10. Mai 2020: „In anderen Sportarten ist das Training aufgrund eines Sicherheitskonzepts wieder möglich. Beim Schach ist die Einführung eines solchen Konzepts problematisch. Wir spielen in der Regel in geschlossenen Räumen, nutzen mit mindestens einer anderen Person das gleiche Spielmaterial. Masken tragen über längere Zeit, Abstand halten, das ist für uns schwierig.“
Das sind epidemiologische Argumente, keine satzungstechnische. Die Überlegungen der Hessen sind kurz gehalten, aber auch hier gilt: Wenig ist besser als nichts.