April, April – DSB nimmt Schach-Lockdown zurück!

Die Halbwertzeit war kurz: der Deutsche Schachbund nimmt seine Entscheidung, die Saison der 1. und 2. Bundesliga bis ins nächste Jahr zu verlängern, kleinlaut zurück. Der öffentliche Druck und die Reaktion einiger Landesverbände waren zu stark. In unserem Beitrag zitieren wir den Wortlaut der Mitteilung und kommentieren den ungewöhnlichen Vorgang.

Zunächst die Verlautbarung des Deutschen Schachbundes, Stand: 23.04.2020, 21:42 Uhr.

„Liebe Schachfreundinnen und Schachfreunde,

nachdem wir von mehreren Seiten um eine Entscheidung bzgl. der Fortsetzung des Spielbetriebs in der 2. Schach-Bundesliga gebeten wurden, haben wir auch in Absprache mit dem Präsidenten des Schachbundesliga e.V. verschiedene Alternativen diskutiert und entschieden, den Vereinen hinreichend Zeit zur Bewertung der aktuellen Situation und Planung der Zukunft einzuräumen und daher die Saison 2019/2020 bis zum Frühjahr 2021 zu verlängern. Diese Entscheidung wurde vom zentralen Leiter der Bundesliga, Jürgen Kohlstädt, kommuniziert.

Rückmeldungen aus verschiedenen Vereinen und Organisationen haben uns gezeigt, dass unsere Entscheidung verfrüht getroffen wurde. Zum einen hätten wir abwarten sollen, für welches Vorgehen sich der Schach-Bundesliga e.V. als oberste deutsche Liga entscheidet und zum anderen hätten wir ein breiteres Meinungsbild unter Einbindung der Landesverbände/Bundesspielkommission herbeiführen sollen. Wir bedanken uns für die konstruktive Kritik und werden nun wie folgt vorgehen:

  • Die Entscheidung, die Saison 2019/2020 bis zum Frühjahr 2021 zu verlängern, wird zurückgenommen
  • Wir warten die Entscheidung der 1. Schach-Bundesliga über die Fortsetzung der Saison ab
  • Wir werden in der Bundesspielkommission mögliche Optionen diskutieren und dann zu einer gemeinsamen Entscheidung kommen. Diese kann auch zunächst darin bestehen, dass man die Situation weiter beobachtet und zu einem späteren Zeitpunkt entscheidet.

Ullrich Krause, Präsident
Gregor Johann, Bundesturnierdirektor
Jürgen Kohlstädt, zentraler Leiter der Schach-Bundesliga“

Kommentar

Der Rückzieher des DSB ist spektakulär. Das gilt für alle Entscheidungen, wenn sie a) zunächst eine gewaltige Tragweite hatten und b) trotzdem im Blitztempo zurückgenommen werden. Die Gründe sind vielfältiger Natur. Ich kann nur spekulieren: 1) Man hat nicht gründlich nachgedacht und sich nicht die erforderliche Expertise an Bord geholt, 2) man hat nicht gründlich kommuniziert und muss sich nun dem von einigen Funktionären als fragil bezeichneten Verhältnis zwischen dem DSB und seinen Landesverbänden stellen, 3) man hat erkannt, dass die Kritiker der Schach-Lockdowns gute Argumente haben – das ist die wohlwollendste Interpretation eines ungewöhnlichen Vorgangs.

Zurückbleiben verunsicherte Schachspieler und Ehrenamtliche, die unabhängig von den genannten Punkten eigentlich eine klare und epidemiologisch begründete Entscheidung erhofft haben. Letztere fehlt mir in dieser Debatte.

Zugegeben: Ich habe in den letzten 48 Stunden die Diskussionen im Netz nur oberflächlich verfolgt. Aber das, was ich gelesen haben, drehte sich überwiegend um spieltechnische und sportliche Aspekte. Am schlimmsten fand ich den Kommentar eines Schachfreunds, der wütend war, weil ihm der mögliche Aufstieg seiner 5. Mannschaft aus der x-ten Kreisklasse weggenommen wird. Dabei geht es um andere, ganz elementare Probleme wie die Frage aller Fragen, nämlich wie man denn Präsenzschach spielen und die Abstandsregel einhalten will (ich nenne das Präsenzschach, weil ich das Bild von tief über das Brett gebeugten Schachspielern im Kopf habe, von denen einer asymptomatisch ist und der andere 5,6 oder 7 Stunden Zeit hat, die „volle Ladung“ zu inhalieren – und präsent ist dann das Virus!).

Vielleicht gibt es ja eine Lösung für dieses Problem. Dass die Frage aller Fragen aber nicht wirklich eine herausragende Position in der öffentlichen Debatte hatte, war beklemmend. Der Deutsche Schachbund hat sich mit seiner ersten und meiner Meinung nach richtigen Entscheidung Zeit erkauft. Zeit, die wertvoll ist, weil man in den nächsten Wochen beobachten kann, ob die Lockerungen funktionieren oder ob wir uns mit einer zweite Welle auseinandersetzen müssen. Und dann wird sich der Deutsche Schachbund im ungünstigten Fall  wie ein Brummkreisel drehen und Anfang Juni erneut den Lockdown verkünden.
„Ist es also so, dass unser geliebtes Schachspiel bereits im Kern infiziert, und somit nicht mehr zu retten ist, solange die Krise anhält? Oder dass es komplett ins Internet abwandert? Dass es keine großen Turniere mehr geben wird? Nach Einschätzung des Autors zumindest in den nächsten 6 Monaten schon!“, schreibt GM Hertneck in einem Beitrag für den Schach-Ticker. Ich bin bereits jetzt neugierig, wie unsere Beiträge zu diesem Thema im Juni aussehen werden…

Interessante Beiträge