In der Oberliga Nord-West trafen am vergangenen Sonntag der Tabellenzweite Hannover 96 und der Tabellendritte SV Hellern aufeinander. Für beide Mannschaften ging es darum, den Anschluss an den HSK Lister Turm zu halten und auf einen Ausrutscher des Tabellenführers zu hoffen. Von einem spannenden Wettkampf berichtet Mannschaftsführer Hajo Bade.
Beide Teams wollten es noch einmal wissen und die letzte Chance, am Tabellenführer dran zu bleiben, wahren. So wurde kompromissloses Schach zwischen Hannover 96 und Hellern geboten und jede Einzelpartie fand einen Sieger. Doch es kam, was vielleicht kommen musste: der Mannschaftswettkampf endete 4-4!
Somit ergibt sich, zwei Runden vor dem Saisonende, die kuriose Tabelle mit dem HSK Lister Turm als klaren Tabellenführer mit zwei Punkten Vorsprung vor den nächsten vier punktgleichen Mannschaften! Die schlechtesten Karten dieses Quintetts sind bei uns Helleranern zu finden. Die Brettpunktausbeute ist zu bescheiden, um weiterhin spekulativ an die Tür zur 2. Bundesliga zu klopfen.
Ja, liebe Leser, soweit hat es das Flaggschiff der Schachabteilung geschafft. Was für eine Entwicklung, wenn man bedenkt, dass man anfangs nur Punkte sammeln wollte, um sich von den Abstiegsrängen zu entfernen. Doch kommen wir nun aus dem Wolkenkuckucksheim zurück und lassen den Spieltag Revue passieren:
Das Fehlen von Alexander war natürlich eine Schwächung. Doch der Einsatz von Jana und Hannes, volle Jugendpower an den letzten beiden Brettern, stimmte mich hoffnungsvoll. Ergebnistechnisch tat sich in den ersten drei Stunden nichts. Nur ein paar Konturen zeichneten sich ab. Carsten brachte eine stocksolide Eröffnung aufs Brett – ergebnisoffen. Ingo kam mit einigen Problemzonen aus der Eröffnung und fand sich in einem unbefriedigenden Turmendspiel wieder – Tendenz negativ. Dirk hatte die Eröffnung seines Gegners nicht verstanden und spielte bereits nach ca. 15 Zügen mit einem Mehrbauern – Tendenz positiv. Jörg zwang seinen Gegner schon in der Eröffnung auf die Rochade zu verzichten. Ob dies die Tempi waren, die zu einer besseren Stellung führen sollten? Tendenz positiv.
Reinhold agierte aus einer soliden Stellung heraus und hatte alsbald deutlichen Raumvorteil – ergebnisoffen bis positiv. Hajo rührte Zement an und ließ seinen Gegner zunächst etwas ratlos am Brett – ergebnisoffen. Jana hatte es mit dem Routinier Ljubarskij zu tun und wurde mit einer unangenehmen Variante im Spanier konfrontiert: dem Marshall-Angriff. Hier sind wirklich gute Theoriekenntnisse gefragt, wie auch unsere Fernschachspieler wissen – Tendenz negativ. Hannes hatte eine unorthodoxe, schwer zu klassifizierende Stellung auf dem Brett, schien aber die Fäden in der Hand zu halten – ergebnisoffen bis positiv. Unterm Strich lief es erfreulich für Hellern.
Dann näherte sich die Zeitkontrolle und die Weichen wurden gestellt. Jana hatte die Segel gestrichen und Hannes sehr überraschend mit ihr. Eine falsche Entscheidung im Spiel mit entgegengesetzten Rochaden und schon löst sich eine Gewinnstellung auf und mutiert allmählich zum Verlust. (Das kommt mir in dieser Saison sehr bekannt vor.)
Den Anschlusstreffer erzielte postwendend Reinhold. Er gewann einen Läufer für drei Bauern. Mathematisch im Ausgleichsbereich bewies Reinhold, dass zu dieser Formel noch andere Komponenten gehören und räumte das Brett technisch sauber ab.
Reinhold Happe (SV Hellern) – Niels Piepho (Hannover 96)
Stellungen nach dem 18. Zug von Schwarz (links) und nach dem 34. Zug von Schwarz
Im linken der beiden Diagramme investierte Reinhold einige Bedenkzeit in den Gewinn des Läufers auf a4. das Motiv hatte er schnell gesehen, aber wie es umsetzen? Und ist es wirklich gut? Ja, ist es. Es geschah 19. a4! Lxa4 20. c6! Lxc6 21. dxc6 bxc6 und nun hat Schwarz zwar drei Bauern für die Figur, aber nach 22. Da4! werden die schwarzen Mehrbauern erst einmal festgelegt und ihre Eroberung vorbereitet. Zwölf Züge später (rechtes Diagramm) waren Vorbereitung und Eroberung bereits erfolgreich, Schwarz hat für die Figur nun wahrlich nicht mehr viel. Es folgte das elegante 35. Lh6+ Kxh6 36. Txf6 Kg7 37. Td6 h5 38. h4 Kf8 39. Txd5 und bald darauf gab der Hannoverander die aussichtslose Stellung auf (1:0, 47.).
Dann brach ich selbst die Mauerstellung auf und machte eigentlich alles falsch, was so ging. Kurz darauf musste auch Ingo sich geschlagen geben. Damit stand es 1-4. Jene Meldung, die als erster Zwischenstand über den Äther ging. Sollte sich das Vorjahresdrama wiederholen? Dann holte Dirk einen zweiten Bauern und schließlich den erwarteten Punkt ab. Sein Gegner Bangiev gab sich kämpferisch und ließ sich in hoffnungsloser Stellung fast alles zeigen. 2-4.
Hummel, Dirk (SV Hellern) – Bangiev, Alexander (Hannover 96), Stellung nach dem 28. Zug von Schwarz
In der Diagrammstellung hat Weiß bereits beträchtlichen Vorteil, aber der muss gehegt und gepflegt werden, sonst geht er schnell ein. Dirk packte mit 29. Tf1! die Technikharke aus und ließ fortan nichts mehr anbrennen. Es folgte 29. … g6? 30. Tf4 Te6 31. e4! und nun kann Schwarz den Bauern weder mit dem Turm (31. … Txe4 32. Txf6) noch mit dem Springer (31. … Sxe4 32. Se3+) nehmen. Dirk gab den Vorteil nicht mehr aus der Hand. 1:0 (63.) nach einer auf diesem Niveau erstaunlich einseitigen Partie.
In der Zwischenzeit hatte sich auch Carsten einen Mehrbauern zugelegt und dieser drohte auf der g-Linie zu promovieren. Es dauerte zwar noch einiges an Zeit doch schließlich gab es auch hier den verdienten Punkt.
Nur noch 3-4 und noch eine Partie mit ebenfalls einem kleinen Mehrbauern. Ein Endspiel mit gleichfarbigen Läufern war angesagt und hier hatten die Kiebitze keinen Plan, wie das zu behandeln sei. Jörg allerdings schon und er machte auch den letzten Punkt zum Mannschaftsunentschieden perfekt. Super gespielt.
Schulze, Torben (Hannover 96) – Stock, Jörg (SV Hellern), Stellung nach dem 46. Zug
Der Hannoveraner hätte hier die Partie bei genauem Spiel wohl halten können, aber es geschah 47. g5? fxg5+ 48. hxg5 Lb5! 49. Lg8 h6 50. gxh6 gxh6 51. Lf7 c4! und Jörg gewann letztlich vor allem auch dank seiner starken Endspielleistung (0:1, 60.).
Für das i-Tüpfelchen mit Aufstiegsambitionen hat es nicht ganz gereicht. Dennoch darf man zufrieden feststellen, dass der momentane Score von 9-5 Punkten in der Oberliga schon jetzt Vereinsrekord bedeutet. Diese Saison sogar mit einer positiven Bilanz abzuschließen, ist nicht ganz ausgeschlossen.
Munter bleiben
Hajo
Die Einzelergebnisse (weitere Ergebnisse und aktuelle Tabelle auf nsv-online.de):
Hannover 96 | – | SV Hellern | 4 | – | 4 | ||
Izrailev, Alexander | (2289) | – | Lingnau, Carsten | (2371) | 0 | – | 1 |
Ivanov, Vladimir | (2373) | – | Gronde, Ingo,Dr. | (2257) | 1 | – | 0 |
Bangiev, Alexander | (2395) | – | Hummel, Dirk | (2207) | 0 | – | 1 |
Schulze, Thorben | (2301) | – | Stock, Joerg | (2169) | 0 | – | 1 |
Piepho, Niels | (2249) | – | Happe, Reinhold | (2084) | 0 | – | 1 |
Helmer, Christoph | (2132) | – | Bade, Hans-Juergen | (2011) | 1 | – | 0 |
Ljubarskij, Juri | (2220) | – | Boehm, Jana | (1984) | 1 | – | 0 |
Alm, Christopher | (2118) | – | Ewert, Hannes | (2042) | 1 | – | 0 |
Bericht: Hajo Bade. Diagramme und Analysen: Hummel, Thal, Happe und die Redaktion.