„Rematch“ – Die Miniserie über das Schachmatch Kasparov vs. „Deep Blue“

ARTE und Schach – das ist eine besondere Beziehung. Der Spartensender hat in der Vergangenheit immer wieder Filme über Schach ins Programm eingebaut. Aktuell gibt es gleich zwei Angebote: die Doku „Garri Kasparov – Rebell und König des Schachspiels“ und die 6-teilige fiktive Miniserie „Rematch“, die vom legendären Kampfs des Weltmeisters gegen den IBM-Computer „Deep Blue“ erzählt. Sehenswert sind beide Memorabilien des Schachs auf jeden Fall.

Mythologischer Kampf zwischen Mensch und Maschine

Als Magnus Carlsen im September 2024 im Rahmen der Schacholympiade bei den „FIDE 100 Awards“ als ‚Bester Spieler‘ geehrt wurde, wies er deutlich darauf hin, dass der ehemalige Weltmeister Garry Kasparov diesen Titel verdient hätte. Aber das Schachgenie Kasparov, das sich nach seinem Karriereende der Idee eines demokratische Russland verschrieben hatte und daher nicht zum engsten Freundeskreis von Vladimir Putin gehört, wurde vom Weltschachbund FIDE wieder einmal übergangen. Das Imperium hatte zurückgeschlagen: FIDE-Präsident Arkadi Dworkowitsch ist Russe und gehörte zu den Beratern des russischen Präsidenten.

In der auf ARTE und Disney+ abrufbaren Serie „Rematch“ geht es aber nur am Rande um Politik, vielmehr um einen (schach-)historischen Kampf auf den 64 Feldern – die gnadenlose Schlacht zwischen dem IBM-Computer „Deep Blue“ und dem EX-FIDE-Schachweltmeister Garry Kasparov. Und der sollte im Kampf zwischen Mensch und Maschine die letzte Bastion der menschlichen Intelligenz und Dominanz sein.
Kasparov will beweisen, dass er die Nr. 1 ist und es bleiben wird. Dafür arbeitet er wie ein Besessener. Der Weltkonzern IBM wollte dagegen mit „Deep Blue“ demonstrieren, dass die Maschine bereit ist, den Menschen in allen Bereichen abzuhängen. Der mythologischen Kampf zwischen Mensch und Maschine war am Ende also eine Marketing-Show. Nach dem Sieg von „Deep Blue“ verkaufte IBM einige Millionen Computer.

Charakterdrama ohne sympathische Figuren

Christian Cooke spielt das menschliche Schachgenie als narzisstischen, schroffen und unzugänglichen Mann mit zwanghaft-obsessiven Charakterzügen. An den realen und sehr charismatischen, gelegentlich aber auch ziemlich arroganten Kasparov erinnert dies nur wenig. Stattdessen sieht man das Schachgenie als dauererregten Nerd, dem die reale Welt und das Honorar für das Match völlig egal zu sein scheinen – ein humorloser Egomane und ein Unsympath mit minimalem Identifikationspotential. „Lacht Daddy auch mal?“, fragt seine Tochter ihre Mutter, die sich längst von ihrem Mann getrennt hat.

Der permanent Schlechtgelaunte wird von seiner Mutter Sofia (Trine Dyrholm) gemanagt, die nach dem ersten Match weitere Einnahmen wittert. Aber nach dem knappen Sieg über „Deep Blue“ lehnt Kasparov zunächst ein einen weiteren Wettkampf mit einem Salär in Millionenhöhe ab.
Unternehmerische Ambitionen hatte dagegen der in Baku geborene reale Ex-Weltmeister. Kasparov gründete nach einem Streit mit dem Weltschachbund FIDE einen eigenen Verband, verlor dadurch seinen Titel und vermarktete ihn danach in eigener Regie. Realität und Fiktion passen in „Rematch“ an dieser Stelle nicht wirklich zusammen.

Dschungel der Intrigen

Wie erzählt man über Schach, ohne den Zuschauer zu langweilen? Dazu noch im Rückblick auf ein Ereignis, das über ein Vierteljahrhundert zurückliegt? Ganz einfach: man zeigt, dass die wahren Kämpfe nicht auf den 64 Feldern stattfinden, sondern hinter den Kulissen. Beginnend mit dem CEO sind die meisten IBM-Mitarbeiter gewissenlos und gierig und scheuen kein Manöver, um ihr Ziel zu erreichen, während die Hauptfigur mit dem Rücken an der Wand steht. Das wirkt streckenweise formelhaft.

Die Produktionspartner ARTE (Frankreich) und Unité ließen sich mit „Rematch“ also auf ein riskantes Projekt ein. Allerdings vor einem Hintergrund: Vor vier Jahren sorgte die Netflix-Serie „The Queen’s Gambit“ (dts. „Damengambit“) für einen gewaltigen Boom. Schach verlor über Nacht sein Image als Nischensport. In den einschlägigen Internet-Portalen wurde mehr gezockt denn je. Und viele Schachmeister verdienen heute mit Schach-Podcasts mehr Geld als in Turnieren.
Kein Wunder, „The Queen’s Gambit“ hatte ein gute Story: Ein junges Mädchen, das sich trotz ihrer Drogen- und Medikamentensucht einen Platz in der globalen Schachelite erkämpft, triggerte perfekt den Zeitgeist. Die Serie faszinierte deshalb auch Zuschauer, die nicht einmal den Unterschied zwischen Turm und Dame kennen. Einer der Berater der Serienproduzenten war übrigens Garry Kasparov.

Das eigentliche Dilemma von Filmen und Serien ist, dass man die ‚Sache an sich‘ nicht ausführlich zeigen kann. Es wird – wie auch in „The Queen’s Gambit“ – meistens schnell gezogen. Dies ist dem Medium geschuldet. Nur gelegentlich wird in der Serie zwei bis drei Sekunden lang ein elektronisches Schachbrett gezeigt und wer schnell genug die Pausentaste drückt, kann immerhin erkennen, dass  die von Garry Kasparov und „Deep Blue“ gespielten Partien authentisch sind. Die Partien in „Rematch“ kann man allerdings online nachspielen. Denn was auf dem Brett passierte, war haarsträubend spannend.

Ansonsten sieht man grübelnde Closeups des Meisters und des sichtlich angespannten „Deep Blue“-Programmierers „PC“. PC ist der Spitzname des taiwanesisch-amerikanischen Informatikers Feng-hsiung Hsu und bedeutet ‚peinlicher Computernerd‘. Der von Orion Lee gespielte Schöpfer von „Deep Blue“ führte die Computerzüge auf dem Brett aus, während die Maschine im Hintergrund rattert und die nächste Attacke berechnet. Aber der schüchterne und introvertierte PC ist im Dschungel der Intrigen hilflos. Feng-hsiung Hsu gab es wirklich. In der Serie ist er die einzige Figur, die ehrlich, vertrauenswürdig und höflich ist. Nicht gut, wenn man Karriere machen will.

Wie erzählt man spannend über Schach?

Da die Partien in der Serie nur Staffage sind, mussten sich die Showrunner Yan England, Bruno Nahon und André Gulluni ein Charakterdrama ausdenken, in dem von spannenderen Themen wie Obsession, Manipulation, Intrigen und Paranoia erzählt wird. So ist in „Rematch“ Kasparovs gefährlichster Kontrahent nicht der Computer, sondern die IBM-Managerin Helen Brock (Sarah Bolger), die von dem CEO des Konzerns mächtig unter Druck gesetzt wird und nun alle Hebel zieht, um zu zeigen, wie innovativ und zukunftsweisend IBM ist. Von der Presse wird sie und nicht Feng-hsiung Hsu als „Herz der Maschine“ gefeiert. Dabei versteht Brock kaum, was im Inneren von „Deep Blue“ geschieht.

Die erste Folge der ARTE-Serie zeigt im Eiltempo das erste Match. Es findet 1996 in Philadelphia statt. Kasparov verliert zwar die erste Partie, kann aber am Ende mit 4-2 die Oberhand behalten. Dass kann IBM nicht hinnehmen und bietet Kasparov einen beachtlichen Millionenvertrag für einen Rückkampf. Millionen US-Dollar spielen beim zweiten Match, das 1997 in New York stattfindet, daher keine Rolle mehr. Brock baut für Feng-hsiung Hsu einen Staff auf, der die Leistung von „Deep Blue“ optimieren soll. Bald sind auch Top-Großmeister im Team, die ihr Know-how einbringen sollen. Es wird intrigiert und manipuliert, bis Kasparov glaubt, dass er von IBM belogen und betrogen wird.

Gegen die menschliche Einflussnahme von Großmeistern auf die Programmierung des Computers wehrte sich auch der reale Kasparov. Noch im Jahre 2005 war der gerade vom professionellen Schach zurückgetretene Ex-Weltmeister davon überzeugt, dass er betrogen wurde: „Es war ein trauriger Tag für den Schachsport. Wissenschaftlich ausgedrückt war das Match ein Betrug. IBM hat keine Beweise vorgelegt, dass dem nicht so ist, obwohl sie die Beweislast getroffen hat. Wenn ich sage, dass durch menschliche Einwirkungen manipuliert wurde, so hätten sie mit den Rechenprotokollen widerlegen oder darstellen müssen, dass ich Unrecht habe. (…) Ob ich beweisen kann? Nein.“

Psychospielchen auf dem Schachbrett

Mit 44…Td1 verspielte die Maschine das Remis.

Also nicht nur Mensch gegen Maschine, sondern auch Mensch gegen Multikonzern. Um noch mehr dramatisches Potential für die Story abzurufen, wurde Schachaction auf dem Brett inszeniert. So verfällt Kasparov dem blanken Entsetzen, als die Maschine in der ersten Partie mit 44…Td1 einen wirren Zug spielt. Ist dies ein gnadenloser Konter? Welches Geheimnis verbirgt „Deep Blue“? Fast zwanghaft wird Kasparov den Zug auch nach der Partie endlos untersuchen. Tatsächlich war der Zug ein Bug und die Partie war danach für Kasparov einzügig gewonnen, was auch geschah. Starke Amateure hätte die Stellung nicht herausgefordert.

37.Le4 verhindert e5-e4

Genauso merkwürdig ist Kasparovs Verhalten in der zweiten Partie.  Den Zug 37. Le4 kann der stärkste Spieler der Welt nicht deuten. Auch hier können starke Amateure erkennen, dass die Maschine ein Bauernopfer verhindert, das eine passive Figur Kasparovs aktiviert hätte. Für den stärksten Spieler der Welt dürfte dies kein Rätsel sein. Eigentlich. Stattdessen gibt Kasparov wenig später die Partie trotz eines Patzers der Maschine auf, weil er ein Dauerschach übersehen hatte. Danach rennt er in einen Computershop, kauft alle Schachcomputer, um herauszufinden, wie „Deep Blue“ denkt. Nur um festzustellen, dass die Programme hoffnungslos schwach sind. Was hat er erwartet? Der reale Kasparov hatte bereits eine Simultanveranstaltung gegen 24 Computer absolviert und alle Partien gewonnen. Psychologisch plausibel ist die Serie in solchen Szenen nicht.

Überhaupt Psychospielchen: Episode 4 ist eine Reise in der Vergangenheit und zeigt den mörderischen und zermürbenden Kampf um die Krone, der Karpov und Kasparov monatelang ans Brett fesselte, bevor er aus fadenscheinigen Gründen abgebrochen wurde. Kasparov (der seinen Namen Weinstein in einem antisemitischen Russland abgelegt hatte) fühlte sich von der Nomenklatura betrogen und holte sich trotzdem den Titel in einem Rematch.
Die sehr gelungene Episode erklärt ansatzweise die Darstellung Kasparovs in der ARTE-Serie. Immer deutlicher wird, dass nicht nur die Spielstärke, sondern auch mentale Power das Match entscheiden werden. Leider haben die Macher dabei zu dick aufgetragen. In der vorletzten Episode verwüstet das Schachgenie sein Hotelzimmer auf der Suche nach Wanzen. Kasparov ist endgültig paranoid geworden. Aber Paranoia bedeutet nicht, dass man nicht doch verfolgt wird.
Historisch ist das Ganze aber korrekt. Allerdings ereignete sich die Suche nach Wanzen und einem Maulwurf erst im dritten WM-Match 1986. Glaubt man Tancrède Bonora und Laurent Follea, den Machern der Doku „Garri Kasparow – Rebell und König des Schachspiels“, wurde tatsächlich im Trainerteam ein Maulwurf entdeckt, der Karpovs Team mit Informationen versorgte. Auch der russische GM Gurevich soll vom KGB aufgefordert worden sein, ebenfalls als Maulwurf zu arbeiten.

Am Ende verliert Kasparov das Match in einer spektakulären Partie, über die bis heute gestritten wird. Mehrfach stand Kasparov vor einem Sieg, aber am Ende rettete sich „Deep Blue“ ins Remis. In der letzten Partie spielte Kasparov eine riskante Eröffnung, die Maschine gewann danach in 19 Zügen. Kasparov hatte geglaubt, dass nur ein Mensch so früh eine Figur opfern würde. Er irrte sich.

Unterm Strich ist „Rematch“ trotz einiger Schwachpunkte eine ordentliche Serie geworden, die ein bedeutendes historisches Event ins Gedächtnis zurückruft. „Rematch“ wird deshalb nicht nur für Schachspieler, sondern auch für Schachlaien interessant, weil der Kampf zwischen Mensch und Maschine einer der Kipppunkte beim Übergang in die digitale Revolution war.

Heute ist alles anders – und keiner staunt mehr

Nach dem Jahrhundertwettkampf zwischen Robert „Bobby“ Fischer und dem russischen Weltmeister Boris Spassky (1972) war der Kampf gegen „Deep Blue“ das nächste große Schachspektakel, das von der Medien begeistert aufgenommen wurde. Monster-Boliden wie den riesigen Computer „Deep Blue“ gibt es nicht mehr. Heute kann jeder Schachspieler das kostenlose Programm „Stockfish“ downloaden und seine Partien von einer Engine mit einer ELO von 3600 berechnen lassen. Magnus Carlsen, das norwegische Schachgenie, konnte bislang nur eine Wertungszahl von 2882 erreichen.
Der spektakuläre Kampf zwischen Mensch und Maschine hat sich damit erledigt. Die genialsten Spieler unserer Dekade würden auch dann verlieren, wenn man Stockfish mit reduziertem Figurenmaterial antreten lässt. Das geschah bereits und der unterlegene Großmeister dürfte nur wenig Spaß an dem Duell gehabt haben.
Denn während „Deep Blue“ nichts anderes als eine gigantische Rechenmaschine war, die mit der Brute-Force-Methode über 200 Millionen Stellungen pro Sekunde berechnen konnte, benutzen moderne Schach-Apps mittlerweile neuronale Netzwerke. Feng-hsiung Hsu würde sich darüber freuen.
Auch Stockfish musste irgendwann „erfahren“, was ein komplettes Desaster ist. Das Programm verlor ein Match gegen „Alpha Zero“, ein Programm, das mit NNUE (Efficiently Updatable Neural Network) operiert. Nun hat auch Stockfish ein derartiges neuronales Netzwerk und Großmeister spielen überwiegend die von der Engine entwickelten Eröffnungsvarianten.
„Rematch“ kann man sich angesichts dieser bahnbrechenden Entwicklungen mit nostalgischen Gefühlen anschauen. Vor über einem Vierteljahrhundert begegneten viele den „denkenden Maschinen“ mit Staunen, Neugier und vielleicht auch Ehrfurcht. Diese Zeiten sind vorbei. Heute überrollt uns die digitale Revolution mit einem irren Tempo, aber wir nehmen dies achselzuckend zur Kenntnis und nutzen alles, was für uns vorteilhaft ist. Ganz ehrlich: die Pionierjahre des Computerschachs waren spannender.

Rematch – Frankreich, Großbritannien 2024 – 6 Episoden – Regie: Yan England – Drehbuch: Yan England, André Gulluni – D.: Christian Cooke, Orion Lee, Sarah Bolger, Trine Dyrholm, Tom Austen u.a.

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