Schach im Ressort „Stil“
Was uns die Erfahrung lehrt: Sei immer froh, wenn eine Zeitung über Schach schreibt! Wer dieses Credo hochhält, der hat das Dilemma schon beschrieben. Man freut sich, weil eben so gut wie nichts über Schach geschrieben wird – es sei denn, eine Weltmeisterschaft findet statt. Und so wird man beinahe hysterisch, wenn die lokale Tageszeitung den Termin des nächsten Oberliga-Wettkampfes ankündigt, um danach wieder in jahrelanges Schweigen zu verfallen. DIE WELT hat nun einen langen Artikel über Schach geschrieben. Allerdings nicht im Ressort „Sport“, sondern dort, wo in der Regel Mode im Mittelpunkt steht.
Revolution in roten Turnschuhen
Brenda Strohmeier, die seit 2011 „Stil“-Redakteurin für die Tageszeitung DIE WELT ist, hat ihr Herz für Schach entdeckt. Dort, wo Mann & Frau eigentlich etwas über die neue Frühjahrsmode lesen möchten. Das rührt einen, da Werbung für Schach an sich etwas Tolles ist, obgleich man gleich über displaced commercials nachdenkt und damit auch darüber, warum das ausgerechnet im Ressort „Stil“ stattfindet. Schachspieler und Schachspielerinnnen sind ja nicht unbedingt dafür bekannt, dass sie durchgestylt zum Wettkampf erscheinen. Hannes‘ rote Turnschuhe sorgten vor einiger Zeit für einen kolletkiven Aufschrei im Spiellokal, aber diese Zeiten sind inzwischen auch vorbei. Aber irgendwie revolutionär war das schon.
Schachfreundin Strohmeier sieht das anders. Dies kündigt schon ihre Dachzeile an: „Schach ist wieder hip.“ Hmm, war Schach denn schon früher einmal hip und wann war das eigentlich? Egal, die Headline „Brett statt Konsole“ lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers gleich auf den Kern des Beitrags: Schach bommt wieder und es ist wohl auch geeignet, um ADHS-gepeinigten Schülern zu mehr Konzentrationsfähigkeit zu verhelfen. Und so zeigt das Foto vor dem Teaser dann auch zwei brütend ins Spiel versunkene Kinder.
Den entscheidenden Push hat der Artikel aber offenbar vom aktuellen Schachfilm „The Queen of Katwe“ bekommen. Der erzählt die Geschichte eines Mädchens aus Uganda, dem dank Schach der Ausbruch aus dem Ghetto gelingt und das mittlweile auf Schacholympiaden ein erfolgreiches Mitglied des ugandisches Frauenteams ist. Und schon sind wir beim Mythos, der zu einem guten Narrativ gehört, obwohl bei Brenda Strohmeier das farbige Schachgenie Phiona Mutes heißt und nicht Phiona Mutesi. Dazu später mehr.
Von den „Simpsons“ zur Schule
Ansonsten steckt Schachfreundin Strohmeier ihren Claim sehr nutzbringend ab. Klar, dass Schachweltmeister Magnus Carlsen, der als Booster ausgemacht wird, nicht fehlen darf. Kein Wunder, er wirbt ja auch für Markenjeans und durfte auch unlängst in „Die Simpsons“ auftreten.
„Einfach rumsitzen und nachdenken – im digitalen Zeitalter werden so Imperien geschaffen“, stellt Strohmeier fest, weiß aber auch, was wir schon immer ahnten: „Der Schachspieler war schon ein Nerd, bevor die so hießen.“
Wieso also nun der neue Schachboom? Neben Magnus Carlsen rückt die WELT-Redakteurin auch Schulschach und Jugendarbeit in den Verein in den Fokus, um das Phänomen zu erklären. Dass Eltern verstärkt ihre Kinder in Schach-AGs unterbringen, weil sie Schach mit Gehirn-Jogging gleichsetzen und hoffen, dass der Denksport die Kinder fit für die Ansprüche der rigosen Leistungsgesellschaft macht, treibt kritischen Gemütern sicher schnell einige Sorgenfalten ins Gesicht. Aber Strohmeier hat hier sehr gut recherchiert und beschreibt am Beispiel des Berliner Vereins Zugzwang 95, der Fortbildungsoffensive der Deustchen Schachjugend (die über 3000 Lehrer schachlich nachgerüstet hat) und anhand einer Studie der Universität Trier, welche positiven Effekte der Kampf um Kinder und Jugendliche bewirken kann. Schach boomt an Schulen, das weiß auch unser Mitstreiter Hajo Bade, der unlängst mit einem Osnabrücker Team zum Schulschach-Landesfinale nach Hannover reiste.
Dass sich das aber abnutzt, wenn Schach zum Schulfach mit Noten wird, weiß Bernd Mallmann, der Schachbeauftragte der Gesamtschule Trier: „Da muss man ehrlich sein: Manche haben dann keine Lust mehr.“
Bits & Bites & Boxen
Auch Schach und Digitalisierung ist im WELT-Artikel eine Thema. Brenda Strohmeier hat mit Rainer Woisin gesprochen, dem Geschäftsführer von ChessBase. Auch der hält Schach ohne Computer für undenkbar. Das überrascht nicht, denn schließlich ist das ja das Geschäftsmodell der Hamburger Softwareschmiede. Recht hat er dennoch, denn das symbiotische Verhältnis von Datenbanken und Vereinsschach besitzt auch in unserem Verein einen hohen Stellenwert, den auch jene erkennen, die ansonsten eher spöttisch die akribischen Engineanalysen kommentieren. Aber das ist längst nicht alles, denn ChessBase hat mittlerweile sein Serviceprofil geschärft und bietet Vereinen sogar an, LIve-Übertragungen von ihren Events zu organisieren. Dass Derartiges bei biederen Amateuren gewaltigen Angstschweiß auslösen könnte, wird leider in dem Beitrag nicht thematisiert.
Summa summarum ist der WELT-Artikel ein gelungenes Potpourri des Schachs. Auch Schach und Boxen darf da nicht fehlen, aber mir ist es immer schwer gefallen, dort an einen Mehrwert zu glauben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich Carsten & Co. in einer Welt wohlfühlen, die von Damengambit und Uppercuts bestimmt wird. Aber auch hier hat Brenda Strohmeier eine Erklärung: „Schach ist eine äußerst anpassungsfähige Kreatur, quasi der Waschbär unter den Spielen.“ Scheint zu klappen, denn Schachboxen wird inzwischen in elf Ländern erfolgreich vermarktet.
Nur etwas darf zwischen all den Metamorphosen, auf die der Schachsport zusteuert, nicht fehlen: der Mythos vom naturhaften Genie. Und so endet der WELT-Artikel dort, wo er begonnen hat. Bei Phiona Mutesi, dem „Schachgenie aus dem Getto.“ Hier hätte etwas mehr Recherche der Schlusspointe gut getan, denn – bei aller Begeisterung – die 20-jährige Schachspielerin aus Uganda ist zwar Woman Candidate Master, befindet sich aber ELO-mäßig mit einer Rating von 1628 bereits auf dem absteigenden Ast. Das würde in Hellern für die 4. Mannschaft reichen. Aber auch hier trimphiert der Mythos über die Fakten. „When the legend becomes fact, print the legend“, stellt ein Zeitungsreporter in John Fords legendären Western „The Man Who Shots Lberty Valance“ fest. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Quelle: Brett statt Konsole