Die post-faktische Zeit (sehr voreilig zum Unwort des Jahres erklärt) bietet unschätzbare Vorzüge: Man muss sich endlich nicht mehr mit Tatsachen auseinandersetzen. Die Erde ist eine Scheibe und Hellern hat in Oldenburg gewonnen. Das Gegenteil muss erst bewiesen werden. Das versucht Hajo Bade in seinem Gastbeitrag … Update
Vorne blocken, hinten drauf!
Wenn der Tabellenzweite auf den Tabellenführer trifft, spricht man gemeinhin von einem Spitzenduell. Am dritten Spieltag ist dies allerdings noch ohne allzu große Aussagekraft. Bis auf die Tatsache, dass der Verlierer zunächst einmal ins große und breite Mittelfeld zurückgeworfen wird und anderweitig nach Punkten Ausschau halten muss.
Auf jeden Fall taten beide Mannschaften so ziemlich alles, um auch am Ende des dritten Spieltages an der Spitze zu stehen. Hellern war auf Grund der Spitzenbretter leicht favorisiert, doch Oldenburg stellte eine kompakte Mannschaft auf und hatte eine Strategie, wie sich alsbald herausstellen sollte. Ihre Marschroute war einfach, aber klar und lautete: Vorne alles abblocken und hinten Schwachstellen ausmachen. Der Spielberichtsbogen zeigt ziemlich nüchtern an, dass diese luzide Idee sich erfolgreich durchsetzte.
Die Chronologie des Spieltages
Zunächst wurde an Brett 2 (Hermann-Hoffmann) remisiert. Beide Spieler spulten gekonnt ihr Repertoire herunter. Doch da Weiß keinerlei Gewinnabsichten anstellte, kam auch Alexander nicht in die Gewinnzone.
Ebenfalls vor der Zeitkontrolle waren die Remise an den Brettern 1 (Bredemeier – Lingnau), 3 (Mueer – Hummel) und 4 (Wittje – Dr. Gronde) erzielt worden. Kein Gewinnpunkt für Hellern an den ersten vier Brettern – hier geht bereits ein Teil des gegnerischen Konzepts auf.
Während Carsten sich wohl an einem gewonnenen Bauern verschluckt hatte und mit Entwicklungsrückstand kämpfte, hatte Dirk sich auf für ihn unbekanntes theoretisches Gebiet gewagt. Alle Welt wusste es nachher natürlich besser, aber immerhin kam er nicht unter die Räder.
Lingnau – Bredemeier | Hummel – Mueer |
14…h5 | 13…Da5 |
Beide Züge sind Neuerungen. Wie’s weiterging, kann man hier nachspielen. Dass ausgerechnet das schnelle Remis in Dirks Partie gegen Sebastian Mueer in unserem Gästebuch zu einer Debatte führte, ist kein Problem, sondern erfreulich, weil konstruktiv. Überlassen wir das letzte Wort Dirk, der erklärte, dass er a) bereits im 10. Zug ein Remisangebot seines Gegners ablehnte und b) das entstandene Setup nicht so gut kannte – Alexander Hoffmann, aber auch Sebastian Mueer kannten es laut Dirk:
- „Ich habe eine vernünftige Entscheidung getroffen, um bei geringer Zeit größeren Schaden zu vermeiden. Sebastian Mueer hat eine gute Vorbereitung betrieben und meine Versuche, diese zu umgehen, sind gescheitert“ (Hummel).
Im Übrigen sind ergebnisorientierte Strategien in einem Mannschaftswettkampf weder heimtückisch noch unfair, sondern das Salz in der Suppe. Wie sie im Einzelfall aussehen, können nur die Betroffenen wissen. Die begründete Analyse eines gegnerischen Matchplans gehört daher immer auch ein wenig zum Reich der Vermutungen – und die können mehr oder weniger plausibel ausfallen. Auf jeden Fall machen sie Spaß.
Auch Ingo musste hart rackern, hatte er doch in Berthold Wittje einen der zuverlässigsten Oldenburger als Kontrahenten.
Das nächste Unentschieden folgte am sechsten Brett (Schütte – Happe). Hier hatte Reinhold das spanische Duell klar für sich entschieden. Das Turmendspiel hätte man durchaus weiterspielen können, wie auch Reinhold befand. Doch durch unklare Informationen dachte er mit einem Unentschieden der Mannschaft zu helfen.
(Nach 39. Td1 schloss man Frieden. Gründliche Analysen haben ergeben, dass Schwarz endlos weiterspielen kann, aber keine überzeugende Gewinnführung nachzuweisen ist. Im Gegenteil: auf dem Brett kann sogar der helle Wahnsinn ausbrechen und am Ende spielt Schwarz mit einem Turm weniger und fünf Bauern mehr auf Gewinn. Wer starke Nerven hat, kann dies hier nachspielen, d. Red.)
Abgezockt heruntergespielt
Dann musste ich die Segel streichen. Nach der theoretischen Neuerung g4 im 4. Zug einer ‚Was-weiß-ich-Eröffnung‘ hatten Jan Wagner und ich bereits nach 10 Zügen den größten Teil unserer Bedenkzeit aufgebraucht. Kein Wunder, dass die ca. 10 letzten Züge bis zur Zeitkontrolle vom Zeitbonus lebten und ziemlich gehackt wurde. Ein schönes Spektakel für die Kiebitze. Doch da Jan in dieser Phase bereits klar überlegen stand, war das Ergebnis also folgerichtig und Hellern lag erstmals zurück. (Diagrammstellung rechts) Wagner – Bade: 4. g2-g4
[Event „Oberliga Nord-West 2016/17“]
[Site „Oldenburg“]
[Date „2016.11.02“]
[Round „3.5“]
[White „Ewert“]
[Black „Heinemann“]
[Result „1-0“]
[WhiteElo „2164“]
[BlackElo „2152“]
[Annotator „Thal“]
[SetUp „1“]
[FEN „2r1r1k1/pp3p1p/6pb/qn1p4/3P2P1/1PP2QBP/P2N1P2/2RR2K1 w – – 0 25“]
[PlyCount „53“]
[EventDate „2016.??.??“]
[EventType „team“]
[EventRounds „9“]
[EventCountry „GER“]
[SourceTitle „Bulletin“]
[Source „Dr. Ortwin Thal“]
[SourceDate „2015.08.08“]
25. Be5 {Völlig humorlos gespielt.} (25. Qxd5 Red8 26. Qxb7 Nxc3 27. Rxc3 Qxc3
28. Nc4 $14) 25… Rxe5 {Natürlich steht Heinemann danach auf Verlust. Aber
gute Spieler können einschätzen, wann es ihnen an den Kragen geht. Dann
hilft manchmal ein Qualleopfer.} (25… Nxc3 26. Nc4 $3 (26. Qf6 Rxe5 $1 $15)
26… Ne2+ 27. Qxe2 dxc4 28. Rxc4 Rxc4 29. Qxc4 $16) 26. dxe5 Rxc3 27. Rxc3
Nxc3 28. Nc4 $3 dxc4 29. Rd7 {[%csl Rf7]} Bf4 {Schwarz hat zwei Figuren für
den Turm und Hannes muss liefern…} 30. e6 $1 {…was er auch sofort tut.} (
30. Qxf4 Ne2+ $19) 30… Qe5 31. exf7+ Kf8 32. Qxb7 Qe1+ 33. Kg2 Qe4+ 34. Qxe4
Nxe4 35. Kf3 Nc5 36. Rd5 Ne6 37. bxc4 Kxf7 38. Rd7+ Kf6 39. Rxa7 Ke5 40. Re7
Bd2 41. Ke2 Bb4 42. Rxh7 Kd4 43. h4 Kxc4 44. Rd7 Kc5 45. Kd3 Kc6 46. Rf7 Kd5
47. h5 gxh5 48. gxh5 Nc5+ 49. Kc2 Ke6 50. Rf4 Ba3 51. Rf3 {Wie soll der
h-Bauer aufgehalten werden? Sehr kaltschnäuzige Partie von Hannes.} 1-0
Denn das negative Ende am siebten Brett war absehbar. Bürckner hatte einen optisch starken Angriff von Jörg abgeschlagen, behielt zwei Mehrbauern und brachte die Partie fehlerfrei über die Ziellinie. Damit war auch der zweite Teil des Konzepts erfolgreich und Oldenburg bleibt verdient Tabellenführer.
Was hatte ich eingangs noch über den Verlierer gesagt? Genau: Wir sind jetzt Tabellenfünfter und dürfen und müssen woanders Punkte sammeln. Am Besten: Wir fangen im neuen Jahr gleich damit an, denn die Leistungsdichte ist in dieser Saison sehr hoch. Da kann man sich schneller auf den gefährdeten Plätzen wiederfinden, als einem lieb ist.
SV Hellern 1 | – | SK Union Oldenburg | 5 | – | 3 | ||
IM Lingnau | (2410) | – | Bredemeier | (2297) | 0,5 | – | 0,5 |
Hoffmann | (2406) | – | IM Hermann | (2299) | 0,5 | – | 0,5 |
Hummel | (2292) | – | Mueer | (2237) | 0,5 | – | 0,5 |
Dr. Gronde | (2205) | – | Wittje | (2227) | 0,5 | – | 0,5 |
Ewert, H. | (2161) | – | Heinemann | (2123) | 1 | – | 0 |
Happe | (2118) | – | FM Schütte | (2108) | 0,5 | – | 0,5 |
Stock | (2185) | – | Buerckner | (2143) | 0 | – | 1 |
Bade | (1999) | – | Wagner | (2129) | 0 | – | 1 |
Also: munter bleiben – Frohe Weihnachten und einen Guten Rutsch ins neue Jahr 2017! Hajo