Gender Mainstreaming: Schach im Visier der Politik

partieformular_vorschauSeit über 15 Jahren ist die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter ein erklärtes Ziel der Europäischen Union. Seitdem kamen nicht nur aus Brüssel, sondern auch aus Berlin zahlreiche Initiativen zur Förderung der Geschlechtergerechtigkeit. Die Internet-Redaktion erfuhr nun über ihre Kontakte in das Familienministerium, dass auch das Schachspiel in das Visier der deutschen Gleichstellungspolitik geraten ist.

Wer erinnert sich nicht an das Bild des mit dem Altbundeskanzler Helmut Schmidt Schach spielenden Spitzenkandidaten der SPD im Wahlkampf 2011, Peer Steinbrück? Zwei alte Machos spielen das „königliche Spiel“ (nun ja, auf einem um 90 Grad gedrehten Brett, zugegeben eine peinliche Panne).

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Das Steinbrück-Schmidt Brett: Original und Fälschung

Eine namhafte Politikerin im Familienministerium (Name der Redaktion bekannt) hat seit dem Tag, an dem sie dieses Bild sah, ein Ziel: Den Chauvinismus im Schach zu beenden. Damit sind nicht diejenigen männlichen Schachspieler gemeint, die sich zu dämlichen Äußerungen über Schachspielerinnen hinreißen lassen. Nein, es geht um das Spiel selbst! Die Dame ist die stärkste Figur auf dem Brett, zugegeben, aber es geht auch ohne sie. Nicht aber ohne den König. Natürlich! Und welches Geschlecht haben Türme, Springer, Läufer und Bauern? Eben. Alles Männer. Damit soll nun Schluss sein.

Dank ihrer guten Kontakte in die Politik wurde der Redaktion von www.schach-hellern.de vergangene Woche ein internes Arbeitspapier des Familienministeriums zugespielt, das zwar nicht die Regeln des Schachspiels verändern wird, aber sehr wohl die Praxis des Spiels und insbesondere die Berichterstattung über das Spiel. Das Arbeitspapier ist sehr umfangreich und berücksichtigt, da es auch als Vorlage für eine EU-Initiative dienen soll, nicht nur die deutsch- sondern insbesondere auch die englischsprachigen Bezeichnungen im Schach. [Man denke nur an den „bishop“ (Läufer), der eine regelrechte zölibatäre Resistenz gegen das Gendern zeigt.]

In diesem Artikel beschränken wir uns jedoch auf die wesentlichsten Neuerungen aus deutschsprachiger Sicht. Diese Neuerungen sollen nach dem Positionspapier spätestens im kommenden Jahr auf dem Deutschen Schachkongress beschlossen werden. Die öffentliche Anhörung in Berlin ist für den September 2016 geplant. Falls Sie Interesse haben, daran als Delegierter für den Bezirk oder den NSV teilzunehmen und insbesondere bereits Erfahrungen im Anfertigen gendergerechter Texte haben, hinterlassen Sie bitte eine Nachricht in unserem Gästebuch. Hier nun die wichtigsten Neuerungen:

1. FigurInnen

Bekanntlich hat das Brett einen Damen- und einen Königsflügel. Zukünftig sollen die FigurInnen auf der Damenflügelseite und der Königsflügelseite im Sinne einer Genderquote ungleich benannt werden:

  1. Die Springer auf b1 und b8 werden Springerinnen, die Läufer auf c1 und c8 Läuferinnen und die Türme auf a1 und a8 Türminnen.
  2. Die Unterscheidung von Läuferin und Läufer geschieht über die Felderfarbe – Die weiße Läuferin ist schwarzfeldrig, die schwarze Läuferin weißfeldrig.
  3. Da die Unterschiedung bei den Springerinnen und Türminnen schwieriger ist, wird der Deutsche Schachbund, finanziell unterstützt vom BMFSFJ, rechtzeitig zum Saisonstart 2017/2018 Nachrüstsets an die Vereine ausgeben. Die Sets enthalten Anklebebärte für Türme und Geweihe für Springer:
    turm  springer
  4. „Springer am Rand ist eine Schand“. Mag sein, aber Springerin am Rand ist fortan keine „Schand“, sondern bringt die spielende Partei in eine „potentiell schwierige Lage“. (Merksatz: „Springerin am Rand bringt Dich in eine potentiell schwierige Lage“.)
  5. Das Schlagen einer männlichen Figur darf weiterhin kommentarlos erfolgen, das Schlagen einer weiblichen Figur durch eine männliche Figur hingegen (für das Schlagen der Dame vgl. zudem Regel 3c) ist ab sofort mit dem gesprochenen Zusatz „bitte missverstehen Sie dies nicht als Angriff auf Ihr Geschlecht“ zu versehen. In internationalen Turnieren ist das kürzere „no offence!“ erlaubt.

2. Bäuerinnen

Aufgrund der nunmehr jahrhundertelangen Diskriminierung der Bäuerinnen im Schachspiel werden für den Zeitraum von der Einführung der neuen Regeln bis (mindestens) zum Ende des 21. Jahrhunderts alle Bauern weiblich als Bäuerin angeredet. Für das Schlagen von Bäuerinnen gilt dieselbe Regel wie für das Schlagen von Figurinnen. Von der weiblichen Anrede der Bäuerinnen gibt es jedoch die folgenden Ausnahmen:

  1. Der so genannte „rückständige Bauer“ bleibt männlich.
  2. Auch der „hängende Bauer“ bleibt männlich.
  3. Der Isolani wird geschlechtsneutral: „Single“ (ohne Artikel).
  4. Randbäuerinnen werden zu Flügelbäuerinnen.
  5. Eine Freibäuerin kann wahlweise auch als Amazone bezeichnet werden.
  6. Bei der Bäuerinnenumwandlung wird die Bäuerin Dame, Türmin, Läuferin oder Springerin, wenn das Umwandlungsfeld auf der Damenflügelseite liegt, und Dame, Turm, Läufer oder Springer auf der Königsflügelseite.

3. Verschiedenes

  1. Narrenmatt und Schäfermatt bleiben in der männlichen Form (also nicht Närrinnenmatt oder Schäferinnenmatt).
  2. ZuschauerInnen werden künftig nicht mehr einfach als „Kiebitze“ bezeichnet. Wahlweise kann von KibitzInnen gesprochen werden, oder aber männliche Zuschauer bleiben Kiebitze und Zuschauerinnen werden als Möwen bezeichnet.
  3. Die Regeln zur Notation auf Partieformularen bleiben unverändert bestehen, mit einer Ausnahme: Wird eine Dame geschlagen, ist die Zugnotation mit dem Zusatz „TQIDLLTQ“ zu ergänzen („The Queen is Dead, Long Live The Queen“).
    partieformular

 

 

 

 

(Die Abbildungen wurden mit Hilfe von Chessbase erstellt.)