Oberliga: Schach spielen …

Hellern beim 0-8 in Kirchweyhe nicht chancenlos
Was es mit der (halben) Überschrift auf sich hat, erfährt der Leser am Ende des Gastbeitrags von Hans-Jürgen Bade. Es ist ein Statement, dass besonders dann wahr wird, wenn Amateure auf Profis treffen. Natürlich träumt David vom Sieg gegen Goliath, aber nur selten wird er erhört. Und so nehmen die Profis nicht einmal ein Remisangebot an, wenn sie deutlich schlechter stehen. Sie werden schließlich dafür bezahlt, dass sie bis zum letzten Bauern kämpfen. Der Amateur bleibt gelassen: er hat andere Motive.

Freundlicher Empfang und hervorragende Bewirtung

Kirchweyhe II trat, auch wenn es um wirklich nichts mehr ging, mit der ‚vollen Kapelle‘ an und bestimmte dementsprechend den Ton. Auch am letzten Spieltag gab man sich keine Blöße. Das verdient Anerkennung und Respekt.

Hajo Bade

Unsere ‚Kapelle‘ dagegen hatte bereits in Uelzen ihr gemeinsames ‚Postludium‘ gegeben. Für das Match gegen Kirchweyhe hat es dann nicht mehr gereicht. Okay, zwei Sonntage hintereinander sind für Schächer mit Familie schon schwer zu vermitteln. Wir sind schließlich keine Schachprofis. Und zusätzlich liegt der Termin für den Saisonabschluss auch noch mitten in den Osterferien. Was für ein Schwachsinn!

Nun, in Kirchweyhe wurde im Schachdomizil von Herrn Peter Orantek dennoch Schach gespielt. Streckenweise, auch seitens von uns Helleranern, war es richtig gutes, anspruchsvolles Schach. Doch zunächst einmal ist dem Ausrichter P. Orantek für den freundlichen Empfang und die hervorragende Bewirtung (belegte Brötchen, Laugengebäck und Bananen, Wasser still und medium, Kaffee und Tee) zu danken. Das war Oberliga mit Niveau.

Farbenfroh: Vereinslogo des Gastgebers

Durch eine kurzfristige Absage war es leider nur ein Match an sieben Brettern. Da wir darüber hinaus mit vier Ersatzleuten, die ‚Bock‘ hatten gegen Titelträger zu spielen, antraten, war von einem Mannschaftspunkt, wie in der Vorsaison, nicht einmal zu träumen. Tatsächlich kam es noch härter: denn wir holten gar nichts. Nichts Zählbares heißt: 0-8!

Angesichts der ELO-Differenz war dies sicherlich ein erwartbares Ergebnis. Angesichts der Partieverläufe jedoch war an drei (evtl. vier) Brettern ein besseres Resultat möglich. Aber das Wissen um die bessere Technik und ein geduldiges Abwarten, bis der Amateur seinen Fehler macht, gehört auch zur Spielstärke. Und so nahm es seinen Verlauf.

Wer Großes versucht, ist bewundernswert, auch wenn er fällt“ (Seneca)

(Anm. d. Redaktion: Viele glauben, dass es im Wettkampf Meister vs Amateur schnell zu Ende geht. Das war nicht der Fall. Schauen wir uns die Stellungen nach 20. Zug an. Hellern stand 3x auf Verlust, 1x schlechter, 2x ausgeglichen und am Spitzenbrett sogar etwas besser!)

An Brett 6 bot sich in der Partie GM Petar Genov gegen Peter Kovermann tatsächlich die Chance auf einen vollen Punkt! Nach einer schwächeren Eröffnung stand Peter in einem komplexen Mittelspiel schwer unter Druck. Doch den Bock schoss der GM im 26. Zug. Den passenden Antwortzug fand Peter, die nicht einfache Fortsetzungssequenz leider nicht mehr. Und schon drei Züge später hatte sich das Blatt gedreht und der GM besaß einen spielentscheidenden Freibauern auf e6. 1-0

An Brett 1 wurde die spannendste Partie des Tages zwischen Christian Böttcher und GM Erik van den Doel ausgetragen. Christian dominierte die Partie und hatte den GM fast schon an der Wand. Doch im Schwerfigurenendspiel musste er sich Gedanken um seinen luftigen König machen. Stockfish ist hier bekanntlich gnadenlos. Der GM leider auch. In einer schlechteren Position lehnte er das verdiente Remisangebot von Christian ab und profitierte sogar noch von der Fehlentscheidung im 45. Zug. 0-1.

Brett 2 bot große Remis-Chancen. Im Match zwischen GM Robert Zelcic gegen Jörg Stock stand das Spiel bis zum 21. Zug ausgeglichen. Dann verpasste Jörg eine taktische Abwicklung, um das Angriffsmaterial deutlich zu reduzieren. Im dann entstandenen Endspiel erwies sich der weißfeldrige Läufer von GM Zelcic als zu dominant. 1-0.

Auch an Brett 3 wurde sehr ordentlich gespielt. Holger Lehmann bot GM Mladen Palac gut Paroli, bis er dann seine Dame einstellte. Das passiert halt auch noch in einer Saison, in der es so gar nicht läuft. Schwamm-drüber-Blues. Seinen wichtigsten Punkt der Saison hat Holger dennoch erzielt: in Uelzen!

Jetzt kommen wir zu den Partien, die aus der Eröffnung heraus schon einen schweren Stand hatten. Den besten Eindruck machte noch Manuel Kamps an Brett 8 im Match gegen Kevin Silber. Es dürfte eine lehrreiche Partie für Manuel gewesen sein. Intention: die aktiveren Züge spielen, um die Spielmöglichkeiten und Figurenbeweglichkeit des Gegners einzuschränken. 1-0.

An Brett 7 musste Dominik Suendorf gegen IM Klaudia Kulon Lehrgeld in der Eröffnung zahlen. Ein Bauerneinsteller und weitere schwächere Züge kosteten glatt die Partie. Hier demonstrierte IM Kulon ihre Klasse und exekutierte beispielhaft. 0-1.

Am 5. Brett erging es mir nicht besser. Im Match Hajo Bade gegen GM Ivan Zaja präsentierte ich im Franzosen eine Nebenvariante, die bis ELO 2000 recht gut funktioniert hat. GM Zaja erkannte den Schwachpunkt des Abspiels und ‚haute mir die Partie konsequent um die Ohren“. Das war eine großmeisterliche Demonstration. 0-1.

Quelle: Deutscher Schachbund

Fazit: In einer schwierigen Saison haben wir durch eine disziplinierte Mannschaftsleistung in Uelzen so gerade eben die Kurve gekriegt. Die kommende Saison kann nur besser werden – positiv denken.

Quelle: Deutscher Schachbund

Und nun zur Auflösung der Überschrift:

Schach spielen …
… heißt auch: Schach lieben!

Hajo Bade

Postscriptum

 

Die im September des letzten Jahres von der Redaktion erstellte Prognose zeigt überwiegend, dass man auf der Grundlage einer Rating-Analyse eine ordentliche Saison-Prognose erstellen kann. Ahnen konnte man allerdings nicht, dass Aufsteiger Lehrte gleich der 1. Runde nur mit fünf Aktiven antreten würde. Dies schlug sich in der Tabelle nieder. Unerwartet, aber als möglich bezeichnet, war auch das ausgezeichnete Abschneiden des Traditionsvereins aus Delmenhorst. In der Vorsaison trennte sie nur ein halber Brettpunkt vor dem Abstieg.

Der SV Hellern hat nun 10 Jahre in der Oberliga überwintert. Die überragenden Leistungen aus den Spielzeiten 2016/17 (2. Platz) und 2017/18 (3. Platz) konnten nicht wiederholt werden. Warum das so ist, werden nur die wenigstens en detail analysieren können. Zum Glück hat sich unser Chef-Statistiker Jörg Stock der Sache angenommen und eine sehr differenzierte Grafik entwickelt, die viele Antworten liefert.
Was erfährt man? Nun, allein schon ein Blick auf die Abgänge einiger Top-Spieler ist aufschlussreich genug. Außerdem würdigt die Grafik alle, die mit bewundernswerter Verlässlichkeit in allen 10 Spielzeiten „am Ball“ blieben: Jörg Stock mit 77 Partien, Reinhold Happe, der über 70-mal von Duisburg nach Hellern und noch weiter fuhr, Dr. Ingo Gronde, der mit 62,5 % eine Superquote hinlegte und nach Hannes Ewert (63,3%) der zweite Helleraner war, der sich den FM-Titel sicherte. Last but least zwei Spieler, die unverzichtbar sind: Unser Mann am ersten Brett (Alexander Hoffmann, 63%) und unser Mannschaftsführer Martin „Lock“ Hart, der nur eine Spielzeit verpasste, aber mit > 58% auf hohem Niveau spielt.

Verfasser: Jörg Stock
Um allen Interessierten das Studieren zu erleichtern, haben wir eine Version mit höherer Auflösung auf einer Sonderseite platziert. Kleiner Trick: dort auf die Grafik klicken und – schwupps – wird sie noch größer. Sozusagen 4 K 🙂 Link
  • Foto: © Bade 2025; Hellern-Archiv
  • Graphik: © Stock 2014-2025