Hellern Open mit schwungvollem Auftakt

Gestern startete das 12. Hellern Open und fast das gesamte Feld des Vorjahres ist auch diesmal wieder mit dabei. Turnierleiter Norbert Sobotta gab die ersten acht Partien um 19:30 frei, drei Paarungen müssen nachgespielt werden. An fast allen Brettern setzten sich die Favoriten durch, zum Teil mit sehenswerten Demonstrationen ihrer Klasse, zum Teil aber auch mit erheblicher Mühe. Alle Ergebnisse gibt es wieder auf der Sonderseite.

Aus dem Rekordteilnehmerfeld des Vorjahres fehlt in diesem Jahr zwar der Titelverteidiger Hannes Ewert, aber alle Teilnehmer, die im Vorjahr auf den weiteren Plätzen 2 bis 10 lagen, haben wieder gemeldet. Es verspricht also wieder ein spannendes Turnier zu werden. Nach der Setzliste zählen Jörg Stock, Julian zur Lage, Thorben Weist, Norbert Lange und Reinhard Paul zum engsten Favoritenkreis, und diese fünf lagen auch tatsächlich 2016 auf den ersten Plätzen (hinter Hannes). Neu im Feld ist Jens Gausmann in seiner ersten Saison für den SV Hellern, ebenfalls neu mit dabei und doch ein alter Bekannter ist Alexander Travica (SG Osnabrück).

Blick in den Turniersaal.

Die erste Runde hat wie stets reizvolle Duelle mit großen Spielstärkeunterschieden auf dem Programm. Schaute man aber auf die Bretter, waren dies erst einmal nur an wenigen Brettern zu erkennen. Frank Kamper gehörte zu denen, die von Anfang an keinen Zweifel aufkommen ließen, wer die Partie gewinnen würde. Sein Gegner Ilya Travica musste sich trotz guten Spiels geschlagen geben. Auch Stefan Röhrich hatte recht bald einen Bauern mehr, ohne seinem Gegner Thomas Magiera dafür Kompensation einräumen zu müssen. Dennoch war es am Ende die letzte Partie des Abends (der „Anpfiff“ hatte sich verspätet), in der sich Stefan insgesamt souverän durchsetzte.

Thorben Weist unterstrich seine Ambitionen mit einer entschlossenen Angriffspartie gegen Alexander Travica.


Thorben Weist – Alexander Travica  (Stellung vor dem 30. Zug)

In der Diagrammstellung hatte Thorben Alexanders König bereits aus seiner warmen Hütte gezerrt. Es folgte 30. Te6+ Kf7 (30. … Sxe6 31. Dxf5+ Kg7 32. Dh7+ und matt folgt.)  31. Lxf5 Kg8. Hier entschied sich Thorben gegen den Mattangriff (mit 32. Th6 und z.B. 32. … e5 33. Lh7+ Kh8 34. Lg6+ Kg8 35. Tf1 und der schwarze König sitzt in der Falle) und spielte statt dessen das genügsame 32. Lg6. Nach 32. … Tf8 33. Lh7+ Kxh7 34. Df8 stellte Alexander noch eine letzte Falle mit 34. … Ta8, musste sich aber nach 35. Df3 (35. Dxa8?? Df2+) geschlagen geben.

Weit größere Schwierigkeiten hatten Jörg Stock, Norbert Lange, Hajo Bade, Joachim Rein und Harald Szobries, und doch setzten sich – fast! – alle durch.


Im Vordergrund: Jörg Stock – Ludger Wöllermann (1/2 : 1/2)
Im Hintergrund: Thorben Weist – Alexander Travica
(1 : 0)

Norbert musste mit Schwarz den stets sicheren Aufbau von Stefan Grasser bekämpfen. Stefan wählte diesmal ein Botwinnik-Dreieck, und über längere Zeit war eine annähernd symmetrische Stellung auf dem Brett. Dann öffnete sich die f-Linie, und Norbert verdoppelte die Türme darauf. Bei genauem Spiel hätte dies kein Problem für Stefan sein dürfen, aber Stefan übersah eine schöne Taktik des Hollagers: Nach Turmtausch auf f7 schlug die Dame zurück, betrat so die f-Linie, wurde von Stefans Turm angegriffen und – schlug einfach den Turm auf f1, denn nach dem Wiederschlagen des Lg2 war das Feld f3 ungedeckt, und Norberts Springer spazierte mit einem Familienschach in die weiße Stellung. Stefan musste die Waffen strecken.


Stafen Grasser – Norbert Lange (0 : 1)

Hajo  konnte mit Schwarz gegen Jens Gausmanns ruhigen Aufbau wenig herausholen, schob aber seinen a-Bauern in Carlsen-Manier schon einmal weit nach vorne. Und das sollte sich für Jens als sehr gefährlich erweisen:


Gausmann – Bade (Stellung nach dem 22. Zug von Weiß)

Hajo zog nun 22. … a3! und nun muss Weiß aufpassen, denn die Pointe ist nach 23. b3 Td2 24. T1e2 Tad5 25. Kf2 die Erwiderung 25. … Tb2!. Weiß kann diesen Turm nicht schlagen, kann aber mit 24. Td4 das Endspiel wohl halten (so Hajo direkt nach der Partie; Otto und die Engines geben ihm Recht), auch wenn es nach 24. Kf8 25. Ke2 g5! 26. g3 Tb1+ nicht leicht wird. Jens aber griff leider mit 24. Ta4? fehl, denn nach 24. … Tdd2, dem erzwungenen Tausch eines Turm und dem Gewinn des a-bauern durch Schwarz ist das Endspiel sehr schwer zu halten, und Jens schaffte das nicht. Dennoch ein starker Auftakt von Jens.


Jens Gausmann – Hajo Bade (0 : 1)

Wenn man über Hartmut Weist sagt, Geistesblitz und Aberwitz lägen bei ihm nahe beeinander, mag das frech klingen, die Wortwahl ist aber hier mit größter Hochachtung gewählt, denn Hartmut lieferte Joachim Rein mit Schwarz gegen dessen Spezialität einen erstaunlichen Kampf. Hatte man erwartet, Joachim würde mit seinen frühen (zu frühen?) Bauernvorstößen f4 und g4 Hartmut schnell überrollen, musste man sich schon bald die Augen reiben, denn Hartmut hatte seinen König am Damenflügel in Sicherheit gebracht, und nun war es der kurz rochierte König Joachims, der unter Zugluft litt. Die Kiebitze waren sich einig, dass Hartmut im höheren Sinne auf Gewinn stand. Aber was heißt das schon gegen Joachim. Der jedenfalls schaffte es, alle Türme abzutauschen, und danach sah es schon gar nicht mehr so schlimm für ihn aus, denn wenn auch noch die Damen verschwinden würden, hätte er wohl das bessere Endspiel. Daher ließ Hartmut die Damen auf dem Brett – nur um erleben zu müssen, wie Joachims Dame schließlich doch seinen König „erwischte“. Tolle Partie von Hartmut, aber ohne Happy End.

Harald Szobries schließlich konnte mit Schwarz gegen Theodor Saltenbrock zunächst nicht sehr viel ausrichten, ein klarer positioneller geschweige denn materieller Vorteil jedenfalls war nicht so recht zu erkennen. Aber Harald hatte einige Grundprinzipien im Kopf, und im Endspiel mit Turm und jeweils drei Leichtifugren beherzigte er eine davon: Push your (passed) pawns! Gedacht getan, und das brachte Theodor in ernste Schwierigkeiten und Harald schließlich den vollen Punkt ein.

Als einziger der nominell Überlegenen konnte sich Jörg Stock nicht durchsetzen. Jörg traf mit Ludger Wöllermannn auf einen gut vorbereiteten Gegner, und Ludger machte es Jörg wahrlich schwer. Hinzu kam die für Jörg offensichtlich qualvolle Bedenkzeitregelung, die ihn auch im vergangenen Jahr mehrfach in zeitliche Schwierigkeiten brachte. So konnte Jörg nichts zählbares herausholen, und es kam bei immer knapp werdender Zeit zum Friedensschluss.

Foto: Jörg taucht in die Stellung ab. Ein typisches Bild von vielen Turnieren, wenn sich die Kontrahenten nach der Eröffnungsphase einen „big think“ gönnen. Aber das ist so eine Sache, wenn man nur 90 Minuten für 40 Züge hat …