Stadtmeisterschaft: IM Richter ist alter und neuer Stadtmeister

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Der für den Werder Bremen II in der Zweiten Schachbundesliga heimisch gewordenen IM Christian Richter musste in diesem Jahr hart arbeiten, um seinen Titel zu verteidigen. Es gelang und wir gratulieren dem sympathischen Schachmeister ganz herzlich! Vizemeister wurde nach 2015 zum zweiten Mal Hannes Ewert – und das ist schon ein beachtlicher Karriereschritt für den jungen Oberliga-Spieler.
In der letzten Runde wurde es allerdings noch einmal spannend…

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6 Runden wie im Rausch: Furioser Auftakt von Hannes

vt_20160820_fot_Rapid Portrait Hannes R6_finMit 5½/6 legte Hannes (Foto) los. Nur C. Richter konnte ihm einen halben Punkt abluchsen. Wie so oft in umkämpften Turnieren wurden die letzten drei Runden dann ziemlich dramatisch: Richter musste eine Niederlage gegen Paul Wielebinski hinnehmen. Hannes konnte davon nicht profitieren, denn er verlor gegen seinen Vereinskameraden Julian zur Lage. Geschenkt wurde keinem was. In Runde 9 wehrte sich unser ehemaliger Vereinsmeister Ludger Wöllermann dann mit großer Hingabe gegen Hannes und griff ausgerechnet in dem Moment fehl, als er das Remis eigentlich sicher hatte. Das kann man hier sehr ausführlich kommentiert nachspielen. Ein großes Turnier von Ludger, zumal er mit einer Null gestartet war. Glückwunsch!

Vor der letzten Runde teilten sich Hannes und der alte Stadtmeister mit 6,5 P auch dank Feinwertung den ersten Platz, gefolgt von dem bärenstark spielenden Paul Wielebinski mit 6 Punkten. Runde 9 sah dann zunächst einen Sieg des Internationalen Meisters gegen unseren Reinhard Paul, der immer zu Schandtaten fähig ist – diesmal aber nicht. Der IM hatte seinen Job erledigt – nun musste Hannes nachziehen.

 

Die Top-Partie der 9. Runde: Wielebinski – Ewert

Der OSVer spielte mit Weiß. Etwas aus dem Englischen kam aufs Brett: Das ist „ein weiter Feld“, so ist es bei Theodor Fontane zu lesen und das wird gerne zitiert. Nicht nur von Deutschlehrern. Tatsächlich aber steht in „Effie Briest“ eigentlich etwas anderes, nämlich „Es ist so schwer, was man tun und lassen soll. Das ist auch ein weites Feld.“ Das trifft dann doch wohl eher auf unser Thema zu, die Behandlung von Schachpartien im Allgemeinen und das Gewinn-müssen von solchen, in denen man Schwarz hat.

Fassen wir es so zusammen: Beide belauerten sich, spielten ihre gut vorbereitete Variante herunter und lavierten dann in einem Stil, als hätten sie 40 Jahre Schach auf dem Buckel und seien dabei zu der Erkenntnis gekommen, dass man nicht durch Risikofreudigkeit gewinnt, sondern durch die Fehler des Gegners. So viel Abgeklärtheit ist nicht gerade eine auffällige Eigenschaft von jungen Spielern, aber von Sturm und Drang war tatsächlich nicht viel zu sehen.

Also Remis? Das würde das Publikum enttäuschen. Zwei Gladiatoren, die sich nicht weh tun – da senkt man nicht nur im alten Rom den Daumen. Ein Drama muss her. Gut, hier ist es:

 

[Event „Stadtmeisterschaft Osnabrück“]
[Site „Osnabrück“]
[Date „2016.12.02“]
[Round „9“]
[White „Wielebinski“]
[Black „Ewert“]
[Result „1/2-1/2“]
[WhiteElo „2088“]
[BlackElo „2161“]
[Annotator „Thal,Ortwin“]
[SetUp „1“]
[FEN „r2r4/2q3kp/pp1p1pp1/PP1Rp3/2PnPP2/2R3PB/3Q2KP/8 w – – 0 35“]
[PlyCount „41“]
[EventDate „2016.??.??“]
[EventType „swiss“]
[EventRounds „9“]
[EventCountry „GER“]
[SourceDate „2015.09.05“]

35. axb6 $2 (35. fxe5 $1 $16 {hätte Weiß erhebliche Gewinnchancen gegeben.}
dxe5 36. c5 (36. bxa6 $4 Rxa6 37. axb6 Qxb6 38. Rxd8 Qxd8 $19) (36. axb6 Qxb6
37. Ra3 axb5 38. Rxa8 Rxa8 39. cxb5 Ra7 $15) 36… bxa5 37. b6 Qc6 38. Kh1 $1 {
Taktik!} (38. Qd3 Rxd5 39. exd5 Qxd5+ $19) 38… a4 (38… Rxd5 39. exd5 Qxd5+
40. Bg2 $1 $18) 39. Qd3 $16) 35… Qxb6 36. c5 $4 {Wie oft nach einer
verpassten Gewinnchance, folgt ein gravierender Fehler, der fatale Folgen hat.
Schach paradox, aber die meisten Schachspieler kennen solche Situationen. Im
vorliegenden ist die Partie für Hannes forciert gewonnen.} dxc5 37. Rcxc5 axb5
{Witzig: auch das gewinnt.} (37… Nb3 $19 {war der eigentliche Knüller:} 38.
Rd7+ (38. Rc6 Qxc6 $1 39. bxc6 Nxd2 $19) (38. bxa6 Nxd2 $19) (38. Qd3 Nxc5 $19)
38… Kh6 39. Rc6 Qxc6 40. bxc6 Nxd2 $19) 38. Qb2 Rxd5 (38… b4 39. fxe5 fxe5
40. Rxe5 Qf6 41. Rc7+ Kf8 42. Be6 Nxe6 43. Rf5 Rd2+ $3 44. Qxd2 gxf5 $19 {
wäre auch ein nettes Drama für die Kiebitze geworden.}) 39. Rxd5 b4 $1 40.
fxe5 fxe5 41. Rd7+ Kg8 42. Qc1 Qb5 $1 {Mittlerweile ist eine +4-Stellung auf
dem Brett.} 43. Bg4 Rf8 (43… b3 44. Rxd4 exd4 45. Be6+ Kh8 $19) 44. Rd5 Qd3
45. Rxe5 b3 46. Kh3 {Endlich ist es soweit: Damen tauschen und der b-Bauer
läuft. Aber auch die allerbesten Spielern (wir haben es beim letzten WM-Kampf
gesehen) übersehen naheliegende Gewinne. Nicht etwa, weil sie zu schwer zu
entdecken sind. Nein, weil sie zu einfach sind!} b2 $2 (46… Qf1+ $1 47. Qxf1
Rxf1 {[%csl Gb5,Ge2,Ge6] Was soll Weiß denn noch ziehen? Schwarz deckt alle
Schlüsselfelder!} 48. Re8+ (48. Be6+ Nxe6 49. Rxe6 b2 $19) 48… Rf8 49. Re7
Rb8 $19) 47. Qxb2 $11 Qf1+ 48. Qg2 Qf6 49. Qa2+ Kh8 50. Qd5 Rd8 51. Qc5 h5 52.
Bxh5 gxh5 53. Rxh5+ Kg7 54. Qg5+ Qxg5 55. Rxg5+ 1/2-1/2

 

Natürlich verblüfft diese Partie und erst recht die verpassten Chancen. Vier Stück habe ich gezählt. Hannes hat sie nicht entdeckt, stand aber immerhin fast bis zum Schluss auf Gewinn. Aber Karjakin hat auch nicht Sf2+ gesehen, während alle Kommentatoren lauthals meckerten, dass man diesen Zug gar nicht nicht übersehen kann. Vor ihnen standen Monitore und vermutlich lief gerade eine Engine…
Das ist ja das Dilemma. Beim Psychiater und seinem Patienten gibt es das sogenannte Übertragung-Gegenübertragungs-Phänomen, das beide in gegenseitige Wünsche und Erwartungen verstrickt. Beim Schachkiebitz am PC gibt es dies auch. Weil man sich die Spielstärke vom ständig laufenden Stockfish abholt und die Kommentatoren einem auch noch pausenlos das simple Sf2+ rauf und runter erklären, glaubt man irgendwann, dass ein triviales Manöver ist. Und das darf man ja von einem 2700er erwarten.

Trivialisiert wird aber nur eins: der enorme Druck, den Carlsen und Karjakin hatten. Und der unterscheidet sich kaum von dem, den Paul und Hannes erlebten. Das können aber nur die Schachspieler wissen, die mal kurz vor einem Turniersieg standen und dann zu spüren bekamen, was die letzten Runden so alles zu bieten haben. Lauter fiese Dinge.
Im vorliegenden Fall verpasste Hannes mit dem Remis den Stichkampf. Ärgern sollte er sich nicht, denn er wird noch etliche Turniere gewinnen. Garantiert.

 

Helleraner im Barenturm – eine Erfolgsgeschichte

christian-richter
Der alte und neue Stadtmeister heißt Christian Richter! Unter den ersten Zehn befanden sich am Schluss fünf unserer Mitstreiter: Neben Hannes waren dies Julian zur Lage (4. Platz – 6/9), Thorben Weist (6. – 6/9), Reinhard Paul (7. – 5½/9) und Ludger Wöllermann (10. – 5½/9). Chapeau.
Die Plätze 11-16 waren beinahe vollständig in unserer Hand – nur Norbert Lange (Hollage) schob sich zwischen Joachim Rein, Franz Ernst, Hajo Bade, Stefan Ewert und Stefan Röhrich. Auch top. Die 50%-Marke verpassten mehr oder weniger knapp Hartmut Weist (25. – 4/9) und Alfons Thöle (29. – 3½). Hartmut, unser emsiger Abteilungsleiter, verbuchte bei seinem starken Auftritt einen satten DWZ-Gewinn von +33. Noch mehr legte Ludger drauf, der als 21. der Start-/Rangliste begann und mit +39 als Zehnter das Turnier beendete. Das sind übrigens die offziellen Zahlen, die uns Niels Dettmer zur Verfügung stellte.

Eine Erfolgsgeschichte ist auch die Stadtmeisterschaft selbst und wir bedanken uns an dieser Stelle beim Osnabrücker Schachverein, der mit großer Kontinuität Jahr für Jahr diesen Event organisiert. Wir freuen uns bereits auf 2017.

Für die Zahlen und Daten verweise ich auf die bekannten Quellen:

  • Ergebnisse Runde 9
  • Fortschritts- und Abschluss-Tabelle

Foto: © Thal 2016